# taz.de -- Kolumne Blicke: Unser Kind wird SexarbeiterIn | |
> Aus Kindern werden Leute – und die wollen schnelles Geld und nette | |
> Kollegen. Schön, wenn die Eltern bei der Berufswahl mit einbezogen | |
> werden. | |
Bild: Beruf mit Perspektiven: Prostitution. | |
Vergegenwärtigen wir uns den Moment, da die eigene Tochter – oder ja, auch | |
der eigene Sohn – einem als gewünschtes Berufsfeld „Prostitution“ eröff… | |
Der kritische Vater wird da vielleicht noch ironisch den Kopf senken und | |
ein hilfloses „Investmentbanker – hast du dir das auch gut überlegt?“ | |
herausbringen; aber im Grunde hat er schon kapiert, worum es geht. Und es | |
würgt ihn. | |
Die Mutter hat aus den Debatten der letzten Wochen immerhin mitbekommen, | |
dass es da auch ganz tolle Sachen gibt: Sogenannte SexarbeiterInnen, die | |
Behinderte freundlich abnudeln oder des Befehle-Bellens müde gewordene | |
Manager mit veganen Peitschen resozialisieren. „Domina“ – die Mutter | |
versucht das mal zu denken. | |
Die Sohntocher aber stellt klar: Es geht ums Ficken. Beziehungsweise ums | |
Geficktwerden. Als Beruf. Also professionell. Also eher mehrmals am Tag als | |
einmal in der Woche. Jedenfalls realistisch betrachtet und für den Anfang, | |
denn hey – wozu macht man einen Business-Plan, wenn man sich nicht daran | |
hält?! | |
Der Vater will weltläufig sein. Die Escorts in Italien machen es nur so | |
lange, bis sie einen fetten Fisch an der Angel haben, Berlusconi und so. | |
Der Vater merkt: Etwas fasziniert ihn an der Sache. Die Mutter spult da | |
schon zurück. Welcher genau war der Moment, als sie ihre Sohntochter | |
verloren hat? | |
## Schweigen herrscht | |
War es die Episode, als sie das schlaflose Kleinkind nicht mehr ertragen | |
konnte? Und es hat schreien lassen, bis buchstäblich der Arzt kam? Oder | |
später, als Omas 80. Geburtstag wichtiger war als die Wochenendparty – und | |
der Teenager tobte? Oder hat sie in den letzten Jahren, als ihr der | |
Wiedervolleinstieg in den Beruf glückte, den – äh – Umgang ihres Kindes | |
nicht genug – äh – überwacht? | |
Ich verstehe dich nicht, bricht es aus dem Vater heraus. Warum? Warum | |
willst du das machen? | |
Die Sohntochter bleibt ungerührt. Es ist leicht verdientes Geld, sagt sie. | |
Die Kollegen sind nett. Ich mag die Atmosphäre. | |
Aber die Männer, schüttelt sich die Mutter. | |
Die duschen vorher, sagt die Sohntochter. Manche sind arme Schweine, manche | |
ganz lustig, auch klug. Und wenn mir einer blöd kommt – | |
– dann kommt dein bulgarischer Zuhälter. Der Vater ist eiskalt. Die | |
Sohntochter nicht minder. Sicherheitsbeauftragter, sagt sie. Gibt es in | |
vielen Branchen. Und wenn du schon rassistisch sein musst, sag doch gleich | |
Zigeuner. | |
Das ist natürlich ein Totschlagargument. Schweigen herrscht. Dann sehen die | |
Eltern sich plötzlich an. | |
## Als Einheit empfunden | |
Sie spüren eine Übereinstimmung, so intensiv, sie können sich nicht | |
erinnern, wann sie zuletzt sich so als Einheit empfunden hätten. Was auch | |
immer in den vergangenen 18 Jahren geschehen ist, sie haben ihr Kind | |
geliebt. Sie haben es gut gemacht. Wenn es jetzt huren will – sie sind | |
nicht schuld. Auf Traumatisierung kann sich die Sohntochter nicht | |
rausreden. Und so sprechen sie es aus. | |
Echt jetzt, sagt die Sohntochter? Ihr schickt mich wirklich so einfach auf | |
den Strich? Ihr lasst es laufen? Damit ihr bei euren langweiligen Freunden | |
was zu erzählen habt? Habt ihr sie noch alle, ihr Schweine? | |
22 Nov 2013 | |
## AUTOREN | |
Ambros Waibel | |
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