| # taz.de -- Kontrollen an deutsch-dänischer Grenze: Immer neue Gründe gefunden | |
| > Seit 2016 kontrolliert Dänemark an der deutsch-dänischen Grenze. Ein | |
| > Rechtsgutachten kommt zum Schluss, dass die Kontrollen gegen EU-Recht | |
| > verstoßen. | |
| Bild: Wer rüberwill, muss Wartezeit einplanen: Grenzübergang Kupfermühle-Kru… | |
| Rendsburg taz | Pässe bereithalten, langsam fahren, Fenster öffnen – in | |
| Ellund, wo die Autobahn 7 zur Grenze nach Dänemark führt, sieht es aus, als | |
| hätten sich die Staaten der Europäischen Union nie auf offene Schlagbäume | |
| geeinigt. Eigentlich dürfen Reisende nur stichprobenartig überprüft werden, | |
| so sagt es das Schengener Abkommen, das in Deutschland seit 1995 gilt und | |
| dem Dänemark 2001 beitrat. | |
| Doch [1][seit 2016 kontrolliert Dänemark wieder]. Dazu beantragt das Land | |
| regelmäßig Sondergenehmigungen. Nun kommt ein Rechtsgutachten zu dem | |
| Schluss: Dieses Verfahren verstößt gegen EU-Recht. [2][Der | |
| Grünen-EU-Abgeordnete Rasmus Andresen sieht die EU-Kommission] und deren | |
| Präsidentin Ursula von der Leyen (CDU) in der Pflicht: „Die Kommission ist | |
| die Instanz, die Dänemarks Anträge immer wieder genehmigt hat. Es kann | |
| nicht sein, dass solche Verstöße akzeptiert werden.“ | |
| Erst ging es um die Menschen, die vor dem Syrienkrieg flohen und über die | |
| dänische Grenze gen Skandinavien wollten. Dann um die Gefahren durch | |
| „militanten Islamismus und organisierte Kriminalität“. Ab März 2020 blieb… | |
| die Grenzkontrollen wegen der Coronapandemie bestehen. Inzwischen weist | |
| Dänemark auf [3][die Fluchtbewegungen aus der Ukraine] und „kriminelle | |
| Banden“ hin. | |
| Insgesamt 25 solcher „Notifikationsschreiben“ mit Begründungen habe | |
| Dänemark zwischen Januar 2016 und Ende 2022 an die EU versandt, heißt es in | |
| dem Gutachten. Erstellt haben es Anna Katharina Mangold, Professorin und | |
| Leiterin der Abteilung Europa- und Völkerrecht an der Europa-Universität | |
| Flensburg und ihre wissenschaftliche Mitarbeiterin Anna Kompatscher. | |
| ## Vorgeschobene Gründe | |
| Die Völkerrechtlerinnen haben die Anträge Dänemarks geprüft und kommen zu | |
| dem Schluss, dass die Kontrollen seit fast sieben Jahren „nahtlos und | |
| kontinuierlich aufrechterhalten wurden“, wobei, „an aktuelle politische | |
| Ereignisse angepasst, immer wieder neue Gefahren vorgebracht“ wurden. | |
| Wirklich begründet seien die aber nie, schreiben die Gutachterinnen: „Die | |
| Liste an Gefahren wurde immer länger, nach dem Gießkannenprinzip: Einen | |
| Grund unter den vielen werden Kommission und andere Mitgliedstaaten am Ende | |
| schon akzeptieren. So entsteht der Eindruck, es gehe gar nicht um wirkliche | |
| Gefahren, sondern diese seien lediglich vorgeschoben.“ | |
| Der gebürtige Flensburger Rasmus Andresen kämpft seit 2016 gegen die | |
| Kontrollen: „Sie haben eine konkrete Bedeutung für Zusammenleben im | |
| Grenzland. Für Urlauber ist es ein Ärgernis, und wer seinen Alltag | |
| grenzüberschreitend lebt, hat ein großes Problem.“ Neben den konkreten | |
| Barrieren würden auch die Barrieren im Kopf wieder höher. „Es geht um die | |
| Frage, wie wir die Zukunft der Grenzregion gestalten wollen“, so Andresen. | |
| Diese Frage beschäftigt auch die Menschen auf der dänischen Seite. Der | |
| Bürgermeister der Kommune Tondern und Angehöriger der deutschen Minderheit, | |
| Jørgen Popp Petersen, sagte dem NDR, er sei genervt von den Schwierigkeiten | |
| an den Grenzübergängen: Die Ausreden, man werde das regeln können, höre man | |
| seit sechs Jahren. | |
| Die Sekretärin der [4][Schleswigschen Partei, des politischen Arms der | |
| deutschen Minderheit in Dänemark], sagte der Zeitung Der Nordschleswiger, | |
| es sei „unhaltbar, dass Dänemark nicht bereit ist, die Grenzkontrollen so | |
| zu gestalten, dass die durch das Schengen-Abkommen garantierte persönliche | |
| Bewegungsfreiheit der Bürgerinnen und Bürger nicht derartig eingeschränkt | |
| wird“. | |
| Und selbst der Erfinder der Kontrollen, der damalige dänische | |
| Ministerpräsident Lars Løkke Rasmussen, der mittlerweile die Partei „Die | |
| Moderaten“ gegründet hat, hält das Verfahren – zumindest in der jetzigen | |
| Form – nicht mehr für nötig, berichtet der NDR. | |
| Diese Stimmen nimmt auch Andresen wahr. „Die Kontrollen sind ein Symbol | |
| geworden, mit dem die Regierung in Kopenhagen zeigen will, dass sie aktiv | |
| ist.“ Er hoffe, mit der neuen Regierung in Dänemark auch die Debatte neu | |
| beginnen zu können. Zudem wolle er „mit neuen Argumenten auf die | |
| EU-Kommission zugehen“ und so das Thema auf höherer Ebene diskutieren. | |
| ## Auch Deutschland kontrolliert | |
| „Die klare Botschaft lautet: Die Kommission muss dafür sorgen, dass | |
| EU-Recht eingehalten wird.“ Er wird das Gutachten, das er selbst in Auftrag | |
| gegeben hat, nach Kopenhagen und Brüssel, aber auch nach Berlin schicken: | |
| „Wir erleben, dass die Stimme der deutschen Regierung Einfluss hat.“ | |
| Allerdings verstößt auch Deutschland selbst [5][gegen die Schengen-Regeln]: | |
| Bayern kontrolliert seit 2015 an der Grenze zu Österreich, eine Klage | |
| dagegen läuft. Auch andere EU-Staaten wie Frankreich oder Schweden haben | |
| teilweise die Schlagbäume wieder heruntergelassen. | |
| Andresen hofft dennoch darauf, dass auf der juristischen Grundlage durch | |
| das Gutachten eine neue Debatte in Gang kommt. „Wenn nicht nur | |
| Einzelpersonen und Vertretungen der Minderheiten von der Seitenlinie | |
| kritisieren, ist das der erste Schritt zu einer neuen Haltung.“ | |
| 20 Feb 2023 | |
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| [1] /Fluechtlinge-auf-dem-Weg-nach-Daenemark/!5263208 | |
| [2] /European-Green-Deal/!5912000 | |
| [3] /Kein-Durchkommen-an-daenischer-Grenze/!5836715 | |
| [4] https://schleswigsche-partei.dk/politik/ | |
| [5] /Die-Rolle-von-Frontex-im-Grenzregime/!5900343 | |
| ## AUTOREN | |
| Esther Geißlinger | |
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