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# taz.de -- Kolumne Blicke: Zitzenzipfel im Tessin
> In der eurofreien Schweiz weiß man komplexe Individuen und komplizierte
> Sozialbeziehungen noch zu schätzen – auch unter den Tieren.
Bild: Hach. Schön.
Als die Außerirdischen mit ihrem Ufo über der Schweiz schweben, beamen sie
einen der Bewohner zu Forschungszwecken hoch. Sie öffnen seinen Schädel,
sehen sich dort aber mit einem solchen Gewirr von Drähten, Schaltern und
Kontakten konfrontiert, dass sie den Deckel schnell wieder zumachen und das
Versuchsobjekt laufen lassen.
Im Luftraum des großen Nachbarkantons angekommen, haben sie mehr Glück:
Durch den Schädel des untersuchten deutschen Menschen läuft nur ein
einziger Draht. Neugierig zwicken die Außerirdischen ihn durch.
Und die Ohren fallen ab.
Solch lustige Geschichten erzählte man sich abends in den Tessiner Bergen,
wenn das Tagwerk getan ist. Und was wir alles taten und lernten! Wie man
Heu macht, wie man mit ihm den Hang herunterrutscht und was man
anschließend mit seinen wunden Füßen tut. Gewaltige Bündel ließen wir uns
auf den Rücken schnallen, Farn, der im Winter eingestreut wird, weil er gut
gegen Rheuma ist - worunter auch unsere vierbeinigen Freunde leiden!
## Depressiver Bock
Überhaupt lehrten uns die Älpler Jonas und Lilly, welch komplizierten
Sozialbeziehungen auf ihrem Hof herrschen: Der Ziegenbock depressiv, weil
ihn der einjährige Stier einfach hatte auflaufen lassen; der Stier wiederum
unermüdlich nach Milch brüllend, weil seine Mutter schon ein neues Kälbchen
zu stillen hatte; das Kälbchen selbst dabei so wacklig, dass es sich der
Fliegen nicht erwehren konnte, die ihm ihre Eier ins Fell legten - wir
hoffen auf sein Überleben: Denn, sagt Jonas, wenn man mit Antibiotika erst
mal anfängt bei den Viechern, dann gibt es kein Halten mehr.
Wie dankbar still stehen die Milchkühe, wenn man die Pferdebremsen
erschlägt! Beim Melken allerdings ist ihre Geduld bald erschöpft, aber,
sagt Jonas, man darf nicht fluchen, wenn sie den Milcheimer umkippen: Das
kränkt sie!
Melken war das meine ohnehin nicht so. Als heterosexueller Mann hat man ja
sein Leben lang nur seinen eigenen Schwanz in der Hand gehabt, klar, dass
man aus fremden, schlaffen Zitzenzipfeln nur höchst ungeschickt ein paar
Tröpfchen herausholt.
Der Sohn hatte es mehr mit den Zweibeinern, er fand heraus, welche Hühner
sich auf den Arm nehmen ließen, und wurde von Jonas gewarnt, den Hahn nicht
zu ärgern: Ein Schüler, der das bei einem Ferienlager nicht hatte lassen
können, wurde in der Folge vom Herrscher der Hennen so heftig attackiert,
dass er weitläufige Umwege auf dem Gang zum Plumpsklo in Kauf nehmen
musste: Da soll noch einer vom blöden Huhn reden!
Vielleicht sind uns auch darin die Schweizer voraus, wie ja dort überhaupt
alles sehr viel schöner ist, von der Pünktlichkeit der Postbusse bis zur
überhaupt nicht rauchfreien Bahnhofshalle in Zürich. Und was für hübsche
eigene Geldscheine sie haben!
Dass man die Grenze zur EU, also zu Italien überschritten hat, merkt man
dann an einem verrosteten Stacheldrahttor, das einst Schmuggler und
Partisanen aufhalten sollte - sowie an der unvermeidlichen
Plastikwasserflasche inmitten süßer Walderdbeeren: Da hatte uns die Krise
wieder.
6 Aug 2013
## AUTOREN
Ambros Waibel
## TAGS
Schweiß
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Euro
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Eurokrise
Oktoberfest
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