# taz.de -- Kolumne Blicke: Das Schwein meiner Wahl | |
> In den letzten Wochen ist die Politik mal wieder zudringlich geworden – | |
> da tut ein guter Braten Wunder. Er darf nur nicht zu klein sein. | |
Bild: Allein fühlt er sich nicht wohl, der Schweinsbraten. | |
Erinnert sich noch jemand an Johannes Rau? Also nicht an den verdienten | |
Funktionär der Bundesrepublik Deutschland, sondern an den großen Dichter | |
und Denker, dessen Werke uns noch immer schöner und klüger machen? | |
Und doch hatte sich Johannes Rau ausdrücklich gewünscht, auf dem Berliner | |
Dorotheenstädtischen Friedhof beigesetzt zu werden, in Gesellschaft von | |
Brecht und Hegel, von Anna Seghers und Heiner Müller. Ich nenne das die | |
Hybris der Politik. | |
Für den Wahlabend hatte ich einen Schweinsbraten besorgt, über 1,5 Kilo. | |
Die Fachkraft hinterm Tresen hatte mich skeptisch angeschaut, als ob sie | |
mir nicht zutraute, so viel Stoff auch loszuwerden. Sah ich wie ein | |
verwahrloster Single aus? Anscheinend. Ich befand mich aber auch beim Bio, | |
und da ist der Blick vielleicht immer etwas kritischer, von wegen das | |
landet dann ja doch nur in der Tonne und so. | |
Und als ich da stand, wusste ich ja in der Tat noch nicht, dass ich | |
insgesamt sechs Personen zu bewirten das Vergnügen haben würde: Mir tat der | |
Schweinsbraten einfach leid. Ich dachte, wie er später mickrig in der Röhre | |
liegen würde, wenn ich ihn jetzt in zwei 800 Gramm Stücke teilen ließe. | |
Knapp zwei Pfund – das ist einfach kein Gewicht für einen Schweinsbraten. | |
Da fühlt er sich nicht wohl. Und gibt auch keine gute Soße. | |
Also kaufte ich das Trumm – und was soll ich sagen, es wurde ein herrlicher | |
Braten, saftig, ohne wässrig zu sein, und ein Geschmack, der mich beim | |
ersten Reinbeißen schwören ließ: Wirklich endgültig nie mehr das | |
Todesstress ausdünstende Normalfleisch von Kaiser’s und Co. – wobei ich da | |
nach der Tengelmann-Merkel-Propaganda sowieso keinen Cent mehr lasse. | |
## Zu FDP-mäßig gedacht | |
Ich möchte hier auch zugeben, dass ich mir beim Anrichten einiges von der | |
unglaublich krossen Kruste angeeignet habe. Ich hatte aber auch die ganze | |
Arbeit! Aber ich weiß schon: Das war zu FDP-mäßig gedacht. | |
Kaum war der Braten auf dem Tisch, kamen die ersten Ergebnisse rein. Diese | |
Spannung, diese Balken – das hat etwas sehr Kindgerechtes, und so musste | |
ich dann doch recht energisch zurück zum Tisch bitten, denn einen solchen | |
Braten darf man einfach nicht lau werden lassen, obwohl er natürlich kalt | |
auch sehr gut geschmeckt hätte, wenn denn was übrig geblieben wäre. | |
Biobohnen und -kartoffeln schmolzen mit ihm weg und weniger überraschend | |
dann auch eine Packung Ben-&-Jerry’s-Eis. | |
Dann liefen alle wieder zum Fernseher, aber die Spannung war raus wie die | |
Liberalen. Die Kinder gingen Wrestling spielen, die Erwachsenen über zu | |
Bioespresso und einem ganz harten Biodigestiv aus dem Gargano, den jeder | |
probieren muss, der bei mit gegessen hat (jetzt nicht mehr, er ist endlich | |
leer). | |
Der Wahlkampf, der für uns in Medienberufen Tätige schon deswegen | |
nervenzehrend gewesen war, weil wir hautnah hatten miterleben müssen, wie | |
unabhängige Journalisten sich über Nacht zu Presseoffizieren wandelten – er | |
fiel von uns ab. Oder, mit den Worten des verehrten Marcel Reich-Ranicki: | |
„Es muss in diesem Land möglich sein, dass es etwas gibt, woran sich die | |
Politik nicht vergreift.“ | |
27 Sep 2013 | |
## AUTOREN | |
Ambros Waibel | |
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