# taz.de -- Prozess Oktoberfest-Attentat: „Mein Vater hat Tote einkalkuliert�… | |
> Andreas Kramer sagt, Einheiten der Nato seien beim Attentat aufs | |
> Oktoberfest 1980 dabei gewesen. Er erzählt von seinem Vater, einem | |
> Elitesoldaten und Sprengmeister. | |
Bild: Spurensicherung am Tatort. Beim Bombenanschlag auf dem Oktoberfest kamen … | |
Es ist der 27. September 1980, 7.15 Uhr. Meine Mutter, meine Brüder und ich | |
sitzen beim Frühstück in München-Schwabing. Ich bin seit drei Tagen 12 | |
Jahre alt und schlecht gelaunt: Meine Freunde sind am Tag zuvor aufs | |
Oktoberfest gegangen – nur ich muss warten, bis die Familie hingeht. Wie | |
immer hören wir Bayern 3, wie immer ist es losgegangen mit Cat Stevens’ | |
„Morning has broken“. Aber sonst ist heute alles anders. | |
Zwischen hektischen Stimmen aus dem Radio, meiner Mutter, die aufhört, die | |
Haferflocken zu rühren, und meinen Brüdern, die sich nicht mehr gegenseitig | |
ärgern, begreife ich: Eine Bombe ist hochgegangen. Was ist mit meinen | |
Freunden? Wer tut so was? Ich lerne das Wort „perfide“ – meine Mutter | |
wiederholt es immer wieder. | |
Und während es derzeit in München, beim NSU-Prozess, wieder um Perfides | |
geht, hat der Historiker Andreas Kramer in Luxemburg vor Gericht und mir am | |
Telefon seine Version der Hintergründe des Attentats erzählt. Kramer ist | |
aufgeregt, wir sprechen lange. Am Ende bin ich erschöpft. Ich denke an den | |
Morgen des 27. September. Andreas Kramer sollte zu Wort kommen. | |
taz: Herr Kramer, Sie haben beim „Bombenleger“-Prozess in Luxemburg unter | |
Eid ausgesagt, Ihr Vater habe den Sprengstoff für den Anschlag auf das | |
Oktoberfest 1980 geliefert. Und das im Auftrag der geheimen „Gladio/Stay | |
behind“-Truppe der Nato. Wie kommen Sie zu dieser Aussage? | |
Andreas Kramer: Mein Vater war „Gladio/Stay behind“-Offizier mit dem | |
Codenamen „Cello“ und Mitarbeiter des BND, von dem er 1965 angeworben | |
wurde. Er hat offiziell im Rang eines Hauptmanns als Logistiker in der | |
Abteilung G4 des Streitkräfteamts der Bundeswehr, das zum | |
Bundesverteidigungsministerium in Bonn gehörte, gedient. | |
Mein Vater leitete mehr als 50 Materiallager der Nato-Geheimarmee in | |
Deutschland. Eines davon war das Lager Uelzen, das 1981 entdeckt wurde. | |
Mein Vater wollte mich als Operationsleiter für „Gladio/Stay | |
behind“-Einsätze aufbauen und hat mit mir die Fernsehbeiträge, welche die | |
Anschläge in Deutschland, also München, und Italien, also der in Bologna am | |
2. August 1980, betrafen, besprochen und analysiert. Ich habe ihm damals | |
kritische Fragen gestellt, um Informationen über den Zweck dieser Anschläge | |
zu gewinnen. | |
Warum sollte ein Geheimagent mit seinem halbwüchsigen Sohn über solche | |
Dinge sprechen? | |
Mein Vater konnte niemandem trauen, er hatte keine Freunde. Ich war sein | |
ältester Sohn. Niemand hätte mir 1980 geglaubt, wenn ich mit den brisanten | |
Informationen, die ich besaß, an die Öffentlichkeit gegangen wäre. Und er | |
hat mich bedroht: „Wenn du was erzählst, Junge, bist du dran!“ | |
Ihr Vater war ein Offizier mit rechtsradikalen Ansichten im Dienst der | |
Bundeswehr und des BND? | |
Ja. Aber er war von seiner Ausbildung her hoch intellektuell, er hatte | |
moralische und humanistische Prinzipien, die er aber spätestens nach dem | |
Attentat in München aufgegeben hat. Das klingt merkwürdig. Aber mein Vater | |
war eben eine sehr widersprüchliche Persönlichkeit. Er war ein Elitesoldat | |
– Panzeraufklärer, Heeresbergführer, Fallschirmspringer und Sprengmeister. | |
Was mein Vater anpackte, gelang ihm. Trotzdem sind die von ihm begangenen | |
Straftaten durch nichts zu rechtfertigen. | |
Was wollte der BND konkret von Ihrem Vater? | |
Man suchte Offiziere, die in der Lage waren, bestimmte Logistikaufgaben für | |
„Gladio/Stay behind“ zu erfüllen – da war er die ideale Besetzung. Mein | |
Vater war unter anderem der direkte Vorgesetzte von Heinz Lembke … | |
… ein deutscher Neonazi mit Verbindungen zur „Wehrsportgruppe Hoffmann“, | |
der einen Tag vor seiner Vernehmung wegen möglicher Verwicklung in das | |
Münchner Attentat erhängt in seiner Zelle aufgefunden wurde. | |
Genau, den hat mein Vater angeworben und als Führungsoffizier angeleitet. | |
Haben Sie dazu schriftliche Aufzeichnungen? Oder beruhen Ihre Behauptungen | |
nur auf mündlichen Aussagen Ihres Vaters Ihnen gegenüber? | |
Ich weiß, dass der BND solche Aufzeichnungen besitzt. Mein Vater hat davon | |
gesprochen. | |
Zur Zeit des Attentats auf das Oktoberfest haben Sie in Bonn gelebt? | |
Ja. Mein Vater arbeitete offiziell als Hauptmann im Streitkräfteamt. Er | |
muss trotz der Ministerialzulage ein höheres Gehalt bezogen haben, denn | |
meine Mutter sprach immer in Bezug auf meinen Vater von einem „Hauptmann de | |
luxe“. Das konnte ich später anhand der Unterlagen, die mir vorliegen, | |
feststellen. Er bezog ein weiteres Gehalt vom BND. Mein Vater war ständig | |
unterwegs – in geheimer Mission. | |
Wann ist Ihr Vater bei der Bundeswehr ausgeschieden? | |
1989. Er hat aber für den BND weitergearbeitet. | |
Was spielte Ihr Vater Ihrer Meinung nach für eine Rolle beim Münchner | |
Attentat? | |
Er hat zur „Wehrsportgruppe Hoffmann“ und zu Gundolf Köhler, dem späteren | |
Attentäter, Kontakt aufgenommen, schon bevor diese 1980 vom damaligen | |
Innenminister Gerhart Baum verboten wurde. Die Vorbereitungen für das | |
Attentat begannen 1979. | |
Und als was hat er sich dort präsentiert? | |
Als alter Kamerad, als einer mit Verbindungen, der bereit wäre den Jungs zu | |
helfen, wenn sie mal was richtig Großes durchziehen wollten. Der BND gab | |
dem Anschlag auf das Münchener Oktoberfest 1980 intern den Codenamen | |
„Operation Werwolf“, benannt nach dem SS-Sonderkommando „Werwolf“, das … | |
Zweiten Weltkrieg hinter den feindlichen Linien Attentate und Sabotageakte | |
verübte. | |
Was soll die strategische Absicht der Bombe gewesen sein? | |
Der Einsatz der Bombe sollte dazu beitragen, dass in der westdeutschen | |
Bevölkerung eine Stimmung erzeugt wurde, die eine politische Abwahl der | |
Regierung von Kanzler Helmut Schmidt herbeiführte. Franz Josef Strauß stand | |
schon als Kanzlerkandidat der CSU bereit. In Westdeutschland wurde die | |
klassische „Strategie der Spannung“, wie etwa auch in Italien, angewendet. | |
Woher soll der Sprengstoff für die Bombe gekommen sein? | |
Aus verschiedenen Nato-Depots. Die Bombe durfte ja nicht professionell | |
gebaut wirken. | |
Ist das Attentat dann nach Plan Ihres Vaters verlaufen? | |
Mein Vater hat Todesopfer mit einkalkuliert. Er hatte ja die Bombe mit | |
Köhler und weiteren BND-Agenten in einer Garage in Donaueschingen gebaut. | |
Als mein Vater am Abend des 26. September im Fernsehen sah, was er | |
angerichtet hatte, sagte er zu mir, das habe er nicht gewollt. | |
Worüber war er denn betrübt? | |
Er hat mit 10 bis 50 Menschen gerechnet, die Schaden nehmen. Aber nicht mit | |
13 Toten und über 200 zum Teil schwer Verletzten. | |
Warum gehen Sie erst jetzt an die Öffentlichkeit? | |
Weil die Opfer des Münchner Attentats bis heute nicht die Unterstützung | |
vonseiten des Staates bekommen haben, die sie verdienen. | |
Ihre Geschichte klingt recht abenteuerlich. | |
Ich bin Historiker und nur an Fakten interessiert. Diejenigen, die meine | |
Äußerungen als abenteuerlich abtun, sollen Akten beibringen und zur | |
Aufklärung beitragen. | |
Ist infolge Ihrer Aussagen jemand juristisch gegen Sie vorgegangen? | |
Nein, bis jetzt noch nicht. Die deutschen Behörden täten gut daran, mich | |
bei meiner Aufklärungsarbeit aktiv zu unterstützen. | |
Am Dienstag widmete „Kulturzeit“ auf 3sat Andreas Kramer und dem Komplex | |
„Gladio/Stay behind“ einen Beitrag. Die Sendung ist unter | |
[1][www.3sat.de/kulturzeit] abrufbar | |
7 May 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.3sat.de/mediathek/index.php?display=1&mode=play&obj=36269 | |
## AUTOREN | |
Ambros Waibel | |
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