# taz.de -- Eisschmelze in Arktis und Antarktis: Spiegelfläche der Erde wird k… | |
> Bilanz des arktischen Sommers und antarktischen Winters: Die große | |
> Eisschmelze hält weiter an. Das hat gewaltige Auswirkungen auf Europa. | |
Bild: Die Sommermonate wirken sich auch in diesem Jahr verheerend auf die Arkti… | |
Berlin taz | Seit diesem Wochenende werden die Tage am Nordpol wieder | |
kürzer. Der arktische Sommer ist vorbei – und mit ihm eine dramatische | |
Eisschmelze. „Derzeit schwimmt nur noch auf 4,39 Millionen | |
Quadratkilometern Eis“, sagt Thomas Krumpen, beim Alfred-Wegener-Institut | |
(AWI) für die Daten zur Meereisbedeckung zuständig. Anfang der 1980er Jahre | |
war der [1][arktische Ozean] zum Ende des Sommers noch fast doppelt so | |
stark mit Eis bedeckt – auf gut 8 Millionen Quadratkilometern. | |
Seit 1979 wird die genaue Ausdehnung jener Ozeanfläche per Satellit | |
gemessen, die eisbedeckt ist, „ein sehr verlässliches Verfahren, das gute | |
Trends ableiten lässt“, so Krumpen. Demnach wurde nun die neunkleinste | |
Ausdehnung gemessen. Weil in die Statistik letztlich aber der Mittelwert | |
des Septembers eingeht, könnte 2024 sogar die drittgeringste | |
Meereisbedeckung am Nordpol registriert werden. Aber ob dritt- oder | |
neuntgeringste Ausdehnung ist für Thomas Krumpen gar nicht entscheidend: | |
„Der Trend ist eindeutig: Jedes Jahrzehnt verliert der Nordpol 11 Prozent | |
seines Meereises.“ Wenn das so weitergeht, könnte der Nordpol in den 2030er | |
Jahren zum ersten Mal im Sommer eisfrei sein. | |
„Das ist ein besorgniserregender Abnahmetrend, den wir nun schon länger als | |
ein Jahrzehnt beobachten“, erklärt Christian Haas, Leiter der Sektion | |
Meereisphysik am Alfred-Wegener-Institut in Potsdam. Denn das schrumpfende | |
Meereis zählt zu jenen Kipp-Elementen, die – einmal instabil geworden – | |
automatisch zur weiteren Erwärmung der Erde beitragen. Man könne das | |
Problem des arktischen Ozeans gut mit einem Spiegel illustrieren, der in | |
die Sonne gehalten wird, erklärt Haas: „Wie Spiegel haben Eisflächen einen | |
höheren Rückstrahleffekt als die dunklere Wasseroberfläche.“ Je kleiner | |
die arktische Meereisbedeckung ist, desto kleiner wird dieser Spiegel, | |
desto mehr Sonnenenergie kann in den arktischen Ozean eindringen, der | |
dadurch immer wärmer wird und weiteres Eis schmelzen lässt – was die | |
Spiegelfläche weiter auftaut. Ein Teufelskreis. | |
In der Physik wird diese Rückkopplung als Albedo-Effekt beschrieben: Sehr | |
helles Eis weist einen Albedo-Wert von 0,8 auf; es werden also 80 Prozent | |
jener Strahlungsenergie in das Weltall zurückgestrahlt, das die Sonne auf | |
die Erde schickt. Wasser besitzt dagegen nur den Albedo-Wert 0,1. Bedeutet: | |
90 Prozent der Sonnenenergie gehen in den Ozean. | |
## Dramatische Folgen für Europa und weltweit | |
Was nicht ohne Folgen für unser Leben in Mitteleuropa bleibt. „Die Arktis | |
erwärmt sich zwei- bis dreimal so schnell auf wie andere Gegenden der | |
Erde“, erklärt Stefan Rahmstorf, Ozeanograf und Forscher am | |
Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Dadurch verringert sich das | |
Temperaturgefälle zwischen Äquator und Nordpol, „ein Gefälle, das die | |
atmosphärische Zirkulation bestimmt“. Dieses Gefälle treibt beispielsweise | |
den Jetstream in der Stratosphäre an – einen Höhenwind über der | |
Nordhalbkugel, der maßgeblich unser Wetter bestimmt. Wird das | |
Temperaturgefälle geringer, fehlt dem Jetstream Antriebskraft. | |
Immer öfter bleiben deshalb bestimmte Wetterlagen über Mitteleuropa | |
„hängen“, was meistens Hitze- oder Kältewellen, lang anhaltende Sturmlage… | |
besonders niederschlagsreiche oder trockene Phasen zur Folge hat. Der | |
extrem trockene Sommer 2018 war genauso Produkt eines | |
durcheinandergeratenen Jetstreams wie die Temperaturrekorde von mehr als 40 | |
Grad Celsius in Deutschland 2019, die Regenkatastrophe im Ahrtal 2021 oder | |
die extreme Winterkälte 2015/2016 in Nordamerika. Stefan Rahmstorf: „Das | |
schmelzende Meereis beeinträchtigt direkt unser Leben.“ | |
## Vor allem altes Eis schwindet | |
Immerhin wird es am Nordpol nun erst einmal wieder zufrieren, bereits in | |
wenigen Wochen wird die Nacht länger sein als der Tag, bevor dann die | |
Polarnacht kommt, in der es wochenlang gar keine Sonnenenergie mehr gibt. | |
Bis zum Februar wird sich die Eisdecke rund um den Nordpol deshalb wieder | |
auf 14.000 Quadratkilometer ausdehnen. | |
„Allerdings ist dieses ein- oder zweijährige Eis nicht so widerstandsfähig | |
wie altes Eis“, sagt AWI-Experte Thomas Krumpen. Bedeutet: Was jetzt | |
zufriert, schmilzt dann 2025 schneller, Eis, das fünf, sechs Jahre älter | |
ist, hält länger stand. Aber davon gibt es immer weniger. „In der | |
Vergangenheit war die reale Eisschmelze schneller als von den | |
wissenschaftlichen Modellen vorhergesagt“, sagt Krumpen. Schuld seien | |
Einflüsse im realen Eis, die von den wissenschaftlichen Modellen nicht | |
abgedeckt werden. Der Meereseisphysiker fürchtet einen stufenartigen | |
Prozess: „Wenn eine neue Stufe erreicht ist, wird ein Absacken sehr | |
wahrscheinlich.“ Zu gut Deutsch: Die Abnahme des Meereises läuft nicht | |
linear, der Schmelzprozess könnte dann noch schneller laufen. | |
## Immer neue Wärmerekorde | |
Was am Nordpol das Ende des arktischen Sommers bedeutet, ist am Südpol das | |
Ende des antarktischen Winters. Und während die Wissenschaft am Nordpol | |
schon lange Alarm schlägt, galt der Eisbildungsprozess in der Antarktis | |
lange Zeit als stabil. Doch seit vergangenem Jahr scheint auch dort alles | |
anders: Im Sommer waren lediglich noch 1,8 Millionen Quadratkilometer | |
Meereis übrig, ein Zehntel des langjährigen Mittels. „Das, was wir derzeit | |
in der Antarktis sehen, wäre ohne den Klimawandel nur einmal in fünf | |
Millionen Jahren denkbar“, sagte damals Olaf Eisen, Professor für | |
Glaziologie am Alfred-Wegener-Institut. Eine Erklärung war der seinerzeit | |
rekordwarme Ozean. | |
Jetzt zeigt sich, dass die Daten aus dem vergangenen Jahr überhaupt keine | |
Ausnahme darstellen, sagt Datenexperte Thomas Krumpen: „Die | |
Winterausdehnung kratzt haarscharf an dem historischen Tiefststand von | |
2023.“ Ein Vorgang, der uns beunruhigen sollte: „Das schwimmende Meereis | |
ist ein Schutz für das Schelf, das wie ein Gürtel die antarktischen | |
Gletscher zusammenhält“, sagt Experte Krumpen. | |
## Emden stünde unter Wasser | |
Glaziologe Olaf Eisen formuliert das so: „Dieses Schelfeis verhindert, dass | |
die Gletscher in die Ozeane fließen.“ Wenn die Ozeane aber immer wärmer | |
werden und sich nicht mehr genügend schwimmendes Meereis bilden kann: Was | |
wird dann aus den Gletschern der Antarktis? Olaf Eisen: „Wenn allein der | |
Westantarktische Eisschild schmilzt, steigt der Meeresspiegel um drei bis | |
fünf Meter.“ Die Stadt Emden etwa liegt ein Meter hoch. | |
Zudem treibt der jährliche Zyklus von Schmelzen und Gefrieren die | |
wichtigsten Meeresströmungen in den Ozeanen an und versorgt so die | |
Ökosysteme auf der ganzen Welt mit Nährstoffen und Energie – im Norden ist | |
es etwa der Golfstrom, im Süden die Antarktische Umwälzzirkulation. Eine | |
Studie der University of Southampton kam zu dem Schluss, dass die | |
Antarktische Umwälzzirkulation bereits jetzt schwächelt, bis Mitte des | |
Jahrhunderts könnte sie 40 Prozent ihrer Kraft einbüßen. | |
Solche [2][Warnungen gibt es auch für den Golfstrom,] der wie ein Wärmeband | |
Europa mit Energie versorgt: Ohne diesen können in Niedersachsen keine | |
Äpfel mehr geerntet werden. Dann würde dort ein Klima herrschen wie heute | |
auf der kanadischen Insel Neufundland an der Ostküste: Dort ist das Klima | |
von eiskalten, schneereichen Wintern und milden bis kühlen Sommern geprägt. | |
22 Sep 2024 | |
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## AUTOREN | |
Nick Reimer | |
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