| # taz.de -- Kampf gegen die Klimakrise: Eine Hoffnung, die nicht glitzert | |
| > Nach 17 Jahren Klimaaktivismus sagt Tadzio Müller: Der Kampf ist | |
| > gescheitert. Trotzdem findet er in der Akzeptanz des Klimakollaps auch | |
| > neue Utopien. | |
| Bild: Solidarisch in der Katastrophe: Freiwillige fegen im spanischen Massanass… | |
| [1][Als die Flut in Spanien Brücken einriss und Autos wie Treibholz | |
| wegspülte], da war sie kurz sichtbar: die neue Zukunft. Eine Zeit des | |
| Kollapses, der Katastrophe als Normalzustand. In dieser Zukunft verlieren | |
| immer mehr Menschen an uns immer näheren Orten, in immer extremeren | |
| Katastrophen ihr Hab und Gut, ihre Gesundheit, ihr Leben. Es ist eine | |
| Zukunft, in der Behörden versagen, aus Desinteresse und weil sie von | |
| neoliberalen Soziopathen zugrunde reformiert wurden. Eine Zukunft, deren | |
| Dunkelheit den Apokalypse-Szenarien aus Büchern und Kinos in nichts | |
| nachsteht. | |
| Wir haben in Spanien aber auch etwas anderes gesehen: Eine Zukunft, in der | |
| die Katastrophe nicht – wie die meisten Dystopien nahelegen – zu einer Welt | |
| Aller-gegen-alle führt. Stattdessen hat sich Solidarität vervielfältigt. | |
| Hunderte, Tausende Menschen haben sich spontan organisiert. | |
| In einem mittlerweile ikonischen Video, das in den sozialen Medien | |
| kursierte, schippt ein mit Besen ausgestatteter Demonstrationszug gemeinsam | |
| das Wasser von einer überfluteten Straße. Man meint dabei tatsächlich einen | |
| Film zu sehen, so stark ist die Symbolik, die Koordination, die praktische | |
| Handlungsfähigkeit dieser Menschen. In diesem Clip wirkt es kurz so, als | |
| gäbe es auch in der Katastrophe noch Utopien. | |
| Die Katastrophe als Normalzustand. Diese Formulierung schmerzt. [2][Ja, die | |
| Katastrophe ist wirklich und wahrhaftig] der realistische Horizont, auf den | |
| wir uns zubewegen. Nicht immer wird überall Katastrophe sein. Aber es wird | |
| immer mehr Katastrophen geben, immer häufiger, immer länger, immer | |
| intensiver – immer tödlicher. Nichts anderes bedeutet der Fakt, dass das | |
| Klima jetzt schon kippt, dass das Kippen ein unumkehrbarer Prozess ist, und | |
| dass die Eskalation extremer Wetterevents der letzten zwei Jahre nur der | |
| Anfang gewesen sein wird. | |
| ## Das Ende der besseren Zukunft | |
| Wenn das stimmt, bedeutet es, dass wir uns von der Zukunft verabschieden | |
| müssen. Zumindest von der Vorstellung, die wir uns von ihr bisher gemacht | |
| haben, die Zukunft als Quelle dessen, was der Philosoph Ernst Bloch als | |
| „utopischen Wärmestrom“ beschrieb. Bilder des besseren Lebens, die unserem | |
| Leben in der Gegenwart Sinn, dem Gewusel unserer alltäglichen Aktivitäten | |
| einen Fluchtpunkt geben. | |
| Wenn diese Bilder der besseren Zukunft nach und nach verschwinden, | |
| verschwindet nach und nach auch der Sinn. Deswegen ist es so schwer, den | |
| Kollaps zu akzeptieren. | |
| Ich weiß das, weil ich es genau so erlebt habe. [3][Ich bin seit 17 Jahren | |
| Aktivist für Klimagerechtigkeit]. Und ich sage: Klimaschutz isch over. | |
| Deutschland hat fertig mit Klima. Klimaaktivismus kann nicht mehr ablaufen | |
| wie bisher. | |
| Ich habe so ziemlich alles probiert, was der aktivistische Werkzeugkasten | |
| hergibt: wichtige Studien und irrelevante Petitionen, kleine Blockaden und | |
| riesige Demos, inspirierende Besetzungen und deprimierende Klimagipfel. | |
| Nichts davon hat sich tatsächlich positiv auf die Entwicklung der globalen | |
| Treibhausgaskonzentration ausgewirkt. Die steigt weiter an. Tatsächlich | |
| baut Deutschland gerade fossile Gasinfrastrukturen aus, betreibt also | |
| Anti-Klima-Politik. | |
| 2022 wurde mir klar, dass der Kampf für eine globale, klimagerechte, | |
| antifossile Revolution gescheitert war. Ein Jahr zuvor hatte die Flut im | |
| Ahrtal brutal gezeigt, dass die Klimakatastrophe auch in Deutschland | |
| angekommen ist. Trotzdem kündigte sich ein dramatischer Rechtsruck an. | |
| [4][Jeder Move in Richtung eines tatsächlichen Klimaschutzes wurde immer | |
| härter bekämpft.] Das Spiel ist aus, selbst wenn das Schachmatt noch zwei | |
| Züge entfernt liegt, dachte ich. | |
| ## In der Katastrophe solidarisch sein | |
| Es fühlte sich an, als blieben mir nur zwei Optionen: die Realität des | |
| Kollapses weiter zu verdrängen, weil eine Welt ohne Zukunft eben einfach zu | |
| schrecklich ist. Oder diese Realität anzuerkennen – und dann wegen dieser | |
| Anerkennung depressiv zu werden. | |
| Also habe ich mich für eine dritte Option entschieden. Ich will die | |
| Katastrophe akzeptieren und solidarischer damit umgehen. Aus der Flut im | |
| Ahrtal und den Überschwemmungen in Spanien kann man auch Hoffnung ziehen: | |
| Überall gibt es aktive Menschen, die sich solidarisch und aufopferungsvoll | |
| für die Betroffenen einsetzen. | |
| Geht man weiter in der Geschichte zurück, findet sich dafür in den USA ein | |
| sehr eindrucksvolles Beispiel. Dort formten sich schon nach [5][dem | |
| Hurrikan „Katrina]“ im Jahr 2005 riesige, hocheffektive solidarische | |
| Netzwerke unter dem Stichwort „Mutual Aid“ – gegenseitige Hilfe. Sie | |
| arbeiteten teilweise besser als das Rote Kreuz. Es waren Anarchist*innen, | |
| die nach der Verwüstung durch „Katrina“ in den zerstörten Stadtvierteln d… | |
| erste funktionierende öffentliche Klinik aufbauten. | |
| Diese Zuversicht ist realistisch. In ihr steckt eine Hoffnung, die die | |
| Dunkelheit dieser Zeit anerkennt und dann Pläne schmiedet, wie man mit | |
| anderen zusammen trotz alledem Gutes schaffen kann. | |
| Dazu gehört die Frage, wie wir Gesundheitsversorgung in der Katastrophe | |
| auch für diejenigen sicherstellen, die sonst keine haben. Oder wie wir | |
| gemeinsam dafür sorgen, dass in der Katastrophe [6][nicht schon wieder die | |
| am meisten leiden, die am wenigsten zum Problem beigetragen haben]. Dieser | |
| Gedanke trägt mich in der neuen Zukunft: Ich will auch in der tiefsten | |
| Dunkelheit in der Lage sein, Orte für gutes Leben zu schaffen und zu | |
| verteidigen. | |
| ## Das Leben nehmen, wie es ist | |
| Klar, diese Hoffnung ist nicht so hell, so bunt, so glitzernd wie [7][die | |
| Hoffnung auf die bessere Welt für alle], die uns Linke meist antreibt. Aber | |
| sie steht fest in der Wirklichkeit und macht uns damit auch in der Zukunft | |
| handlungsfähig. Wenn sie auch etwas matt daherkommt, so führt sie zumindest | |
| nicht zu der üblichen Depression, die auftritt, sobald die eigene | |
| Glitzerutopie entzaubert wird. Ich halte es mit [8][Rosa Luxemburg]: das | |
| Leben nehmen, wie es ist, tapfer, unverzagt und lächelnd – trotz alledem. | |
| Während der am Ende erfolglosen [9][Verteidigung von Lützerath] lernte ich, | |
| dass Hoffnung, Kraft und Zuversicht genau wie Selbstwirksamkeit nicht | |
| unbedingt aus einem materiellen Erfolg entstehen muss. | |
| Sie entsteht nämlich aus den sozialen Beziehungen, aus den Verhältnissen, | |
| die wir mit den Menschen eingehen, mit denen wir zusammen um eine bessere | |
| Welt ringen. In Lützerath fand ich den Glauben an die Zukunft wieder. | |
| Daran, dass man auch in den dunkelsten Momenten noch Orte der Solidarität | |
| schaffen kann. | |
| Ich lebte in dort in einer WG, in der Aktivist*innen aus | |
| verschiedensten Bewegungen temporär zusammenwohnten. Anarchist*innen, | |
| Kommunist*innen, Ökos – und Menschen, die mit all diesen Schablonen nichts | |
| anfangen konnten. Es war ein Ort des kollektiven Zaubers. | |
| Als wir am Abend vor der Räumung am Fenster standen und auf die Cops, die | |
| Flutlichter und die schweren Fahrzeuge schauten, von denen wir wussten, | |
| dass sie uns am nächsten Tag aus unserem Zuhause räumen würden, fragte | |
| jemand: „Gibt es gerade einen Ort auf der Welt, an dem ihr lieber wärt?“ | |
| Alle gaben dieselbe Antwort: Nein, hier ist es perfekt, ich will gerade | |
| nirgendwo anders sein als genau hier. Mit euch. | |
| 18 Nov 2024 | |
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