| # taz.de -- Klimaforschung und Meere: Alarmsignale aus den Ozeanen | |
| > Die Oberfläche der Weltmeere ist so warm wie nie. Sogar der Golfstrom | |
| > könnte abreißen. Klimaforschende warnen vor Extremwetter. | |
| Bild: Welle vor Teneriffa. Derzeit ist der Atlantik zu warm. Sollte der Golfstr… | |
| Berlin taz | Die Meere gelten als ein Frühwarnsystem der globalen | |
| Erderhitzung. Zwei Entwicklungen machen Expert:innen Sorge: Erstens ist | |
| die Temperatur des oberflächennahen Meerwassers weltweit so hoch wie noch | |
| nie in der Neuzeit. Das geht aus einer im Januar erschienenen Studie zu | |
| 2023 hervor, veröffentlicht im Fachmagazin [1][Advances in Atmospheric | |
| Sciences]. Im Februar dieses Jahres hat die US-Wetterbehörde NOAA bereits | |
| neue Höchstwerte von mehr als 21 Grad gemessen. Das aufgeheizte | |
| Oberflächenwasser belastet das Leben im Meer, während gleichzeitig extreme | |
| Wetterereignisse an Land zunehmen. | |
| Zweitens kommt eine neue Untersuchung niederländischer | |
| Wissenschaftler:innen zum Schluss, dass die sogenannte Atlantische | |
| Meridionale Umwälzströmung (Amoc) – worunter auch der Golfstrom fällt – … | |
| Erliegen kommen könnte. Das System stehe demnach vor einem „verheerenden | |
| Kipppunkt“, warnen die Forschenden. Die Folgen für Europa wären fatal. Doch | |
| der Reihe nach. | |
| Laut dem [2][EU-Klimawandeldienst Copernicus] war der Januar 2024 der | |
| global wärmste je gemessene Monat seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Das | |
| spiegelt sich auch in der erhöhten Meerestemperatur wider, die im Schnitt | |
| 20,97 Grad Celsius an der Oberfläche betrug – ganze 0,26 Grad mehr als im | |
| bisher wärmsten Januar 2016. Am 9. Februar wurde mit 21,2 Grad sogar ein | |
| neues Rekordhoch erzielt. Was nach Badetemperatur klingt, entspricht einer | |
| gewaltigen Menge thermischer Energie, die die Ozeane schlucken. Zum | |
| Vergleich: Zwischen 1982 und 2011 lag die oberflächennahe Wassertemperatur | |
| im weltweiten Mittel um diese Jahreszeit noch bei 20,18 Grad. Eine | |
| Auswirkung des menschengemachten Klimawandels, darüber besteht in der | |
| Forschung Einigkeit. | |
| Beim neuerlichen Temperatursprung ist es komplexer. Klimaphysiker Helge | |
| Gößling, der am Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven forscht, sieht | |
| größtenteils El Niño als Grund. Im äquatorialen Pazifik ändern sich bei dem | |
| Wetterereignis alle vier bis sieben Jahre die Winde und Meeresströmungen, | |
| was sich auf die globale Temperatur auswirkt. „Klassischerweise purzeln mit | |
| El Niño die Rekorde“, erklärt der Wissenschaftler der taz. „Dazu kommen | |
| natürliche Schwankungen im Wetter- und Klimasystem, die das im Moment | |
| besonders stark anheizen. Das setzt sich auf den langfristigen Trend der | |
| Erderwärmung obendrauf.“ | |
| ## Ungewöhnlich warmer Atlantik | |
| Vor allem der Atlantik sei derzeit ungewöhnlich warm – „ein Muster, das man | |
| typischerweise nicht in Verbindung mit El Niño bringt“, sagt Gößling. | |
| Schwache Passatwinde im subtropischen Nordatlantik im Frühjahr 2023 führten | |
| allerdings zu weniger Durchmischung der Wasserschichten, wodurch sich die | |
| Oberfläche stärker erwärmt hat. | |
| Gößling untersucht anhand von Klimamodellen, wie sich konkrete | |
| Wetterereignisse in einem kühleren oder in einem wärmeren Klima entfaltet | |
| hätten. „Was wir gerade erleben, passt erst mal grob zu unseren | |
| Berechnungen, wo wir einen langfristigen Klimawandel plus El Niño haben, | |
| sowie weitere natürliche Schwankungen, die eben durch zufälliges | |
| Wettergeschehen entstehen.“ Ein paar andere Faktoren könnten noch jeweils | |
| ein wenig beitragen: reduzierte Luftverschmutzung durch Schiffe, ein | |
| Unterwasser-Vulkanausbruch, solare Aktivität, und der steile Anstieg der | |
| Methankonzentration. | |
| ## Warme Ozeane liefern Energie für Extremwetter | |
| Die Unsicherheit, wie stark das Klimasystem tatsächlich auf die erhöhten | |
| Treibhausgase reagiert, ist jedoch groß. Im jüngsten Sachstandsbericht des | |
| Weltklimarats IPCC wird die wahrscheinliche Spanne der Erwärmung, die auf | |
| eine Verdopplung der CO₂-Konzentration folgen würde, mit einem Bereich | |
| zwischen 2,5 und 4 Grad angegeben. Wohlgemerkt: Bislang ist die | |
| CO₂-Konzentration um circa 50 Prozent gestiegen, bei verfehltem Klimaschutz | |
| könnte eine Verdopplung vor Ende des Jahrhunderts erreicht werden. „Die | |
| aktuell beobachtete Erwärmung verschiebt natürlich den Erkenntnisstand eher | |
| in Richtung des wärmeren Bereichs“, meint Klimaforscher Gößling. Ein erster | |
| Warnschuss. | |
| Bisher puffern die Ozeane die Erderhitzung ab, indem sie mehr als 90 | |
| Prozent jener zusätzlichen Wärme aufnehmen, die vom Menschen durch die | |
| Verbrennung fossiler Brennstoffe verursacht wird. Wärmere Ozeane hingegen | |
| gefährden nicht nur die Eisschilde und lassen den Meeresspiegel global | |
| ansteigen, da sich Salzwasser bei Erwärmung ausdehnt. Sie liefern auch mehr | |
| Energie für Extremwetter. Genau das könnte in diesem Jahr erneut auf Europa | |
| zukommen. | |
| ## Europa droht in diesem Sommer wieder Starkregen | |
| „Solange die Temperaturen der Meeresoberfläche im Nordatlantik noch so warm | |
| bleiben, müssen wir in Europa mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für | |
| Starkregen-Ereignisse rechnen“, warnt Helge Gößling. Der Grund: Über dem | |
| Atlantik steigt dann mehr Wasserdampf auf, der in feuchten Luftmassen nach | |
| Europa zieht. | |
| Ab der zweiten Jahreshälfte dürfte es laut dem Forscher global zwar wieder | |
| kühler werden – El Niño ist dann vorbei. Gleichwohl könnte 2024 in der | |
| Summe erneut als heißestes Jahr in die Geschichte eingehen. Kein gutes | |
| Zeichen, denn wärmere Ozeane wirbeln auch die Meeresströmungen | |
| durcheinander. | |
| ## Kipppunkt des Klimawandels | |
| Der zweite Warnschuss ist der Golfstrom. Die Atlantische Umwälzzirkulation | |
| bewege sich „auf den Kipppunkt des Klimawandels“ zu. So formuliert es René | |
| van Westen, Ozeanforscher an der Universität Utrecht. Er ist Hauptautor der | |
| Studie, wonach die Meeresströmung im Atlantik plötzlich zum Erliegen kommen | |
| könnte. Der Golfstrom sorgt für mildes Klima in Europa. | |
| Die Amoc transportiert warmes, salzhaltiges Wasser aus den Tropen in | |
| Richtung Polarkreis. Schmilzt durch die globale Erderhitzung immer mehr | |
| Eis, verdünnt sich der Nordatlantik zunehmend mit Süßwasser. Durch | |
| physikalische Prozesse verliert die unterseeische Wärmepumpe ihre Kraft – | |
| und könnte laut den Berechnungen ganz abreißen. In der Folge würden die | |
| Temperaturen in Europa binnen eines Jahrhunderts um bis zu 30 Grad fallen. | |
| In ein bis zwei Jahrzehnten herrsche ein völlig anderes Klima vor. „Es gibt | |
| keine realistischen Anpassungsmaßnahmen, die mit solch schnellen | |
| Temperaturveränderungen umgehen können“, schreiben die Studienautor:innen. | |
| Unklar ist allerdings, wann der Zeitpunkt eintritt. | |
| ## Hitzewellen werden so oder so zunehmen | |
| [3][Van Westen sagte im Guardian], es gebe nicht genügend Daten, um | |
| feststellen zu können, ob das im nächsten Jahr oder im kommenden | |
| Jahrhundert geschieht. Im aktuellen IPCC-Bericht wird die Gefahr eines | |
| Kollapses mit unter 10 Prozent beziffert. Gößling, der nicht an der Studie | |
| beteiligt ist, ist von den Ergebnissen nicht überzeugt. Er hält das | |
| weiterhin für unwahrscheinlich, will es aber auch nicht ganz ausschließen. | |
| Die Botschaft der Meere sei ohnehin klar: „Wir sollten es noch ernster | |
| nehmen, Klimaschutz zu betreiben“, sagt er. „Extremereignisse wie | |
| Hitzewellen und Starkregen werden aufgrund des fortgeschrittenen | |
| Klimawandels so oder so zunehmen, auch ohne jeglichen Kipppunkt. Das heißt, | |
| wir haben mehr als genug Gründe, warum wir richtig Gas geben sollten bei | |
| der Reduktion von Treibhausgasemissionen.“ | |
| Der Wissenschaftler fordert, neben fossilen Emissionen auch die natürlichen | |
| Kohlenstoffsenken an Land stärker in den Blick zu nehmen. Ein Schlüssel | |
| liegt für ihn in der pflanzlichen Ernährung. Dreiviertel aller | |
| landwirtschaftlichen Flächen würden für die Herstellung tierischer | |
| Lebensmittel benutzt, obwohl diese nur mit einem Fünftel der Kalorien und | |
| etwa einem Drittel der Proteine zur Ernährung beitragen. | |
| 19 Feb 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://link.springer.com/journal/376 | |
| [2] https://www.copernicus.eu/de/dienste/klimawandel | |
| [3] https://www.theguardian.com/environment/2024/feb/09/atlantic-ocean-circulat… | |
| ## AUTOREN | |
| Maximilian Arnhold | |
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