# taz.de -- Koalitionsverhandlungen von CDU und SPD: So schwarz sieht Berlin | |
> Tempelhofer Feld, Religionsunterricht, Neubau: Langsam zeigen sich die | |
> Differenzen zu Rot-Grün-Rot – wobei CDU und SPD auch einiges übernommen | |
> haben. | |
Bild: Soll Dynamik ausstrahlen: Giffey und Wegner am Freitag auf dem Weg zu den… | |
BERLIN taz | Der Countdown für den Wechsel [1][zu einer CDU-SPD-Regierung | |
in Berlin] läuft: „Wir werden uns heute einigen“, verspricht | |
CDU-Spitzenkandidat und -Parteichef Kai Wegner an diesem Freitagmorgen im | |
Abgeordnetenhaus vor Journalist*innen. Und fügt hinzu: „Am 3. April stellen | |
wir den Koalitionsvertrag vor.“ | |
Daran hatte es auch schon vor dieser voraussichtlich letzten inhaltlichen | |
Verhandlungsrunde kaum Zweifel gegeben. Zu glatt liefen seit drei Wochen | |
die Gespräche, [2][zu euphorisch klangen die Kommentare von beiden Seiten] | |
– etwa, was die Atmosphäre angeht. Es gebe, betont Wegner erneut, eine | |
„Einigung im Grundverständnis“, wie diese Koalition funktionieren könne: | |
Man wolle „kein Gegeneinander, sondern ein Miteinander“. | |
Das ist zwar erst einmal nicht mehr als eine klassische politische Phrase, | |
die angesichts ihrer Selbstverständlichkeit kaum belastbar ist, zugleich | |
aber auch ein Seitenhieb auf Rot-Grün-Rot. Dort lief es zuletzt [3][vor | |
allem zwischen Grünen und SPD] und den beiden Spitzenfrauen Franziska | |
Giffey (SPD) und Bettina Jarasch (Grüne) alles andere als rund. | |
Auf der Zielgeraden der Verhandlungen an diesem Freitag müssen wie üblich | |
noch die Finanzen geklärt werden – was angesichts der bisher angekündigten | |
milliardenschweren Ausgaben von Schwarz-Rot noch zu Reibungen führen | |
könnte. Personalfragen, sprich: wer die zehn Senator*innen sein werden, | |
will man erst am Samstag regeln. Derweil gilt bereits als sicher, dass CDU | |
und SPD je fünf Regierungsposten bekommen – ein Sieg der | |
Sozialdemokrat*innen, die bei der Wiederholungswahl am 12. Februar immerhin | |
mit nur 18 Prozent glatte zehn Prozentpunkte hinter der CDU lagen. Dieser | |
große Vorsprung der Union drückt sich im Senat dann nur darin aus, dass sie | |
mit Wegner zudem den Regierenden Bürgermeister stellt. | |
Derweil belegen mehr und mehr Details aus den Verhandlungen, dass der | |
Koalitionsvertrag in weiten Teilen aus dem SPD-Programm entnommen sein | |
könnte, inklusive Wortwahl. So kündigt Wegner ein „Schneller-Bauen-Gesetz“ | |
an, was an Giffeysche Wortschöpfungen wie das berühmte „Gute-Kita-Gesetz“ | |
aus ihrer Zeit als Bundesfamilienministerin erinnert – ein | |
„Langsamer-Bauen-Gesetz“ würde wohl kaum jemand als Name wählen. | |
## Jetzt doch: 20.000 Wohnungen | |
Ziel soll es sein, die schon unter Rot-Grün-Rot gewünschten 20.000 neuen | |
Wohnungen endlich zu errichten – ein Anspruch, den SPD-Bausenator Andreas | |
Geisel und Giffey, die das Bauen zur „Chefinnensache“ gemacht hatte, | |
[4][zuletzt deutlich verfehlten]. Angesichts der lahmenden privaten | |
Bauwirtschaft halten Expert*innen die Zielzahl weiterhin für sehr | |
ambitioniert. | |
Um sie zu erreichen, sollen Auflagen für Investor*innen gestrichen, die | |
Bauordnung ausgemistet und das unter Rot-Grün-Rot vor allem von der | |
Regierenden vorangetriebene Wohnungsbaubündnis mit landeseigenen und | |
privaten Wohnungsbauunternehmen weiterentwickelt werden. Letzteres wird von | |
Grünen, Linken und Mieter*innenverbänden schon lange als symbolische | |
Luftnummer kritisiert. | |
Was die Auflagen, etwa für Klimaschutz, angeht, wolle man wegkommen vom | |
Fordern und „übermäßigen Regelungen“ hin zum Fördern, betont | |
CDU-Generalsekretär und Mitverhandler Stefan Evers. Er spricht gar von | |
einer „neuen Dimension von Beschleunigung.“ Auch will man vor allem | |
Familien mit Kindern und einkommensschwachen Berliner*innen durch | |
finanzielle Unterstützung ermöglichen, Eigentumswohnungen zu erwerben; ein | |
Teil der neu zu bauenden Wohnungen soll dafür reserviert sein. Wer mag, | |
kann hier die Handschrift der CDU lesen. | |
Das ebenfalls gewünschte Wohnungskataster – also ein Verzeichnis aller | |
bestehenden Wohnungen dieser Art – [5][steht wiederum bereits im | |
rot-grün-roten Vertrag,] ohne dass der Bausenator zuletzt besonderes | |
Engagement zeigte, darauf hinzuarbeiten. Zugleich kündigen CDU und SPD ein | |
Ankaufprogramm für weitere 15.000 Wohnungen an; derzeit sind rund 400.000 | |
landeseigen. Auch das ist nicht neu. Und wie bisher soll der Schutz der | |
Mieter*innen „im Mittelpunkt“ stehen. | |
## Angriff auf die Nachbarkieze | |
Klar ist inzwischen der [6][Umgang mit dem Tempelhofer Feld], seit der | |
Schließung des Flughafens ein großer Park, auf dem es laut erfolgreichem | |
Volksentscheid von 2014 verboten ist, etwas zu verändern. CDU und SPD | |
wollen dennoch seit Langem gern die Ränder mit Wohnungen bebauen, wohl | |
wissend, dass das vor allem ein symbolischer Angriff auf die benachbarten, | |
stark alternativ geprägten Altbau-Kieze wäre. Platz für mehr als 200.000 | |
Wohnungen gäbe es ausgewiesenermaßen bereits an anderer Stelle. | |
Um doch noch voraussichtlich rund 5.000 neue Wohnungen an dieser Stelle | |
durchzudrücken, will das Land laut Franziska Giffey einen „internationalen | |
städtebaulichen Wettbewerb“ auf den Weg bringen, in der Hoffnung, dass die | |
Entwürfe soziale Elemente und Klimaschutz vereinbaren und so die | |
Berliner*innen überzeugen. Denn das Ergebnis soll „der Bevölkerung“ | |
erneut zur Abstimmung vorgelegt werden. | |
Wie genau das funktionieren soll und ob es sich um ein bindendes Votum | |
handelt, wofür die Verfassung geändert werden müsste, ist bislang unklar – | |
vielleicht sogar noch am Montag. Genauso ist offen, wann und ob es zu einer | |
Abstimmung überhaupt noch in der laufenden Legislaturperiode kommen könnte. | |
Die endet, weil es sich am 12. Februar um eine Wiederholungs- und keine | |
Neuwahl gehandelt hat, bereits im Herbst 2026. | |
Hinter dem Zeitplan zurück hängt die Koalition offenbar auch bei einem | |
Lieblingsprojekt der SPD, [7][dem 29-Euro-Ticket für den ÖPNV] auf Berliner | |
Tarifgebiet. Die bisherige Regelung läuft Ende April aus. Eine weitere | |
Verlängerung haben CDU und SPD zwar beschlossen, allerdings stellt sich der | |
Tarifverbund von Berlin und Brandenburg VBB quer. Auch die BVG sieht sich | |
derzeit wegen der Einführung des Deutschlandtickets nicht imstande, ein | |
weiteres Ticket vor 2024 einzuführen. | |
## Ja zum Auto | |
SPD-Parteichef Raed Saleh hat [8][im taz-Interview eine „schnelle Lösung“] | |
mit Blick auf den VBB gefordert, passiert ist bisher offenbar nichts. So | |
heißt es denn am Freitag auch lapidar, man wolle vor allem Anreize | |
schaffen, auf den ÖPNV umzusteigen. Wegner kündigt zudem dessen Ausbau | |
nicht nur jenseits des S-Bahn-Rings an, betont aber zugleich, dass man auch | |
„Ja sage zum Individualverkehr“, sprich: Autos. Man wolle sich für „smar… | |
Lösungen und grüne Wellen“ einsetzen. Insgesamt werde im Verkehrsbereich | |
„richtig viel passieren“. | |
Für Wirbel sorgen derweil Pläne, an weiterführenden Schulen ein benotetes | |
Wahlpflichtfach „Weltanschauung und Religion“ einzuführen. Bisher wird | |
Religion nicht bewertet, ab Klasse sieben ist Ethik verpflichtend. Giffey | |
ist am Freitag sichtlich bemüht, dem Eindruck entgegenzuwirken, dass damit | |
zum Beispiel christlicher Religionsunterricht gestärkt werde. „Das Fach | |
Ethik bleibt in seiner bisherigen Form erhalten“, betont sie und fordert | |
zugleich eine „Richtigstellung“ von den Medien – ein eher ungewöhnlicher | |
Vorgang, zumindest in dieser Öffentlichkeit. | |
Das deutet darauf hin, wie unsicher man in der SPD ist, ob der | |
Koalitionsvertrag von den eigenen Mitgliedern angenommen wird. Sie müssen | |
ihm in einer nächste Woche startenden Befragung zustimmen. Zwar hat die SPD | |
durchaus viele inhaltliche Punkte durchgesetzt. Bei Sitzungen der | |
Kreisverbände zeigte sich zuletzt dennoch [9][eine große Skepsis bis hin zu | |
offener Ablehnung] grundsätzlicher Art. Trotz großer Einigkeit in den | |
Verhandlungsteams besteht also weiterhin die Möglichkeit, dass die | |
Koalition vorbei ist, bevor sie begonnen hat. Am 23. April soll das | |
Ergebnis der SPD-Urabstimmung vorliegen. | |
31 Mar 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Koalitionsverhandlungen-in-Berlin/!5921996 | |
[2] /Koalitionsverhandlungen-von-CDU-und-SPD/!5924192 | |
[3] /Streit-zwischen-Gruenen-und-SPD-in-Berlin/!5916392 | |
[4] /Wohnungspolitik-der-Berliner-SPD/!5910042 | |
[5] /Die-Zeit-nach-dem-Mietendeckel/!5694165 | |
[6] /SPD-Chef-zu-Koalitionsverhandlungen/!5921942 | |
[7] /Guenstige-Berliner-Nahverkehrsangebote/!5921748 | |
[8] /SPD-Chef-zu-Koalitionsverhandlungen/!5921942 | |
[9] /SPD-streitet-ueber-Schwarz-Rot/!5923938 | |
## AUTOREN | |
Bert Schulz | |
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