# taz.de -- Kinderheim in Brandenburg: Neustart nicht gelungen | |
> Dem Kinderheim „Neustart“ droht die Schließung. Nun stellt sich auch noch | |
> heraus: Ein Rechtsextremer arbeitete dort als Erzieher. | |
Bild: Tief im Wald bei Jänschwalde: das Kinderheim „Neustart“ | |
BERLIN/HAMBURG/POTSDAM taz | Wie geht es weiter mit dem Kinderheim | |
„Neustart“ in Jänschwalde? Gut vier Monate ist es nun her, dass die taz | |
über schikanöse Methoden in dem Brandenburger Kinderheim berichtete und das | |
dortige Jugendministerium einen Aufnahmestopp verhängte. | |
Während die Heimaufsicht in Potsdam darüber brütet, ob es den normalen | |
Betrieb des Heims in den Forstwäldern bei Jänschwalde wieder erlauben kann, | |
haben sich kurz vor Weihnachten erneut nach und nach mehrere Jugendliche | |
bei der taz gemeldet, um die Zustände dort anzuprangern. | |
Mittlerweile hat die taz mit insgesamt acht Jugendlichen gesprochen, die in | |
der Einrichtung des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB) Lübben gewohnt haben | |
oder zum Teil noch wohnen. Laut Aussagen der Jugendlichen haben sich die | |
Zustände dort nur geringfügig verbessert. Die Stimmung sei mies. Die | |
Jugendlichen wollten, dass das Heim geschlossen werde – auch damit andere | |
Kinder nicht das durchmachen müssen, was sie dort erlebt hätten. Zudem | |
gewinnt man aus den Gesprächen den Eindruck, dass die Erzieher zunehmend | |
Druck auf Jugendliche ausüben – auch um zu verhindern, dass diese sich an | |
die Öffentlichkeit wenden. | |
## Betten ohne Matratze | |
Zur Erinnerung: [1][Der taz-Artikel „Hinter Milchglas“ vom 23. September] | |
führte zu sofortigen Auflagen des Ministeriums. Jugendliche waren in einer | |
Eingangsphase in ihren Zimmern isoliert, hatten Milchglasfolie an den | |
Fenstern und tagsüber keine Matratze auf dem Bett. Sie erzählten von | |
strengen Frageritualen, abgeschlossenen Türen und einzelnen Übergriffen. | |
Das Bildungsministerium von Britta Ernst (SPD) reagierte Anfang Oktober | |
zudem mit [2][einem Aufnahmestopp und weiteren Auflagen]: ein Mitarbeiter | |
wurde beurlaubt, die strenge Eingangsphase unterbunden. Es ging um die | |
Sicherung des Kindeswohls. | |
Die Untersuchungen der Heimaufsicht in Potsdam dauern seither an. Laut | |
Ministerium soll ein Bericht über die Geschehnisse bis Anfang Februar | |
vorliegen. Ohne Aufhebung des Aufnahmestopps würde das Heim leerlaufen. | |
Nach Berichten der Jugendlichen sind viele entlassen worden und nur noch | |
knapp ein Dutzend Bewohner in dem Heim, das für 30 Kinder und Jugendliche | |
zwischen 12 und 17 Jahren vorgesehen ist. | |
Sicher ist der Ausgang noch nicht, wie es kürzlich im Bildungsausschuss im | |
brandenburgischen Landtag hieß. Volker-Gerd Westphal, Referatsleiter der | |
Abteilung Kinder und Jugend, sagte dort, dass es nach der Prüfung, ob die | |
erteilten Auflagen auch eingehalten wurden, „erneut Diskussionsbedarf mit | |
der Einrichtung“ gegeben habe. „Wir sind mit der Einrichtung in Jänschwalde | |
noch nicht durch. Da ist noch weiterer Prüfbedarf gegeben. Die Auflagen | |
gelten fort“, sagte Westphal. Man werde nochmals „differenzierte Auflagen“ | |
erteilen. | |
## Angst vor Wildschweinen | |
Hinzu kommen nun neue Vorwürfe: Ehemalige und aktuelle Bewohner:innen | |
berichten uns, dass es seit etwa zwei Monaten neue Schikanen gebe. So liegt | |
das Heim mitten im Wald. Hätten die Betreuer jene Jugendlichen, die | |
auswärts zu Schule gehen, früher mit dem Auto zum Bahnhof gefahren, müssten | |
einige von ihnen diesen Weg nun morgens um 6 Uhr früh im Dunkeln zu Fuß | |
gehen. Der Weg dauere 20 bis 25 Minuten. Bewohner hätten Angst, weil dort | |
Wildschweine herumliefen und ihnen häufiger schon direkt begegnet seien. | |
Die Kinder wie zuvor zu fahren, hätten die Betreuer allerdings abgelehnt – | |
sie seien ja kein Taxi-Unternehmen, hätte es geheißen. | |
Zudem hätte sich die verbesserte Lage nach den ersten Auflagen durch die | |
Heimaufsicht zum Teil wieder verschlechtert. Zwar ist die „Gruppe 1“ mit | |
der strengen Aufnahmephase noch geschlossen. Doch die auch recht strenge | |
„Gruppe 2“ gibt es noch. Die Bewohner dort hätten zwar kurzfristig Ausgang | |
gehabt, aber das sei wieder verboten worden. Fenster könnten nicht von den | |
Bewohnern geöffnet werden, die Jugendlichen würden im Heim beschult und | |
kämen wenig raus. | |
Die taz befragte Anfang Januar das Ministerium zu diesen Vorwürfen, etwa ob | |
die Wildschwein-Begegnung auf dem Schulweg zumutbar sei. Noch während wir | |
auf die Antwort warten, spitzt sich die Lage vergangenen Sonntag zu: Eine | |
ehemalige Bewohnerin berichtet darüber, dass ein Mädchen in der Einrichtung | |
von einem anderen Bewohner verprügelt wurde. Das Mädchen habe Verletzungen | |
und Schmerzen gehabt und noch am Abend zum Arzt gewollt, die Erzieher | |
hätten das allerdings nicht unterstützt und sie sogar tags drauf zur Schule | |
geschickt. Mittlerweile – auch dazu schickte die taz prompt eine Anfrage | |
ans Ministerium – war das Mädchen wohl beim Arzt und soll von dort sogar | |
ein paar Tage ins Krankenhaus gekommen sein. | |
Das Ministerium teilt nur knapp mit, auch diese neuen Vorgänge würden nun | |
wiederum „geprüft“. Den dunklen Schulweg mit Wildschweinen findet man dort | |
offenbar nicht so schlimm. Zu den anderen Vorwürfen äußert sich die Behörde | |
nicht, bestätigt aber immerhin, dass es an besagtem Tag einen „Vorfall gab, | |
der meldepflichtig ist“. Die Klärung durch die Heimaufsicht „dauert derzeit | |
an“, so die Sprecherin. | |
Auch der Geschäftsführer des ASB-Lübben, Sven Meier, schreibt auf | |
taz-Anfrage: Der „beschriebene Vorfall vom vergangenen Wochenende wurde, | |
wie jeder Vorfall, dem Ministerium gemeldet“. Unklar bleibt, was genau | |
passierte – abgesehen davon, dass das Mädchen erst spät zu einem Arzt kam | |
und mehrere Tage im Krankenhaus blieb. Die durchaus heftige Beschreibung | |
des mutmaßlichen Tathergangs durch die ehemalige Bewohnerin könne Meier | |
jedenfalls nicht bestätigen, schreibt er. | |
## Mitarbeiter beurlaubt | |
Ein anderes nicht unwichtiges Detail allerdings bestätigt der | |
ASB-Geschäftsführer. Bei dem im Zuge der Prüfungen und Auflagen durch das | |
Ministerium beurlaubten Mitarbeiter handelte es sich um einen Markus W., | |
der zugleich eine Größe der Cottbusser rechten Szene ist, wie die taz nun | |
erfuhr. Er ist führendes Mitglied der dortigen vom Verfassungsschutz als | |
rechtsextrem eingestuften Identitären Bewegung. | |
Um das zu erfahren, muss man nur seinen Namen googeln: Bilder von ihm | |
finden sich auch auf der Website der Identitären. Er arbeitete bis | |
September in dem Jugendheim „Neustart“ des ASB Lübben. | |
Geschäftsführer Meier sagt dazu: „Zum Zeitpunkt der Beurlaubung hatten wir | |
keine Kenntnis von den privaten Aktivitäten des Herrn W.“. Mit dem jetzigen | |
Kenntnisstand und Ws. politischer und gesellschaftlicher Gesinnung, sagt | |
Meier, „ist eine Weiterbeschäftigung des Herrn W. unter keinen Umständen | |
denkbar“. | |
Im Zusammenhang mit dem Heim bestätigt die Staatsanwaltschaft Cottbus | |
Ermittlungen wegen des Verdachts auf Körperverletzung gegen W. Auch gegen | |
einen ehemaligen Bewohner werde ermittelt – hier ebenfalls wegen | |
Körperverletzung, diesmal zum Nachteil W.s. Die Ermittlungen in beiden | |
Fällen dauerten an. Zudem warte man noch auf den Abschluss der Prüfungen | |
durch das Bildungsministerium. | |
Dort fiel ebenso wenig auf, dass ein Identitärer mit der Erziehung von | |
Jugendlichen betreut war. Immerhin jedoch hält das Ministerium | |
Rechtsextreme nicht für geeignete Erzieher, wie es mitteilt: „Personen, die | |
rechtsextremen Organisationen angehören oder diese nachweisbar | |
unterstützen, sind für eine Tätigkeit in einer Einrichtung der Kinder- und | |
Jugendhilfe fachlich ungeeignet – Fachkräfte sollten sich zur freiheitlich | |
demokratischen Grundordnung in Deutschland bekennen.“ | |
20 Jan 2020 | |
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## AUTOREN | |
Gareth Joswig | |
Kaija Kutter | |
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