# taz.de -- Pazifisches Inselforum: Klimakatastrophe ist schon Realität | |
> Beim Pazikforum im Königreich Tonga gab es keinen Durchbruch für die | |
> Zukunft der Inselstaaten. Die Region leidet besonders stark am | |
> Klimawandel. | |
Bild: Kinder spielen auf Kiritimati, Kiribati. Unweit entfernt wird über beim … | |
taz | Sydney Die Kinder, die jeden Nachmittag nach der Schule im Meer vor | |
dem Strand der Insel Tarawa in der Pazifiknation Kiribati baden, dürften | |
kaum gemerkt haben, dass Tausende von Kilometern entfernt Spitzenpolitiker | |
aus dem Pazifik, den USA und China über ihre Zukunft entschieden. | |
Die Kleinen haben unmittelbarere Probleme: Sie müssen aufpassen, wie sie | |
beim Spielen den Cola-Dosen und Plastikfetzen ausweichen können, die im | |
Wasser schwimmen. Kiribati ist bereits derart stark vom klimabedingten | |
Anstieg des Meeresspiegels betroffen, dass die Bewohner in ihrer Not ihre | |
prall gefüllten Mülltüten am Strand aufstapeln – als Schutzwälle gegen das | |
eindringende Wasser. Doch die Plastikverpackung löst sich unter der | |
tropischen Sonne bald auf. Eine stinkende Brühe aus saurer Milch, | |
verfaulenden Hühnerbeinen, defekten USB-Kabeln und Hygieneartikeln entleert | |
sich ins einst kristallklare Wasser. | |
Der Pazifik sei die verwundbarste Region der Welt in Sachen Erderhitzung, | |
sagte UNO-Generalsekretär António Guterres zum Auftakt des [1][Pazifischen | |
Inselforums (PIF)]. Eine Region, die am wenigsten zum globalen Klimaproblem | |
beitrage, doch am meisten unter den Folgen leide: Der Pazifik, so der | |
UNO-Chef, befinde sich am Rande einer „Klimakatastrophe“. Viele direkt | |
Betroffene dürften ihn korrigieren: für sie ist die Katastrophe längst | |
Realität. | |
## Tief liegende Inseln werden überflutet | |
Fünf Meter über dem Meeresspiegel ist auf gewissen Koralleninseln im | |
Pazifik schon ein hoher Berg. Immer mehr tief liegende Inseln werden | |
buchstäblich überflutet, insbesondere bei Stürmen oder Unwetter. Diese | |
werden immer häufiger und zerstörerischer. Auch das geht auf den | |
Klimawandel zurück. Die Folgen dieser Kombination von Gefahren sind | |
verheerend für die Menschen. Häuser werden unbewohnbar, Gärten und | |
Kokosnussplantagen sterben wegen des eindringenden Salzwassers ab. Das | |
wertvolle, im sandigen Boden gespeicherte Regenwasser, wird ungenießbar. | |
Damit wird das Leben und Überleben auf vielen Inseln unmöglich: Menschen | |
von Kiribati bis Tuvalu fliehen. Sie geben dabei ihre Heimat auf, ihre | |
Kultur. Sie müssen ihre Tausende von Jahren alte Geschichte zurücklassen. | |
Vorerst können sich die meisten Betroffenen noch auf Nachbarinseln retten. | |
Doch irgendwann fehlt auch dort der Raum. Die kiribatische Hauptinsel | |
Tarawa gilt als dichter besiedelt als manche westliche Großstädte. | |
Erderhitzung war das Thema Nummer eins am Pazifikforum. Oder wenigstens die | |
Frage, wie sich die kleinen, meist armen Inselstaaten gegen die Folgen | |
schützen können. Nicht mehr Verhinderung war das Schlagwort, sondern | |
Anpassung. Wie meistens in den letzten Jahren kamen die Vertreter der | |
reichen Industrieländer bepackt mit Versprechen und Geld. Der amerikanische | |
Vize-Außenminister Kurt Campbell will weitere 20 Millionen US-Dollar in | |
eine neue Fazilität des „Forums für pazifische Resilienz“ pumpen. Und | |
Australien baut eine Ausbildungsstätte für Polizisten aus der Region. | |
An Geld fehlte es also nicht in Tonga, auch wenn die wahren Gründe hinter | |
der vermeintlichen Großzügigkeit eigennütziger seien, wie Kritiker glauben: | |
Der Westen, angeführt von den USA und Australien, will sich das Wohlwollen | |
der Mehrheit der kleinen Pazifikinseln zurückkaufen, die sich in den | |
letzten Jahren China zugewandt hatten. | |
## Emissionsreiche Nachbarn | |
Was in Tonga nicht demonstriert worden sei, war ein echter Wille der | |
Verursacher, das Grundproblem Erderhitzung ernsthaft anzugehen, meinten zum | |
Abschluss der Konferenz Beobachter. Die Wissenschaft ist sich einig: | |
Industrienationen müssen sofort ihre Klimagasemissionen reduzieren – und | |
zwar drastisch –, um den Prozess des globalen [2][Temperaturanstiegs und | |
damit auch der Meeresspiegelerhöhung] wenigsten verlangsamen zu können, | |
wenn nicht aufhalten. Doch davon wollen gerade die mächtigsten und | |
reichsten Nachbarn der kleinen Pazifikstaaten wenig wissen. | |
Chris Luxon, der konservative Premierminister von Neuseeland, macht | |
sukzessive Klimamaßnahmen der sozialdemokratischen Vorgängerregierung unter | |
Premierministerin Jacinda Ardern rückgängig. Sein Außenminister, Winston | |
Peters, sorgte unter Wissenschaftlern für Konsternation, als er die Rolle | |
des Menschen beim Anstieg des klimaveränderndem Kohlendioxids in der | |
Atmosphäre infrage stellte. Trotz dieser politischen Rückwärtsentwicklung | |
und massiver Umweltprobleme präsentiert sich das Land internationalen | |
Touristen gegenüber weiterhin als „sauber und grün“. | |
Mehr grüner Schein als Sein gibt es [3][auch im Nachbarland Australien]: | |
Der sozialdemokratische Premierminister Anthony Albanese wies zwar in Tonga | |
auf die durchaus lobenswerten Bemühungen seines Landes hin, den Anteil | |
erneuerbarer Energieformen am Strommix zu erhöhen. Doch gleichzeitig | |
beharrt Australien darauf, seinen Status als weltweit drittgrößter | |
Exporteur von klimaschädigender Kohle und Gas auszubauen. Damit | |
erwirtschafte Australien, so ein Kritiker, „einen wesentlichen Teil seines | |
nationalen Einkommens mit dem Export von tödlichem Klimawandel in die | |
Welt“. | |
Es seien jedenfalls genau diese Rohstoffe, welche die Pazifikländer | |
„umbringen“ würden, kritisierte der Premierminister von Tuvalu, Feleti Teo, | |
in Tonga. Das Erschließen, Subventionieren und Exportieren fossiler | |
Rohstoffe sei schlicht „unmoralisch und inakzeptabel“, so der | |
Regierungschef in einem für das Pazifikforum seltenen Ausbruch von | |
undiplomatischer Rhetorik. Die Antwort Australiens: Canberra will künftig | |
jedes Jahr 280 Menschen aus Tuvalu aufnehmen. Bevor dieses kleine Land – | |
wohl als erste Nation der Welt – komplett im Meer verschwinden wird. | |
1 Sep 2024 | |
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[1] /Diplomatie-im-Pazifik/!5982981 | |
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## AUTOREN | |
Urs Wälterlin | |
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