| # taz.de -- Kollaps würde zu großer Kälte führen: Forscher blicken mit Sorg… | |
| > Kippt bald die Atlantische Umwälzströmung und bringt Europa mehr Kälte | |
| > sowie weniger Regen? Das ist unklar. Ein Grund zur Entwarnung ist das | |
| > nicht. | |
| Bild: Der Klimawandel schreitet schneller voran als befürchtet | |
| Berlin taz | Der Golfstrom stehe kurz vor dem Kollaps, [1][meldeten] | |
| [2][verschiedene] [3][Medien] vor einiger Zeit. Dänische Forscher*innen | |
| hatten auf Grundlage historischer Daten statistische Berechnungen | |
| angestellt, [4][die den Kollaps für den Zeitraum 2025 bis 2095 | |
| vorhersagten]. Die Studie zog viel Kritik auf sich. Sie habe das komplexe | |
| Erdsystem zu stark vereinfacht, hieß es. Die Sorge um den Kollaps besteht | |
| jedoch weiterhin: Der renommierte Klimaforscher Stefan Rahmstorf und | |
| Dutzende andere Wissenschaftler*innen haben kürzlich einen [5][Offenen | |
| Brief an den Rat der nordischen Länder verschickt], in dem sie eindrücklich | |
| vor dem Kollaps warnen: „Die Konsequenzen wären katastrophal und würden die | |
| Welt für Jahrhunderte prägen.“ | |
| Was in der Öffentlichkeit als „Golfstrom“ bekannt ist, ist Teil eines | |
| gigantischen Systems mit dem Namen „Atlantische Umwälzzirkulation“, auf | |
| Englisch als „Amoc“ abgekürzt. Warmes Wasser aus den Tropen fließt dabei | |
| zuerst in Richtung Nordamerika und von dort nach Europa. Mit der Zeit gibt | |
| das Wasser seine Wärme an die Luft ab, wird selbst kälter und sinkt im | |
| Nordatlantik ab. In zwei bis drei Kilometern Tiefe fließt das Wasser dann | |
| zurück in den Südatlantik, wo es wieder erwärmt wird. Die Wärme der | |
| Riesenpumpe Amoc ist einer der Gründe dafür, dass in Europa ein gemäßigtes | |
| Klima herrscht, obwohl die gleichen Breitengrade zum Beispiel in Kanada | |
| weit niedrigere Durchschnittstemperaturen aufweisen. | |
| Besorgt sind Wissenschaftler*innen, weil die Amoc-Pumpe langsamer wird und | |
| weniger warmes Wasser nach Norden transportiert. Die Geschwindigkeit lässt | |
| sich aber erst seit 20 Jahren direkt messen. Das reicht nicht, um sicher zu | |
| sein, dass es sich nicht um natürliche Schwankungen handelt. Dafür müssen | |
| andere Beobachtungen hinzugezogen werden, sogenannte „Fingerabdrücke“, an | |
| denen der Einfluss der Riesenpumpe deutlich wird. Zum Beispiel entsteht im | |
| Nordatlantik, wo das warme Wasser hinfließt, derzeit ein Cold Blob, ein | |
| blauer Klecks, auf den Klimakarten. Hier ist die Lufttemperatur kälter als | |
| 1990, obwohl sich die Erde seitdem erhitzt hat. Das erklärt Klimaforscher | |
| Rahmstorf damit, dass weniger warmes Wasser aus dem Südatlantik von der | |
| Amoc nach Norden gepumpt wird. | |
| Mit diesem und anderen Fingerabdrücken „handelt man sich aber große | |
| Unsicherheiten ein“, sagt Niklas Boers der taz. Boers ist Professor für | |
| Erdsystem-Modellierung an der Technischen Universität München. Die Messung | |
| von Wassertemperaturen sei Anfang des 20. Jahrhunderts noch sehr ungenau | |
| gewesen. Trotzdem sagt Boers: „Alle Hinweise sprechen dafür, dass die Amoc | |
| langsamer wird. Aber es sind noch nicht alle gegenteiligen Hypothesen | |
| ausgeschlossen.“ | |
| ## Verschiebung nach Süden | |
| Wird die Riesenpumpe langsamer, würde sich „alles, was wir kennen, nach | |
| Süden verschieben“, sagt Boers. In Europa würde es deutlich kälter werden | |
| und weniger regnen. Der Regengürtel in den Tropen würde sich nach Süden | |
| verschieben, wodurch die Monsunsysteme gestört werden. Von den Monsunen ist | |
| zum Beispeil die Landwirtschaft in dicht besiedelten Regionen Indiens stark | |
| abhängig. Die Menschen dort müssten sich an die neuen Bedingungen anpassen | |
| oder abwandern. Unklar ist, wie schnell sie sich anpassen müssen. Viele | |
| Klimamodelle haben die Verlangsamung der Amoc und einige Fingerabdrücke | |
| nicht prognostiziert. Diese Modelle können also auch nicht vorhersagen, wie | |
| schnell die Riesenpumpe langsamer wird. | |
| Eine Studie, [6][die im November im Fachmagazin Nature Geoscience | |
| erschienen ist], hat für dieses Problem eine Lösung gefunden. Denn viele | |
| der Modelle haben bisher nur die aufgrund der Erderhitzung steigende | |
| Meerestemperatur miteinbezogen. Es gebe aber noch einen anderen Prozess, | |
| der die Amoc schwächen kann, erklärt Gabriel Pontes der taz. Pontes ist | |
| einer der Studienautor*innen. „Wenn die Meerestemperaturen die | |
| Amoc-Verlangsamung nicht allein erklären können, muss es das schmelzende | |
| Gletschereis sein.“ | |
| Weil die Menschheit weiter fossile Energie nutzt und die Erderhitzung | |
| befeuert, schmilzt das Eis der Gletscher Grönlands und Kanadas. Dieses Eis | |
| fließt als Süßwasser ins Salzwasser des Nordatlantiks. Weniger salziges | |
| Wasser bedeutet geringere Dichte, und weniger dichtes Wasser sinkt weniger | |
| schnell ab. Die Geschwindigkeit, mit der im Nordatlantik das Wasser | |
| absinkt, bestimmt maßgeblich, wie schnell die Amoc fließt. Weniger salziges | |
| Wasser im Nordatlantik verlangsamt also die Strömung. Die Studie sei | |
| plausibel, findet der Münchener Klimaforscher Boers, der nicht daran | |
| beteiligt war. „Das ist ein zusätzlicher starker Hinweis, dass die Amoc | |
| tatsächlich langsamer wird“, sagt der Münchner Klimaforscher. | |
| Verlangsamung ist aber nicht das Gleiche wie ein Kollaps. Von einem Kollaps | |
| könnte sich die Amoc nicht wieder erholen. Eine Verlangsamung ließe sich | |
| dagegen rückgängig machen, falls die Erde wieder kälter wird. Auch deswegen | |
| erhielten Studien, die einen Kollaps noch in diesem Jahrhundert | |
| voraussagen, so viel Aufmerksamkeit. | |
| ## Kein Grund zur Entwarnung | |
| Boers findet, dass in diesen Studien die Unsicherheiten nicht ausreichend | |
| Beachtung finden. Er war selbst [7][an einer Untersuchung beteiligt], die | |
| unter Leitung der Münchner Forscherin Maya Ben-Yami die Vorhersage von | |
| Kollapsen von Erdsystemen wie der Amoc kritisiert. Die getroffenen Annahmen | |
| seien oft stark vereinfacht, außerdem seien die verwendeten Daten oft | |
| lückenhaft oder ungenau. Als die Forscher*innen beispielhaft alle | |
| Unsicherheiten miteinbezogen, sagten ihre Modelle den Kollaps der Amoc für | |
| einen Zeitraum zwischen der Mitte des 21. Jahrhunderts und dem Jahr 3000 | |
| voraus. | |
| Das sei aber kein Grund zur Entwarnung, betont Boers. Erstens, weil die | |
| Erderhitzung womöglich so schnell voranschreitet, dass die Verlangsamung | |
| schneller ist als ein Kollaps der Amoc. Und zweitens könne es sein, dass | |
| die Riesenpumpe erst im Jahr 3000 kollabiert. Aber es könne auch sein, dass | |
| es Mitte des 21. Jahrhunderts dazu kommt. „Ich neige dazu, die | |
| Unsicherheiten stärker zu betonen als andere“, sagt Boer. „Aber das heißt | |
| nicht, dass ich weniger besorgt bin.“ Denn je größer die Unsicherheiten, | |
| desto weniger Risiko sollten die Menschen eingehen: „Wir haben keinen | |
| Spielraum, mehr Erderwärmung in Kauf zu nehmen.“ | |
| 2 Dec 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.theguardian.com/environment/2023/jul/25/gulf-stream-could-colla… | |
| [2] https://www.morgenpost.de/ratgeber-wissen/article404667950/golfstrom-kollap… | |
| [3] https://www.rnd.de/wissen/steht-der-golfstrom-wirklich-vor-dem-zusammenbruc… | |
| [4] https://www.nature.com/articles/s41467-023-39810-w | |
| [5] https://en.vedur.is/media/ads_in_header/AMOC-letter_Final.pdf | |
| [6] https://www.nature.com/articles/s41561-024-01568-1 | |
| [7] https://www.science.org/doi/10.1126/sciadv.adl4841 | |
| ## AUTOREN | |
| Jonas Waack | |
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