| # taz.de -- Rechtstradikale und Impfgegner in Rom: Nicht immun gegen Faschismus | |
| > Italiens Verfassung verbietet faschistische Organisationen. Beim Sturm | |
| > auf eine Gewerkschaftszentrale in Rom wurde klar, wie wenig dieses Verbot | |
| > trägt. | |
| Bild: Sturm auf die Zentrale der Gewerkschaft CGIL in Rom: Szene vom vergangene… | |
| Rom taz | Die Postenkette der Polizei war schnell überrannt, die wenigen | |
| Beamten, die sich noch vor dem Eingang in den Weg stellten, wurden mit | |
| Fahnenstangen zur Seite geprügelt, Scheiben gingen zu Bruch – und dann | |
| strömten Dutzende Demonstrant*innen ins Innere des Gebäudes. | |
| Es war Capitol Hill im Kleinen, was sich am Samstagabend in Rom in der | |
| Zentrale der CGIL, des größten Gewerkschaftsbundes Italiens, abspielte. Ein | |
| entfesselter Mob, in dem auch Gestalten mit nacktem, von Tattoos übersätem | |
| Oberkörper nicht fehlten, stürmte den Gewerkschaftssitz, zertrümmerte das | |
| Mobiliar und die Computer, beschädigte auch diverse wertvolle Gemälde, die | |
| an den Wänden hingen. | |
| Und ganz wie im Januar in Washington wurden jetzt auch in Rom die Videos | |
| des Sturms in Echtzeit über die Social Media verbreitet. Einer, der sich | |
| dabei gleich selbst filmte, war Biagio Passaro, Manager einer | |
| Pizzeriakette, der zu den Anführern der unter Restaurantbesitzerinnen und | |
| Händlern entstandenen Bewegung „Io apro“ („Ich mache auf“) gehört –… | |
| Bewegung, die den Protest zuerst gegen die Einschränkungen der diversen | |
| Lockdowns entfachte [1][und jetzt gegen den „Grünen Pass“ mobilisiert.] | |
| Auf den Bildern sind allerdings ganz vorne auch Roberto Fiore, Gründer und | |
| Chef der neofaschistischen Organisation Forza Nuova (FN), sowie sein | |
| Mitstreiter Giuliano Castellino, der Häuptling des Stadtverbands Rom von | |
| FN, zu sehen. Ihre Schläger waren die Speerspitze der Attacke auf den | |
| Gewerkschaftssitz. | |
| ## „Freiheit, Freiheit!“ | |
| Es war Querdenken auf Italienisch, inklusive dem bisher nicht erlebten | |
| Schulterschluss zwischen einer offen faschistischen Organisation und | |
| Tausenden Protestierer*innen, die immer wieder beteuern, sie seien | |
| „unpolitisch und parteilos“, ansonsten aber nichts dabei finden, an der | |
| Seite von Fans der faschistischen Diktatur „Freiheit, Freiheit!“ zu grölen. | |
| Am Samstag erreichte dieser Protest eine neue Dimension. Zum Protest – | |
| einem Sit-in auf der zentralen Piazza del Popolo – hatte über die Social | |
| Media die Initiative „Liberi cittadini“ („Freie Bürger“) aufgerufen. D… | |
| Polizei will auf der Piazza 10.000 Menschen gezählt haben, doch es waren | |
| wohl eher 30.000, die aus ganz Italien angereist waren. Am 15. Oktober | |
| nämlich wird in Italien eine weitere Verschärfung der Coronaregeln in Kraft | |
| treten. | |
| Der „Grüne Pass“ – das ist 3G auf Italienisch – wird dann auch an allen | |
| Arbeitsplätzen verbindlich sein. Wer sich nicht impfen lassen will, muss | |
| alle 48 Stunden einen Test vorlegen, für den 15 Euro zu berappen sind. Zwar | |
| sind in Italien über 43 Millionen Menschen und damit fast 75 Prozent schon | |
| komplett geimpft, doch Millionen im erwerbsfähigen Alter sind es (noch) | |
| nicht. Bei vielen von ihnen ist jetzt der Ärger groß, viele sehen den | |
| Grünen Pass als Tyrannei, gegen die man auch an der Seite von Faschisten | |
| kämpfen kann. | |
| „Heute nehmen wir uns Rom“, brüllte der FN-Mann Castellino vom Podium auf | |
| der Piazza del Popolo herunter. Es folgte der Sturm auf die CGIL, dann der | |
| Versuch, zum Sitz des Ministerpräsidenten vorzudringen, ein Versuch, den | |
| die Polizei in stundenlangen Straßenschlachten zurückschlug. | |
| Geschockt zeigt sich jetzt das politische Rom. Der Staatspräsident ebenso | |
| wie alle Parteien bis hin zur rechtspopulistischen Lega und [2][den | |
| postfaschistischen Fratelli d’Italia (FdI – Brüder Italiens)] schickten | |
| Solidaritätsadressen an Maurizio Landini, den Vorsitzenden der CGIL. | |
| Ministerpräsident Mario Draghi stattete der CGIL am Montag demonstrativ | |
| seinen Besuch ab. Doch ausgerechnet die FdI-Chefin Giorgia Meloni sah zwar | |
| „Schlägertum“ am Werk, leugnete aber zugleich den „ideologischen | |
| Hintergrund“, sprich die faschistische Handschrift. Und kaum hatte sie sich | |
| von den Gewalttätern distanziert, redete sie diese zu „einer Handvoll | |
| Idioten, die der Regierung nützlich sind“, klein und sprach ihre | |
| Solidarität umgehend auch „den friedlichen Demonstranten“ aus. | |
| ## Mussolinis Horden | |
| Auch Lega-Chef Matteo Salvini will auf den Protest nichts kommen lassen, | |
| „beeindruckt“ habe ihn das „Meer von Menschen“ auf der Piazza. Den | |
| Faschisten jedoch weht der Wind ins Gesicht. Am Sonntag wurden Fiore und | |
| Castellino festgenommen, die gemäßigt linke Partito Democratico will einen | |
| Entschließungsantrag ins Parlament einbringen, der das Verbot von Forza | |
| Nuova fordert – schließlich untersagt Italiens Verfassung die Tätigkeit | |
| faschistischer Organisationen. | |
| Die gleiche Forderung erheben auch die Gewerkschaften. Sie rufen für den | |
| kommenden Samstag zu einer großen antifaschistischen Demonstration in Rom | |
| auf. Denn anders als Meloni erinnern sie sich bestens daran, dass es vor | |
| exakt 100 Jahren die faschistischen Horden Mussolinis waren, die im | |
| gesamten Land Gewerkschaftssitze stürmten und niederbrannten. | |
| 11 Oct 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Michael Braun | |
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