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# taz.de -- Tote und lebendige Faschisten in Rom: Alte Kameraden
> Das bürgerliche Lager in Italien hat sich nie nach rechts abgegrenzt. Das
> zeigt nicht zuletzt der jüngste Aufmarsch gegen die neue Regierung in
> Rom.
Bild: Demo in Rom – nach rechts offen
ROM taz | Zu Tausenden waren sie am Montag nach Rom gekommen, um das
Abgeordnetenhaus zu umzingeln, um gegen die neue Regierung unter dem alten
Premier Giuseppe Conte zu protestieren. „Diktatur!“ war immer wieder an den
Absperrungen zu hören: die angebliche Diktatur der neuen Koalition zwischen
den Fünf Sternen und der gemäßigt linken Partito Democratico (PD), die
einfach die Macht usurpiert habe, statt den Weg zu Neuwahlen freizumachen.
Zur Demo aufgerufen hatten Giorgia Meloni, Vorsitzende der
postfaschistischen Partei Fratelli d’Italia, und Matteo Salvini, Chef der
Lega. Sie genossen das Bad in der Menge, und sie störten sich kein bisschen
daran, dass viele in jener Menge gerne auch den Arm zum Römischen Gruß
hoben, um gegen die Diktatur, für die Demokratie zu demonstrieren.
Denn ganz offiziell und völlig unbehelligt hatten sich gleich zwei
faschistische Organisationen, [1][Forza Nuova (FN)] und Casa Pound Italia
(CPI), unter die Wutbürger gemischt, ganz offiziell gaben ihre Anführer
Interviews gegen das „Brüsseler Joch“, unter das Italien jetzt falle.
Meloni und Salvini hatten daran nichts auszusetzen, von Berührungsängsten,
wie sie selbst die AfD wenigstens offiziell zeigt, keine Spur.
Warum auch? Salvinis Lega zeigte sich in den letzten Jahren immer wieder
offen auch für Kontakte bis nach ganz rechts außen, von lokalen
Wahlbündnissen bis hin zu einem ausgelassenen Abendessen zwischen Salvini
und den nationalen Anführern der CPI im Jahr 2015.
Schade nur für FN und CPI, dass sie diesen schönen Publicity-Erfolg nicht
richtig posten konnten. Ebenfalls am Montag nämlich, just während die Demo
vor dem Parlament lief, schlossen Facebook und Instragram alle Accounts der
beiden faschistischen Organisationen und ihrer Anführer, weil dort Hass
gepredigt werde: Sie zeigten jene Berührungsängste, von denen ein Salvini
völlig frei ist.
Solche Berührungsängste hatten wenigstens bis 1994, bis zu Silvio
Berlusconis Einstieg in die Politik, offiziell den parlamentarischen
Betrieb Italiens geprägt. Von den Christdemokraten bis zur Kommunistischen
Partei gab es den „Verfassungsbogen“ – draußen blieben die
neofaschistischen Schmuddelkinder vom neofaschistischen MSI, deren
Nachfahren heute unbehelligt bei den Demonstrationen der Lega erscheinen
können.
Doch dass auch damals die klare Abschottung gegen rechts mehr Schein als
Sein war – dafür steht der Name eines Mannes, der am Dienstag im Alter von
83 Jahren in Rom starb: Stefano Delle Chiaie.
Im parlamentarischen Betrieb mochten die Faschisten vom MSI isoliert sein –
hinter den Kulissen aber kooperierten staatliche Dienste intensiv mit
ihnen, ob bei der Vorbereitung von Militärputschen wie in den Jahren 1964
und 1970 (die jeweils in letzter Minute abgeblasen wurden) oder bei einem
der dunkelsten Kapitel der italienischen Nachkriegsgeschichte: der
„Strategie der Spannung“.
## Das Attentat von Bologna
Mit ihr wird die Blutspur bezeichnet, die faschistische Attentäter in jenen
Jahren durch Italien zogen, als dort die Linke stark war, beginnend bei dem
Anschlag auf eine Mailänder Bank im Jahr 1969 (zwölf Tote), gipfelnd in der
[2][Bombe im Bahnhof von Bologna] am 2. August 1980 (85 Tote) und endend
1984 mit einem Attentat auf einen Zug (16 Tote).
Die Geheimloge P2, zu der Spitzenmilitärs, Richter, Geheimdienstchefs
gehörten, die mit dem Legen falscher Fährten befassten italienischen
Geheimdienste, die geheime Truppe Gladio (die zum Nato-Netzwerk „Stay
behind“ gehörte), und mit ihnen im Verein neofaschistische Terrorgruppen:
Dies war der Mix derer, die die Strategie der Spannung ins Werk setzten.
Delle Chiaie zum Beispiel geriet schon 1969 nach dem Bombenanschlag von
Mailand ins Visier der Justiz. Er setzte sich erst ins Franco-Spanien, dann
nach Südamerika ab. Dort war er an der Seite Klaus Barbies, des
SS-Schlächters von Lyon, der bolivianischen Militärdiktatur beim Aufbau
einer paramilitärischen Gruppe zu Diensten.
Im Jahr 1987 wird er in Venezuela verhaftet und an Italien ausgeliefert;
eine Beteiligung an den Anschlägen von Mailand oder Bologna allerdings kann
ihm trotz belastender Zeugenaussagen nicht nachgewiesen werden. Bis zuletzt
macht Delle Chiaie weiter, zuletzt als Chef der von ihm gegründeten
Organisation Avanguardia Nazionale. Delle Chiaie traf sich übrigens an der
Seite von Vertretern der Casa Pound im Jahr 2014 mit dem
Lega-Spitzenpolitiker Mario Borghezio auf einer rechtsextremistischen
Tagung in Rom. So schließt sich der Kreis.
10 Sep 2019
## LINKS
[1] /efr/2/
[2] https://www.deutschlandfunk.de/vor-25-jahren-bomben-anschlag-im-bahnhof-von…
## AUTOREN
Michael Braun
## TAGS
Italien
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