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# taz.de -- Kinderheim in Brandenburg: Neustart braucht einen Neustart
> Ein Kinderheim in Brandenburg muss wegen schikanöser Methoden schließen.
> Dort gab es Isolation und entwürdigende Rituale.
Bild: Intensivpädagogisches Projekt „Neustart“ in Jänschwalde Brandenburg
Das Bildungsministerium Brandenburg hat dem Kinderheim Neustart in Teilen
die Betriebserlaubnis entzogen. Das ist das Ergebnis einer Prüfung der
Heimaufsicht. In der sogenannten intensivpädagogischen Einrichtung des
Arbeiter-Samariter-Bunds (ASB) Lübben gibt es laut Bildungsministerin
Britta Ernst (SPD) „Mängel mit systemischem Charakter, sodass wir die
Betriebserlaubnis entziehen mussten“, wie sie am Mittwoch in Potsdam sagte.
Dort stellte sie einen Abschlussbericht über die [1][Prüfung der dortigen
Erziehungsmethoden] vor.
Die Maßnahmen seien insgesamt als Freiheitsentzug zu werten und hätten
einen gerichtlichen Beschluss erfordert. Das gilt für die Aufnahmegruppen 1
und 2 der Einrichtung, in denen eine strenge Isolationsphase praktiziert
wurde. „Die Aufsicht ist zum Ergebnis gekommen, die Betriebserlaubnis für
diese beiden Gruppen zu entziehen“, so Ernst. Noch deutlicher der
Abschlussbericht: „Der Träger besitzt nicht die Zuverlässigkeit, Kinder und
Jugendliche mit intensivpädagogischem Förderbedarf in seiner Einrichtung
angemessen zu betreuen.“ Die Einrichtung sei nicht bereit oder in der Lage,
das Kindeswohl durchgehend zu gewährleisten.
In dem Heim in Jänschwalde waren in vier Gruppen bis zu 30 Kinder und
Jugendliche zwischen 12 und 17 Jahren untergebracht. Nach Berichterstattung
der taz über schikanöse Erziehungsmethoden – inbesondere in der
Aufnahmephase – hatte das Bildungsministerium vergangenen Herbst zunächst
einen Aufnahmestopp angeordnet und verschiedene dort angewendete Methoden
untersagt. So hatte die Heimaufsicht im Herbst angeordnet, dass es in der
Einrichtung keine geschlossenen Türen geben dürfte.
Die Isolationsphase bei Einrichtungseintritt wurde ausgesetzt, mit
Milchglasfolie abgeklebte Fenster wurden frei gemacht. Ebenso wurde zuvor
festgeschraubtes Mobiliar gelöst, und erniedrigende Fragerituale und ein
Chipssystem wurden vorübergehend ausgesetzt. Mehrfach besuchte die
Heimaufsicht danach die Einrichtung unangekündigt und befragte Jugendliche,
Einrichtungsleitung und Erzieher:innen.
## Weitgehend bestätigt
Ein Betreuer in der Einrichtung, der gleichzeitig eine Größe der
Identitären Bewegung in Cottbus ist, wurde sofort freigestellt. Ein
Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft Cottbus läuft noch. An die
taz haben sich mittlerweile neun ehemalige und aktuelle Bewohner:innen
gewandt, die über ihre Zeit dort berichteten. Das Bildungsministerium
konnte ihre in der taz geschilderten Vorwürfe in eigenen Befragungen mit
aktuellen und ehemaligen Bewohner:innen weitgehend bestätigen.
Auch weil die Einrichtung bei erneuten Besuchen weiter ein sanktionierendes
Chipsystem aufrechterhielt und eine überarbeitete Teilkonzeption für die
Gruppen 1 und 2 nicht überzeugend gewesen sei, sei nun die
Betriebserlaubnis widerrufen worden. Weiterbetreiben könne die Einrichtung
jedoch ihre Gruppen 3 und 4, wo derzeit noch Jugendliche untergebracht
sind. Zudem könnte der ASB einen Betrieb seiner Gruppen mit einem neuen
Konzept neu beantragen. Dafür müssten sich allerdings einige Dinge ändern,
wie Ernst sagte.
Die Entscheidung des Bildungsministerium sei zu begrüßen, sagte Holger
Ziegler, Professor für Sozialarbeit an der Uni Bielefeld. Dennoch mahnte
er: „Man muss trotzdem daran erinnern, dass diese Praktiken den Behörden
zumindest im Prinzip bekannt waren und für gut befunden wurden.“ Noch im
vergangenen Jahr hatte Ministerpräsident Dietmas Woidke (SPD) die
Einrichtung besucht und gelobt.
11 Mar 2020
## LINKS
[1] /Kinderheim-in-Brandenburg/!5654774
## AUTOREN
Gareth Joswig
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Heimerziehung
Bildung
Brandenburg
Geschlossene Kinderheime
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30 Jahre friedliche Revolution
Jugendheim
Lesestück Recherche und Reportage
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