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# taz.de -- Faschismus in Italien: Schnee von heute
> Italiens Fratelli d’Italia geben sich als vom Faschismus geläutert. Kurz
> vor den Kommunalwahlen tauchte nun ein Video auf, das Zweifel daran
> weckt.
Bild: Öfter mal stinksauer: Giorgia Meloni, hier Ende September auf einer Wahl…
Rom taz | Stinksauer blickt Giorgia Meloni in die Kamera, und was in ihrem
am Sonntag geposteten Facebook-Video folgt, sind sieben Minuten Abrechnung.
Die Vorsitzende der postfaschistischen Fratelli d’Italia (FdI – Brüder
Italiens) hat allen Grund zu schlechter Laune. Schließlich ist einer der
führenden Vertreter ihrer Partei, der EP-Abgeordnete Carlo Fidanza, dabei
gefilmt worden, wie er den Arm zum Römischen Gruß hebt, wie er mit anderen
über Hitler fabuliert, wie seine Gesprächspartner mit dem N*-Wort über
Schwarze herziehen.
Seit Donnerstag ist [1][der inkriminierende Film] öffentlich, seit seiner
Ausstrahlung in dem TV-Politik-Talk „Piazza pulita“. Immer wieder ist
Fidanza mit Roberto Jonghi Lavarini zu sehen, in Mailand einer der
wichtigsten Strippenzieher in der offen neofaschistischen Szene. Der rühmt
sich, gefilmt von der verdeckten Kamera, dass in seinem Netzwerk nicht nur
Freimaurer, sondern auch ein ganzer Schwung von „Bewunderern Hitlers“
mittun.
Dokumentiert hat dies alles ein undercover arbeitender Journalist von
[2][fanpage.it], einem der wichtigsten italienischen Online-Medien. Er
hatte sich vor drei Jahren bei Fidanza und Jonghi Lavarini als Unternehmer
mit rechten Sympathien vorgestellt und das Vertrauen der beiden gewonnen.
Ganz offen plaudern sie denn auch über die Möglichkeit, mit illegalen
Spenden den Wahlkampf einer Kandidatin für den Stadtrat von Mailand zu
befeuern.
Doch Giorgia Meloni will in ihrem Facebook-Post keineswegs mit ihrem
Parteifreund Fidanza und seinem Fascho-Intimus Jonghi Lavarini abrechnen,
mit den faschistischen und rassistischen Ausfällen bei ihren Treffen, mit
den Plänen zur illegalen Parteienfinanzierung. Stattdessen hat sie es mit
dem „Zirkus“ der Medien und nicht genannten dunklen Kräften hinter ihnen,
die ausgerechnet wenige Tage vor den Kommunalwahlen in Italien ihre Partei
miesmachen wollen.
## Angebliche Verschwörung
Für „Rassismus, Antisemitismus, Paranazismus“ sei kein Platz in ihrer
Partei, meinte Meloni sofort nach der Ausstrahlung der
fanpage-Filmaufnahmen kurz und bündig. Daran fällt nicht nur auf, dass das
Wort „Faschismus“ in der Aufzählung fehlt. Ebenfalls fällt auf, dass sie
sich ansonsten nur an der angeblichen Verschwörung gegen ihre Partei
abarbeitet.
Einer Partei, die mittlerweile in vielen Meinungsumfragen mit über 20
Prozent zur stärksten politischen Kraft Italiens aufgestiegen ist und dabei
ist, der ebenfalls stramm rechtspopulistischen Lega unter [3][Matteo
Salvini] den Rang als Nummer eins im Rechtslager abzulaufen. Alles lief
blendend in den letzten Monaten: FdI ist die einzige relevante
Oppositionspartei gegen die Regierung unter Mario Draghi (die auch von der
Lega gestützt wird) und kann den Unmut – sowohl gegen die Coronapolitik als
auch gegen die sozialen Krisenfolgen – besser als Salvini einsammeln.
## Faschistische Wurzeln
Niemand redete da groß über die faschistischen Wurzeln der „Brüder
Italiens“. Eigentlich schien 2009 das Ende der Postfaschisten in Italien
gekommen, als die Alleanza Nazionale im von Silvio Berlusconi geführten
Popolo della Libertà aufging. Doch Giorgia Meloni und einige Mitstreiter
wollten sich damit nicht abfinden, hoben Ende 2012 die FdI aus der Taufe.
Wo sie herkamen, zeigten sie gleich im Parteisymbol. Dort prangt die Fiamma
tricolore, die Flamme in den Farben Italiens, seit 1946 war sie das Symbol
der Neofaschisten gewesen.
Doch ansonsten tat Meloni immer so, als sei der Faschismus Schnee von
gestern. Dumm nur, dass immer wieder Politiker:innen und
Kandidat:innen auf lokaler oder regionaler Ebene auffallen, die das
anders sehen. Zum Beispiel die Regionalministerin für Schulwesen im Veneto,
die in einer Radiosendung ganz unbekümmert das alte faschistische Lied
„Faccetta nera“ trällert. Zum Beispiel der heutige Präsident der Region
Marken, der kurz vor seiner Wahl bei einem Abendessen zum Gedenken an
Mussolinis Marsch auf Rom dabei war. Und Meloni? Sie zuckt jedes Mal mit
den Schultern – gedenkt aber ihrerseits gerne in ihren Nachrufen
gestorbener Altfaschisten mit den Worten, sie hätten immer für „die Idee“
gekämpft.
Für sich selbst macht Meloni dagegen die Gnade der späten Geburt geltend:
„Ich bin 1977 geboren, ich war nie Faschistin.“ Doch an den Fascho-Szenen
ihres Parteifreunds Fidanza, die jetzt ausgestrahlt wurden, stören sie
weniger dessen Auftritt als die Tatsache, dass da „10 Minuten aus 100
Stunden Filmmaterial“ zusammengeschnitten wurden, willkürlich natürlich.
So kann man auch vorbeireden an dem einen Schnitt, den sie partout nicht
tun will: dem mit der faschistischen Vergangenheit. Nach außen geleugnet,
nach innen von vielen ihrer Mitstreiter*innen fleißig weitergepflegt.
5 Oct 2021
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=5kToJIMiDnE
[2] https://www.fanpage.it/
[3] /Matteo-Salvini-in-Italien-vor-Gericht/!5800946
## AUTOREN
Michael Braun
## TAGS
Italien
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Schwerpunkt Coronavirus
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