# taz.de -- Kanzlerrede auf dem SPD-Parteitag: Genosse Scholz ist zurück | |
> In ungewohnter Klarheit verteidigt Olaf Scholz auf dem SPD-Parteitag den | |
> Sozialstaat und den Klimaschutz. Fast alle Genossen sind begeistert. | |
Bild: Sehnlichst erwartet: die Genoss:innen beklatschen die kämpferische Rede … | |
BERLIN taz | Er war der wohl am sehnlichsten erwartete Gast auf dem | |
dreitägigen Bundesparteitag der Sozialdemokraten: der Genosse Olaf. Und | |
tatsächlich stand da am Samstagvormittag am Rednerpult der Bundeskanzler, | |
aber vor allem der Sozialdemokrat Olaf Scholz. In weißem Hemd, ohne | |
Krawatte und Manuskript – und ganz im Modus des Parteitagsredners. | |
In einer von starkem Applaus begleiteten Rede versicherte Scholz den 600 | |
Delegierten und hunderten Gästen, dass es auch [1][inmitten schwieriger | |
Haushaltsverhandlungen] keinen Abbau des Sozialstaats geben werde. Der | |
gehöre zur DNA unseres Landes und sei Grundlage des Wohlstands. Auch | |
gesetzliche Änderungen am [2][System Bürgergeld] schloss Scholz aus: „Ich | |
finde, da muss man widerstehen“, so Scholz unter lautem Beifall. | |
Gleichzeitig versicherte Scholz den Genoss:innen, dass es richtig sei, | |
weiterhin gegen den Klimawandel vorzugehen, auf erneuerbare Energien zu | |
setzen und die industrielle Modernisierung des Landes voranzutreiben. Denn | |
man könne es nicht so machen, wie die Vorgängerregierungen: „Dass man immer | |
in schwierigen Situationen neue Klimaziele formuliert und dann erschöpft | |
von diesem Vorgang alle Tätigkeiten einstellt.“ | |
Keinen Zweifel ließ Scholz auch daran, dass die militärische und | |
finanzielle Unterstützung für die Ukraine weitergehen müsse: „Wir | |
unterstützen die Ukraine weiter bei ihrem Verteidigungskampf.“ | |
## Hohe Erwartungen im Vorfeld | |
Damit zog der Sozialdemokrat Scholz Pflöcke in die Haushaltsverhandlungen | |
ein, hinter die er als Kanzler nicht mehr zurück kann. | |
Der Erwartungsdruck im Vorfeld war enorm. Die Sozialdemokraten sind in | |
einem Umfrageloch, die [3][Kompetenzwerte des Kanzlers auf einem | |
Tiefstand]. Der dreitägige Parteitag dient also auch dazu, die | |
Ampel-Frustationen hinter sich zu lassen, einander zu versichern, dass man | |
das Richtige wolle, und neue Zuversicht zu tanken. | |
All das versuchte Scholz seinen Genoss:innen zu vermitteln. Er stellte | |
die sozialdemokratischen Erfolge heraus: Erwerbsminderungsrente eingeführt, | |
Mindestlohn auf 12 Euro erhöht und Niedrigverdiener bei Sozialabgaben | |
entlastet. „Am allermeisten haben wir in dieser Legislatur für | |
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit kleinen Einkommen gemacht. Das ist | |
der Verdienst, den wir für uns reklamieren“, rief Scholz unter dem Jubel | |
der Genoss:innen. | |
## Nerviger Streit | |
Ungewohnt salopp gab er zu, dass der Streit in der Ampel auch ihn nervt. | |
„Manches von dem, was da so passiert ist, hätte ich echt nicht gebraucht.“ | |
Was Deutschland aber auch nicht brauche, „sind Leute, die nicht weiter ihre | |
Arbeit machen.“ Im Klartext: Die Regierung macht weiter, das mit dem | |
Haushalt kriegen wir hin. | |
Bevor er nach fast 30 Minuten seiner fast einstündigen Rede auf dieses | |
Thema kam, schlug Scholz aber noch einmal den ganz großen Bogen: vom | |
russischen Angriff auf die Ukraine, zur Energiekrise, die man gemeistert | |
habe, über die Menschen, die Schutz suchen, bis hin zum aktuellen Krieg in | |
Gaza. | |
Er habe von einer „Zeitenwende“ gesprochen, weil Russland alle Bemühungen | |
um Frieden und Verständigung aufgekündigt habe, so Scholz zu Beginn. „Wir | |
sind eine Friedenspartei“, betonte er das Selbstverständnis der SPD. Aber | |
„wir wollen, dass kleine Länder sich nicht vor ihren großen Nachbarn | |
fürchten müssen – das ist Frieden und Sicherheit in Europa“, betonte er. | |
Scholz erinnerte noch einmal daran, dass es der russische Präsident war, | |
der die Gaslieferungen gestoppt hat – mit allen Konsequenzen auch für die | |
Preise. | |
## In besten Klamotten die Nationalhymne singen | |
Beim [4][heiklen Thema Migration] strich Olaf Scholz erst einmal die | |
Erfolge heraus. Kein anderes Land in Europa habe so viele Flüchtlinge | |
aufgenommen wie Deutschland. „Ich bin stolz darauf“, sagte er unter | |
Applaus. Es sei richtig, offen zu sein für Menschen, die Schutz suchen. Auf | |
diese müsse man sich aber auch konzentrieren. | |
Man trete zwar denen entgegen, die das individuelle Asylrecht abschaffen | |
wollen. Das sei aus historischen Gründen sakrosankt. Man habe aber auch die | |
Aufgabe, Schutz „irreguläre Migration zu begrenzen“, sagte Scholz, wobei er | |
sich allerdings in einem umständlichen Satz um das Reizwort „Abschiebungen“ | |
herumwand. | |
Es war der etwas umständliche Versuch, seine viel kritisierte Aussage im | |
Spiegel, „Wir müssen endlich in großem Stil abschieben“, zurückzunehmen … | |
gleichzeitig weiterhin zum Inhalt zu stehen. | |
Zugleich müsse man offen sein für Arbeitsmigration, schlug Scholz einen | |
anderen Ton an. Er erinnerte daran, dass sich der Wohlstand in Deutschland | |
nicht entwickelt hätte, wenn nicht so viele Menschen mit angepackt hätten, | |
die nicht in Deutschland geboren wurden. „Die, die hier gebraucht werden, | |
brauchen eine gute Perspektive“, sagte er. Deutschland habe aber ein | |
anderes Modell der Integration als die USA. Nicht nur Arbeitserlaubnis, | |
Schulbesuch und Spracherwerb, sondern auch Erwerb der deutschen | |
Staatsbürgerschaft soll das Ziel sein. Dann könne es auch | |
Einbürgerunsgfeiern geben, „wo alle ihre besten Klamotten anhaben und am | |
Ende die Nationalhymne gespielt wird“, schlug er vor. | |
## Keine Entschuldigung für rechtsradikale Ideen | |
Am Ende seiner Rede äußerte sich Scholz mit eher nachdenklichen Tönen zum | |
gesellschaftlichen Zusammenhalt und zur Frage, warum Rechtspopulisten | |
weltweit im Aufwind sind. Das habe mit den Veränderungen die überall | |
stattfänden und der damit einhergehenden Verunsicherung und Unzufriedenheit | |
zu tun, so Scholz' Antwort. | |
Man müsse aber unterscheiden zwischen jenen, die aus unterschiedlichen | |
Gründen der Politik gegenüber skeptisch seien, und jenen, die auf Hass und | |
Ressentiments setzten. Gleichzeitig stellte er klar, dass materielle | |
Schwierigkeiten keine Entschuldigung für rechtsradikale Ansichten sind. Die | |
Frauen und Männer, die im 19. Jahrhundert eine Partei für Demokratie und | |
soziales Miteinander gründeten, hätten nicht Hass und Zwietracht gesät, | |
„obwohl sie arm waren“, so der Sozialdemokrat Scholz. Mit diesem Erbe | |
„dürfen wir auch niemanden damit durchkommen lassen, dass er die Idee | |
entwickelt, weil's ihm schlecht geht, darf er rechtsradikale Ideen haben.“ | |
Und als Scholz am Schluss verkündete: „Wir sorgen dafür, dass es eine | |
Zukunft gibt für unser Land und für jeden einzelnen. Dass es besser wird | |
und gerecht“, da jubelte der Saal und die Genoss:innen applaudierten | |
stehend. | |
## Nicht gegen Geflüchtete mobilisieren | |
„Es war gut, den Kanzler mal wieder als Sozialdemokraten zu spüren“, freute | |
sich die Thüringer Bundestagsabgeordnete Elisabeth Kaiser. „Er hat den | |
sozialdemokratischen Ton gut getroffen“, meinte auch der Berliner | |
Bundestagsabgeordnete Hakan Demir. | |
Aber wäre nicht auch etwas mehr Selbstkritik angezeigt gewesen? Nein, | |
meinte Gesine Schwan, Vorsitzende der SPD-Grundwertekommission. „Wir sind | |
ja hier nicht im Beichtstuhl.“ Scholz' Rede sei ausgezeichnet gewesen, weil | |
sie Selbstvergewisserung und Orientierung gegeben habe. | |
Nicht alle überzeugte Scholz. Ein Mitglied der Organisation „Sea Eye“, die | |
im Saal unterwegs war, kritisierte die Rede als „Selbstbeweihräucherung“. | |
Problematisch sei, dass Scholz von „irregulärer Migration“ gesprochen habe, | |
aber kein Wort über legale Fluchtwege und über Fluchtursachen verloren | |
habe. | |
Nina Gaedike, nordrhein-westfälische Juso-Vorsitzende, kritisierte den | |
Kanzler in der anschließenden Aussprache für seine Aussagen zu | |
Abschiebungen und Bezahlkarten für Geflüchtete im Spiegel-Interview: „Wir | |
mobiliseren nicht gegen Geflüchtete, sondern kämpfen für soziale Sicherheit | |
und gegen Armut“, appellierte sie an den Kanzler, und wedelte mit der | |
umstrittenen Ausgabe des Nachrichtenmagazins mit Scholz auf dem Cover. Den | |
Spiegel-Titel haben gerade die Jusos noch nicht verdaut. | |
Andere forderten Scholz auf, auch als Kanzler weiterhin den Genossen | |
raushängen zu lassen. „Olaf, tue Gutes und sprich darüber.“ | |
9 Dec 2023 | |
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## AUTOREN | |
Daniel Bax | |
Anna Lehmann | |
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