| # taz.de -- Konsequenzen aus NRW-Polizeiskandal: Ein strukturelles Problem? | |
| > Bis heute verweigern die Innenminister eine Studie zu Extremismus in der | |
| > Polizei. Die NRW-Affäre aber verleiht der Forderung Nachdruck. | |
| Bild: Will jetzt aufklären: NRW-Innenminister Herbert Reul | |
| Düsseldorf/Berlin taz | Innenminister Herbert Reul (CDU) sprach am | |
| Donnerstag im Landtag Nordrhein-Westfalen von einer „Dimension und | |
| Abscheulichkeit, die ich nicht für möglich gehalten habe“. Auch | |
| Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) ließ seinen Sprecher von einer | |
| „Schande“ sprechen. Und BKA-Präsident Holger Münch räumte ein, es gehe um | |
| „Vorfälle, die das Vertrauen in die Polizei erheblich erschüttern“. | |
| Die Frage ist: Was folgt daraus? | |
| Die Rede ist [1][vom NRW-Polizeiskandal.] 29 PolizistInnen wurden | |
| suspendiert, weil sie Teil rechtsextremer Whatsapp-Chatgruppen waren, die | |
| teils seit 2012 bestanden. Die Betroffenen gehörten fast alle zum | |
| Polizeipräsidium Essen, eine Dienstgruppe in Mülheim wurde komplett | |
| freigestellt, inklusive Dienstgruppenführer. Am Donnerstag sprach Reul von | |
| einer weiteren suspendierten Beamtin, auch sie aus der Mülheimer Gruppe. | |
| Bundesweit wird nun über Konsequenzen diskutiert. Und die Affäre könnte | |
| sich noch ausweiten. Denn bisher hatten die Ermittler nur das Telefon eines | |
| Beamten, welches die Ermittlungen ins Rollen brachten. Seit Mittwoch aber | |
| werten sie 43 Telefone, 18 SIM-Karten, 21 USB-Sticks, 20 Festplatten, 9 | |
| Tablets und 9 PCs aus. Gefunden wurden auch eine Deko-Waffe und geringe | |
| Mengen Betäubungsmittel. | |
| ## Braucht es bundesweite Konsequenzen? | |
| Reul installierte bereits einen Sonderbeauftragten für rechtsextreme | |
| Tendenzen in der Polizei, den bisherigen Verfassungsschutzvize Uwe | |
| Reichel-Offermann. Dieser soll nun ein Lagebild und Präventionsempfehlungen | |
| erarbeiten. Aber reicht das? Wie konnte es sein, dass über Jahre niemand in | |
| der Polizei die Chatgruppen meldete? Und braucht es nicht längst | |
| überregionale Maßnahmen? | |
| Reul räumt ein, [2][dass man nicht mehr von Einzelfällen sprechen könne]. | |
| Auch Seehofers Sprecher sagte: [3][„Wir reden nicht von Einzelpersonen.“] | |
| Denn bereits Ende 2018 wurden rechtsextreme Chatgruppen von hessischen | |
| PolizistInnen bekannt – nach Drohfaxen an die Anwältin Seda Başay-Yıldız. | |
| 38 Straf- und Disziplinarverfahren löste dies aus. Zuvor schon war ein | |
| rechtes Prepper-Netzwerk in Mecklenburg-Vorpommern aufgeflogen, das | |
| Feindeslisten erstellte und an dem sich Polizisten und Soldaten | |
| beteiligten. Im baden-württembergischen Lahr wurden sieben Polizeischüler | |
| suspendiert, die rechtsextreme Chats austauschten. Und in NRW wurde bereits | |
| im März ein Polizeimitarbeiter aus Hamm festgenommen, der Teil der | |
| Rechtsterrorgruppe „Gruppe S.“ sein soll. | |
| Schon länger steht daher die [4][Forderung nach einer unabhängigen | |
| bundesweiten Untersuchung] rechtsextremer Einstellungen von PolizistInnen | |
| im Raum. Grüne, Linke und Teile der SPD fordern diese nun wieder ein. Auch | |
| Sebastian Fiedler, Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamten, | |
| erklärte es für überfällig, „Wissenschaftler in die eigenen Reihen zu | |
| lassen“. Seehofer und andere Innenminister, auch Reul, aber blocken solch | |
| eine Studie bisher ab, ebenso eine zu Racial Profiling. | |
| ## Verfassungsschutz kämpft mit Lagebild | |
| Seehofer verwies zuletzt stattdessen auf ein Lagebild zu Extremismus in den | |
| Sicherheitsbehörden, welches das Bundesamt für Verfassungsschutz derzeit | |
| erarbeitet. Ende September soll dieses, nach wiederholten Verschiebungen, | |
| nun fertig sein. Die Erstellung zeigte Schwierigkeiten: Welche Vorfälle | |
| werden überhaupt gelistet? Zählen schon Verdachtsfälle oder erst | |
| abgeschlossene Disziplinarverfahren? | |
| Laut ARD waren die Zulieferungen aus den Ländern anfangs so dürftig, dass | |
| Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang Nachlieferungen forderte, auch von | |
| Verdachtsfällen. NRW soll dennoch nur 12 Fälle eingereicht haben. Ob die | |
| jetzigen 30 Polizei-Fälle nachgereicht werden, werde gerade mit dem | |
| Bundesamt abgestimmt, sagte eine Sprecherin Reuls. | |
| Der Kriminologe Tobias Singelnstein hält dennoch eine unabhängige | |
| wissenschaftliche Studie zu rechtsextremen Einstellungen in der Polizei für | |
| „unbedingt notwendig“. „Wir brauchen endlich verlässliche Zahlen, wie gr… | |
| das Problem ist. Der strukturelle Charakter des Problems wird bisher nicht | |
| anerkannt.“ Für Singelnstein reicht das Lagebild des Verfassungsschutzes | |
| nicht aus. „Der Verfassungsschutz bekommt bereits seit Jahren die Zahlen | |
| nicht zusammen und er ist auch nicht die geeignete Institution.“ | |
| ## „Wer schweigt, macht sich mitschuldig“ | |
| Linke und Grüne fordern zudem unabhängige Beschwerdestellen für | |
| Polizeivorfälle. Singelnstein plädiert auch für eine neue Polizeikultur. | |
| Wenn niemand die rechtsextremen Chats meldete, fehle offensichtlich eine | |
| klare interne Abgrenzung. „Es braucht eine Kultur, in der das demokratische | |
| Selbstverständnis auch tatsächlich gelebt wird.“ Auch Reul attestierte der | |
| Polizei am Donnerstag in Teilen ein „Haltungsproblem“: Aus | |
| Kameradschaftsgründen werde bei Verfehlungen geschwiegen. Aber: „Wer | |
| schweigt, macht sich mitschuldig.“ | |
| Tatsächlich gab es auch in Essen frühe Hinweise auf rechtes Gedankengut – | |
| auch wenn sich Polizeipräsident Frank Richter am Mittwoch überrascht und | |
| fassungslos gab. Laut des antifaschistischen Bündnisses „Essen stellt sich | |
| quer“ wurden seit Monaten [5][linke Kundgebungen gegängelt,] anders als | |
| rechte Aufmärsche. Zudem seien Beamte rassistisch auffällig geworden. Als | |
| das Bündnis diese benannte, gab es: eine Strafanzeige. „Dass es ein Problem | |
| innerhalb der Essener Polizeibehörde gibt, erscheint uns eklatant“, | |
| erklärte die Initiative. | |
| 17 Sep 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Konrad Litschko | |
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