# taz.de -- Kinderheime in Brandenburg: „Da fehlen mir die Worte“ | |
> Teilschließungen von Heimen in Brandenburg sind nicht ausreichend, sagt | |
> Karuna-Geschäftsführer Jörg Richert, zum Heim Neustart in Jänschwalde. | |
Bild: Karuna-Geschäftsführer Jörg Richert kritisiert das Vorgehen der Brande… | |
taz: Herr Richert, Brandenburgs Jugendministerin Britta Ernst hat dem Heim | |
Neustart in Jänschwalde eine Teilschließung verordnet. Warum halten Sie das | |
für falsch? | |
Jörg Richert: Wir haben den [1][Bericht des Ministeriums] über das Heim | |
vorliegen. Die groben Verstöße lassen auf einen Träger schließen, der ein | |
zu missbilligendes falsches Verständnis von pädagogischer Arbeit hat. | |
Deshalb reicht es nicht, dort nur Gruppe 1 und 2 zu schließen und die | |
Gruppen 3 und 4 weiterlaufen zu lassen. Die pädagogische Haltung und die | |
ethisch moralischen Vorstellungen der Mitarbeiter in den Gruppen | |
unterscheiden sich nicht. | |
Welche Haltung meinen Sie? | |
Dass jemand in Phasen Anpassung und Wohlverhalten lernt, geht nicht. Ein | |
Kind, das nicht genügend Liebe, Schutz und Geborgenheit in seinen ersten | |
fünf Lebensjahren erhalten hat, kann seine Aufregung nicht steuern. Wenn | |
ein Jugendlicher in Phase 1 sein Ziel nicht erreichen kann, müsste er ja | |
immer in der Phase bleiben, oder? | |
Belohnungssysteme funktionieren also nicht? | |
Mit niemandem, und schon gar nicht mit diesen Kindern. Die benötigen eine | |
liebevolle Nachbeelterung. Man weiß aus der Hirnforschung: Wenn Kinder eine | |
schlechte Note bekommen, wird im Gehirn das Schmerzzentrum aktiv. Das Kind | |
leidet. Das passiert auch, wenn ein Jugendlicher im Heim die Ziele nicht | |
erreicht und abgestraft wird, indem er die Punkte nicht bekommt. Und dann | |
kannst du mit deiner Mutter nicht telefonieren, das ist jawohl das Letzte. | |
Das Kind braucht immer den Kontakt zu den Eltern, wenn es möchte. | |
Wie bekamen Sie mit dem Heim Neustart zu tun? | |
Wir haben vom Verein Karuna eine kleine Wohngruppe für Jugendliche in Not | |
im Bahnhof Jamlitz, dem Justus-Delbrück-Haus. Dort nahmen wir einen jungen | |
Mann auf, der in diesem Heim war und davon erzählte, von den abgeklebten | |
Fenstern und von dem Phasenmodell. | |
Was haben Sie daraufhin gemacht? | |
Wir hatten zufällig kurz darauf im Mai ein Gespräch mit dem | |
Sozialdezernenten des Landkreises Dahme-Spreewald und | |
Bundesfamilienministerin Franziska Giffey. Die „Momos“, das sind | |
Jugendliche, die sich selbst organisieren, um die Jugendhilfe zu | |
verbessern, waren auch dabei. Die beschrieben dann das Heim Neustart als | |
Beispiel dafür, was sie in Einrichtungen an Leid erfahren. | |
Was haben die erzählt? | |
Dass es sogar schlimmer zugeht als in einem geschlossenen Heim. Wie kann es | |
sein, dass in einer offenen Einrichtung Fenster verklebt, Stühle und Betten | |
angeschraubt sind und man sich verdienen muss, mit den eignen Eltern zu | |
telefonieren? Der Jugendamtsleiter, der mit uns am Tisch saß, teilte uns im | |
Anschluss nur mit, wir sollen uns an den Träger wenden. Das finde ich | |
merkwürdig. | |
Das ist nicht üblich? | |
Nein. Ein Jugendamt müsste so einem Hinweis nachgehen. Erst vor Kurzem | |
sagte uns das Landkreisamt wiederholt in einem Gespräch, wir hätten mit dem | |
Träger reden sollen, statt an die Presse zu gehen. Wir verstehen das als | |
Aufruf, dass die Träger untereinander kungeln sollen. | |
Was wäre formal richtig? | |
Das Jugendamt hätte schon im Mai die Fachbehörde instruieren müssen, dann | |
wäre es früher zu einer Überprüfung der Einrichtung gekommen, wie es erst | |
im Herbst auf Druck der taz passierte. | |
Könnte es juristische Gründe haben, dass es nur die Teilschließung gibt? | |
Kann sein, dass es verschiedene Rechtsauslegungen gibt. Aber sorry. Ich | |
gucke aus der Perspektive eines Mädchens oder Jungen, die in dieser | |
Einrichtung sind. Bei diesen Verstößen muss das Ministerium mutig sein und | |
sagen, notfalls fechten wir das vor Gericht aus. Dafür sind Steuermittel | |
dann auch da, dass man sagt: Klare Kante, diese Einrichtung gehört | |
geschlossen. | |
Der Träger will gegen die Teilschließung klagen. | |
Ja. Der ist ja nicht mal mit der weichgespülten Halbschließung | |
einverstanden. Da fehlen mir die Worte. Da ist so ein unfassbares | |
Selbstverständnis, alles richtig gemacht zu haben. | |
Sie haben zu der Situation in den Heimen Position bezogen. Haben Sie | |
dadurch jetzt Nachteile? | |
Na ja, die sind im Landkreis schon ein bisschen abgekühlt uns gegenüber. | |
Sie wollten dort eigentlich eine Jugendhilfeeinrichtung eröffnen. | |
Ja. Wir haben bisher unsere alternative Wohnform für Jugendliche in Krisen | |
über Stiftungen finanziert. Wir haben wundervolle Ergebnisse und nicht | |
einen wieder vor die Tür gesetzt. Und wir dachten, dass in Brandenburg mit | |
der historischen Erfahrung der Haasenburg das Jugendamt oder Ministerium | |
vielleicht von uns gehört hat und das interessant findet. Aber jetzt nach | |
Jänschwalde haben wir das Gefühl, dass man uns lieber von hinten sieht. | |
Erklärung dafür? | |
Ja, es heißt dort, wir seien Nestbeschmutzer. | |
Was fordern Sie von der Politik? | |
Wir fordern, dass geschlossene Heime abgeschafft werden. Sie sind eine | |
Drohung, um angepasstes Verhalten zu erpressen. | |
Also was ist zu tun? | |
Die Frage nach geschlossenen Heimen muss in die Jugendministerkonferenz. Es | |
geht um Haltung: Was machen wir mit Kindern, die auf ihre Eltern nicht | |
zurückgreifen können, die auf unseren Schutz und unsere Zuwendung | |
angewiesen sind? Und warum haben wir da so ein Bestrafungssystem? Da | |
kursieren Monsterbilder von angeblich delinquenten, nicht anpassungsfähigen | |
Kindern, die eine fette Lüge sind. Wer in so ein geschlossenes Heim kommt, | |
ist Zufall. Du hast Pech, wenn du da landest. | |
Dieser Text wurde korrigiert. In einer früheren Fassung wurde in fünften | |
Antwort versehentlich das Jugendamt Oder-Spree genannt. | |
18 Mar 2020 | |
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[1] https://mbjs.brandenburg.de/media_fast/6288/35-20_anhang_mbjs-abschlussberi… | |
## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
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