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# taz.de -- Debatte Wiesn-Attentat: Die "Gladio"-Nazis
> Die Akten der Stasi werfen ein neues Licht auf den schwersten Anschlag in
> der bundesdeutschen Geschichte. Neue Recherchen wären angebracht, aber
> die Staatsanwaltschaft hat alle Beweise vernichtet.
Bild: Demo in Rom – nach rechts offen
Ein Einzeltäter. Diese offizielle Darstellung kommt mir immer wieder in den
Sinn, wenn ich an das Oktoberfestattentat vom 26. September 1980 in München
denke, wenige Tage vor der Bundestagswahl, bei der Franz Josef Strauß so
gerne Bundeskanzler geworden wäre. Dreizehn Menschen verloren ihr Leben am
Eingang zur Wiesn, 211 wurden verletzt.
Der Bombenleger Gundolf Köhler, ein Geologiestudent aus Tübingen mit
nachgewiesenen Kontakten zu rechtsterroristischen Kreisen um die damals
aktive Wehrsportgruppe Hoffmann, soll die Tat allein geplant, die Bombe
allein gebaut und den Anschlag allein ausgeführt haben. Ich habe das damals
nicht geglaubt und ich glaube es heute weniger denn je.
Strauß versuchte unmittelbar nach dem Attentat, den Anschlag der RAF in die
Schuhe zu schieben. Daraus wollte er im Endspurt des Bundestagswahlkampfs
noch Vorteile ziehen. Der damalige bayerische Innenminister Gerold Tandler
hat aber bereits am Tag danach davon gesprochen, dass Angehörige der
Wehrsportgruppe Hoffmann an dem Massenmord auf der Wiesn schuld seien.
Vor Kurzem sind bei der Birthler-Behörde in Berlin umfangreiche Akten über
das Münchner Attentat gefunden worden. Mit interessanten Details. So sollen
damalige Staatssekretäre des Bundesinnenministeriums intern notiert haben,
der Bombenanschlag sei durch rechtsextremistische Kreise inszeniert worden.
Mitglieder der Wehrsportgruppe Hoffmann haben sich nachweislich mehrfach
damit gebrüstet, an dem Anschlag aktiv beteiligt gewesen zu sein. Aber
Strauß versuchte auch Monate nach dem Attentat und nach einem Verbot der
Wehrsportgruppe, ihre Mitglieder als harmlose deutsche Jungens
darzustellen.
Die Wehrsportgruppe Hoffmann war von Spitzeln des Verfassungsschutzes und
anderer Geheimdienste durchsetzt. Und heute kann man in den Unterlagen der
meist bestens informiert gewesenen Hauptabteilung XXII des Ministeriums für
Staatssicherheit der DDR lesen, dass Verfassungsschützer aus Bayern,
Baden-Württemberg und Hessen ausgerechnet 22 Stunden vor dem Attentat in
München eine Operation "Wandervogel" gegen Mitglieder der Wehrsportgruppe
Hoffmann eingeleitet hatten. Ein Schelm, der Böses dabei denkt.
In der Wehrsportgruppe Hoffmann tummelten sich aber nicht nur
Rechtsradikale, Agenten und V-Leute westdeutscher Sicherheitsdienste und
Doppelagenten mit Kontakten zu Staatsicherheitsbehörden der damaligen DDR,
sondern auffallend viele ehemalige und aktive Bundeswehrsoldaten. Darunter
einige mit Sprengstoffkenntnissen, nach den Unterlagen der Stasi auch ein
Bundeswehrsprengmeister. Rechtsradikale Terrorgruppen versuchten damals an
der deutsch-deutschen Grenze, vor allem aber in Westberlin, selbst
gebastelte Bomben gegen DDR-Grenzanlagen einzusetzen.
Einige davon fielen den Behörden der DDR in die Hände, die mit diesem
Material Sprengversuche durchführten. In den Unterlagen der
Birthler-Behörde finden sich Hinweise, wonach die von der DDR geprüften und
gezündeten Sprengsätze auffallend der Bombe ähnelten, die in München
gezündet wurde. Leider gestalten sich weitere Untersuchungen heute mehr als
schwierig, weil die Behörden inzwischen alle Asservaten des Wiesn-Attentats
vernichtet haben.
In Italien hingegen ist die Aufklärung erheblich weiter. Dort bezweifelt
niemand mehr, dass es in den 60er- bis 70er-Jahren europäische, von Nato-
und Geheimdienststrukturen gesteuerte Einheiten gegeben hat, die
Terroranschläge verübten, um sie danach linken Gruppen in die Schuhe zu
schieben und so eine angeblich bevorstehende Machtübernahme sozialistischer
und kommunistischer Kräfte in Westeuropa zu verhindern.
Das Bologna-Attentat vom Sommer 1980 steht für diese Strategie. Sie
bereiteten sich aber auch von Finnland bis Italien als sogenannte
Stay-behind-Einheiten auf einen bewaffneten Untergrundkampf vor, nach einem
angeblich bevorstehenden sowjetischen Einmarsch in Westeuropa. Dazu wurden
Waffen- und Sprengstofflager auch in Westdeutschland angelegt. Die
Staatssicherheit der DDR hatte, so die Unterlagen, den Funkcode der
Stay-behind-Einheiten geknackt und über deren Aktivitäten gut Bescheid
gewusst.
Die in der Birthler-Behörde vorliegenden Karten weisen unter anderem
Stay-behind-Funkorte im Raum Lüneburg auf, in auffallender Nähe zum
damaligen Wohnort und Aktionsraum eines namhaften Mitglieds der
Wehrsportgruppe Hoffmann. Dieser hat nach veröffentlichten Informationen
Waffen- und Sprengstofflager angelegt, mit einem Sprengmeister der
Bundeswehr Anschläge verübt und stand im Verdacht, den Sprengstoff für das
Münchner Attentat besorgt zu haben.
Es ist bis heute völlig ungeklärt, wie das Wiesn-Attentat in diese ganz
Westeuropa umspannenden Aktivitäten der Nato, vieler westeuropäischer und
amerikanischer Geheimdienste und weitverzweigter rechtsradikaler
Terrorgruppen eingebunden war. Es ist ungeklärt, inwieweit dieses Attentat
auch in Westdeutschland einige Tage vor einer Bundestagswahl die Stimmung
zugunsten des Kanzlerkandidaten der Union wenden sollte.
Und unaufgeklärt ist bis heute, weshalb die Ermittlungsbehörden mehr
Energie auf die Beschwichtigung, die Abwehr aller Hinweise auf Netzwerke
und Hintermänner und auch Vertuschung offenkundiger Zusammenhänge verwendet
haben als auf eine umfassende Aufklärung.
Völlig ungeklärt ist ebenfalls, wem der abgerissene Finger gehört, der am
Tatort sichergestellt wurde und der nicht vom Attentäter Köhler stammte.
Damals meldete sich kein Opfer mit einer entsprechenden Verletzung. Von
diesem Finger hat die Polizei einen Abdruck nehmen können und hat
entsprechende übereinstimmende Spuren bei Unterlagen von Köhler gefunden.
Und jetzt, da neue Ermittlungsansätze möglich wären, erklärt die zuständige
Staatsanwaltschaft, nicht nur diesen abgerissenen Finger, sondern auch die
Bombenreste und alle anderen Asservate vernichtet zu haben, trotz
unaufgeklärter Hintergründe und möglicher Mittäter und Hintermänner. Das
blutige Wiesn-Attentat in München ist bis heute nicht aufgeklärt. Kein
Wunder.
28 Jul 2009
## AUTOREN
Jerzy Montag
## TAGS
Italien
Schwerpunkt Rechter Terror
Oktoberfest
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