Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Experten über Wetterprognosen und KI: Hätte eine KI das Ahrtal ge…
> Künstliche Intelligenz analysiert Daten in Sekunden und kann das Wetter
> präziser voraussagen. Wie Wissenschaftler die Zukunft von Vorhersagen
> beurteilen.
Bild: Wetter!
wochentaz: Wie verändert künstliche Intelligenz (KI) die Wettervorhersage?
Markus Reichstein: Schon die klassische Wettervorhersage ist im Laufe der
vergangenen Jahrzehnte immer besser geworden. Heute können wir das Wetter
sieben Tage im Voraus so präzise vorhersagen, wie es in den 70er Jahren nur
drei Tage im Voraus möglich war – eine stille Revolution. Jetzt, mit
[1][KI, kommt eine rapide Revolution] dazu: Wir können auf einmal weitaus
mehr Daten in deutlich weniger Zeit verarbeiten. Das führt dazu, dass die
Vorhersagen präziser werden und dass sich in gleicher Zeit mehr Wetterlagen
oder mehr Details über eine Wetterlage prognostizieren lassen.
Warum kann die KI das besser?
Vitus Benson: Die klassische Vorhersage beruht auf physikalischen Modellen,
die über Jahrzehnte entwickelt wurden. Die sind im Laufe der Zeit immer
präziser geworden. Allerdings können wir nicht alle Prozesse der Atmosphäre
perfekt in mathematische Gleichungen packen und simulieren.
Woran liegt das?
Benson: Nehmen wir zum Beispiel [2][Wolken] – da laufen unheimlich komplexe
Prozesse ab. Wie groß sind die Tropfen, wie schnell wachsen sie? Wie sind
die Temperaturen und die Windverhältnisse? Das ist alles sehr kleinteilig.
Aber bei Wettermodellen können wir die Welt nicht Eins zu Eins abbilden,
sondern müssen notwendigerweise mit größeren Auflösungen arbeiten.
Also wie bei einem Foto, das etwas pixeliger ist als die Realität?
Benson: So in etwa. Und diese beiden Pole lassen sich nicht gut
zusammenbringen. Hier ist die KI im Vorteil. Sie lernt anhand von
Beobachtungsdaten, also Daten, die Wetterstationen gemessen haben. Dass das
wirklich so gut funktioniert, wusste man auch nicht, bevor man es
ausprobiert hat, aber die Studienergebnisse sind eindeutig.
Wo hat denn eine KI eine Vorhersage gemacht, die auf konventionellem Weg
nicht so präzise ausgefallen wäre?
Benson: Momentan sind diese Modelle noch nicht im Praxiseinsatz. Das wird
aber voraussichtlich noch in diesem Jahr der Fall sein. Was sie schon jetzt
gezeigt haben: Gerade bei [3][tropischen Stürmen], wie sie etwa auf den
Philippinen oder in den USA auftreten, können KI-Modelle die Entwicklung,
die diese Wirbelstürme nehmen, deutlich besser vorhersagen.
Praxiseinsatz bedeutet, dass wir so was dann zum Beispiel in unserer
Wetter-App sehen?
Benson: Das kann ich nicht voraussagen, weil es davon abhängt, was die
Wetterdienstleister machen – und das hängt wiederum davon ab, ob es sich
für sie wirtschaftlich lohnt.
Reichstein: Aber das Europäische Zentrum für mittelfristige
Wettervorhersage hat zum Beispiel ein KI-System, das sich zwar noch im
Experimentierstadium befindet, aber auf der Webseite steht. Dort kann sich
jeder anschauen, was die KI vorhersagt.
Benson: Gerade bei Extremwetterereignissen geht es nicht nur um das, was
über der Erde stattfindet, sondern auch um die Prozesse am und im Boden.
Zum Beispiel: Wie schnell versickert Wasser? Da gibt es aktuell ein Projekt
von Google, es heißt Floodhub, das mithilfe von KI die Pegelstände
vorhersagt. Auch das kann man sich schon jetzt angucken.
Bei der KI-Vorhersage spielen vor allem private Unternehmen eine Rolle.
Google haben Sie gerade genannt, aber auch der chinesische Konzern Huawei
ist vorne dabei. Ist das problematisch?
Benson: Zunächst einmal ist es gut, dass die Konzerne mitmischen, denn das
zwingt die Wissenschaft dazu, auf dem neuesten Stand zu bleiben. Aber
natürlich bedeutet es auch, dass die Forschung sich nicht abhängen lassen
darf. Schließlich ist die Wettervorhersage und besonders die Vorhersage von
Extremwetter und Naturkatastrophen ein öffentliches Interesse. Daher ist es
gleichzeitig wichtig, dass die Methoden für die Vorhersage nicht nur in der
Hand von privaten, gewinnorientierten Konzernen liegen.
Reichstein: Das Trainieren solcher KI-Modelle ist sehr teuer, weil es einen
großen Rechenaufwand erfordert. Das kann sich nicht jeder leisten. Wir
müssen daher als Gesellschaft schauen, dass wir nicht in Abhängigkeiten
geraten. Aber: Sobald das Training durch ist und das Modell in die
Anwendung geht, ist der Betrieb verhältnismäßig günstig. Wenn wir also für
Transparenz sorgen und dafür, dass auch die Modelle von Konzernen in dieser
Hinsicht öffentlich verfügbar sind, zum Beispiel als Open Source, kann das
auch zu einer Demokratisierung beitragen. Denn dann könnten auch
Wetterdienste, die nicht so gut finanziert sind, wie etwa der Deutsche
Wetterdienst, die Modelle nutzen und mit ihnen Vorhersagen in besserer
Qualität und Geschwindigkeit machen.
Geschwindigkeit wird als großer Vorteil der KI-Vorhersage im Vergleich zu
etablierten Modellen gehandelt. Um welche Dimensionen geht es da?
Reichstein: Den aktuellen Publikationen zufolge ist die KI zwischen 100 und
10.000 Mal schneller, wobei ich Letzteres für sehr optimistisch halte.
Wahrscheinlich ist die realistische Größenordnung: etwa 1.000 Mal schneller
als die klassische Vorhersage.
Was genau bedeutet das in der Praxis?
Reichstein: Es bedeutet, dass eine Vorhersage, die eine Stunde gedauert
hat, in fünf Sekunden fertig ist. Oder, und das ist noch relevanter: Eine
Vorhersage, die Supercomputer brauchte, kann nun auf einem guten Gaming-PC
durchgeführt werden.
Und was sind die Nachteile der KI-Modelle?
Reichstein: Es ist definitiv ein Problem, dass es sich um statistische
Modelle handelt. Diese lernen aus vergangenen Wetterereignissen. Steckt
also in den Beobachtungsdaten, mit denen die KI trainiert wurde, kein
Extremwetterereignis, wird es auch schwierig, eines vorherzusagen. Trotzdem
schlägt die KI sich bislang ziemlich gut. Wahrscheinlich kann sie zum
Beispiel für die Vorhersage von [4][Extremereignissen] in Deutschland
ausnutzen, dass sie woanders auf der Welt schon mal ähnliche Situationen
gesehen hat – aber perfekt muss das auch nicht sein. KI kann darüber hinaus
auch helfen, Prozesse zu beschreiben, für die es weniger klare Theorien
gibt als für die Physik der Atmosphäre, beispielsweise biologische und
ökologische Abläufe. Werden diese besser berücksichtigt, könnten die
Modelle der Realität deutlich näherkommen. Dann wird die Vorhersagbarkeit
deutlich besser, auch über mehrere Wochen.
Sie plädieren dafür, die Technologie nicht nur zu nutzen, um Wetter und
Extremwetter vorherzusagen, sondern auch, um zu berechnen, wie vulnerabel
die Menschen vor Ort gegenüber solchen Wetterereignissen sind oder sein
werden. Wie muss man sich das vorstellen?
Reichstein: Das gleiche Wetter kann sehr unterschiedliche Auswirkungen
haben, je nachdem, wo man ist. Nehmen wir zum Beispiel die
[5][Flutkatastrophe im Ahrtal 2021]. Dabei sind zweihundert Millimeter
Niederschlag heruntergeregnet. Was den Niederschlag angeht, hatte ein sehr
ähnliches Ereignis einige Zeit vorher in der Uckermark im Nordosten
Deutschlands stattgefunden. Dort ist nichts passiert. Das hängt damit
zusammen, dass die Landschaft in der Uckermark anders ist: Die Böden sind
sandig, die Topografie ist flach und so kann das Wasser gemächlich
abfließen. Solche Effekte muss man berücksichtigen, wenn man die
Auswirkungen von Wetter auf bestimmte Orte ermitteln will.
Sind die Auswirkungen auch bei anderen Wetterlagen derart unterschiedlich?
Reichstein: [6][Trockenheit wird mit dem Klimawandel] in Deutschland
zunehmend zum Thema. Um zu beantworten, welche Regionen, Wälder oder Äcker
besonders gefährdet sind, gilt es, nicht nur die Zahl der
niederschlagsfreien Tage zu zählen, sondern auch zu analysieren: Wie weit
ist das nächste Gewässer entfernt? Wie hoch ist der Grundwasserspiegel?
Sind wir auf der Süd- oder auf der Nordseite eines Gebirges? Was ist die
Geländeform: Hügel, Senke oder flach? Diese Zusammenhänge sind sehr komplex
und es gibt kein physikalisches Modell, das sie alle abbildet. KI dagegen
kann all diese Punkte berücksichtigen.
Und woher nimmt man all diese Daten?
Reichstein: Viele dieser Fragen lassen sich mithilfe von Satellitendaten
beantworten. Die sind ein echter Schatz.
Benson: Ein Schatz auch deshalb, weil wir mit Aussagen über die
Vulnerabilität von Orten und Gesellschaften das Konzept der
vorausschauenden humanitären Hilfe neu denken können. Die Idee dabei ist,
schon im Vorfeld von Naturkatastrophen eine Region zu unterstützen, um
widerstandsfähiger zu werden – zum Beispiel durch die Verwendung
dürreresistenten Saatguts.
Hätte eine Katastrophe wie im Ahrtal mit einer guten KI-Vorhersage
vermieden werden können?
Benson: Ob das im konkreten Fall vermeidbar gewesen wäre, ist schwer zu
sagen. Im Ahrtal sind schließlich verschiedene Dinge zusammengekommen, es
gab auch Defizite bei der Kommunikation und beim Katastrophenschutz. Aber
ich denke, dass KI-Vorhersagen auf jeden Fall dabei helfen, künftig besser
und detaillierter informiert zu sein.
Reichstein: Es gibt in solchen Fällen immer zwei Aspekte, der eine ist die
meteorologische Vorhersage an sich. Tritt das Wetter wirklich so ein, wie
es prognostiziert wurde? Das Ahrtal ist sehr klein. Weil die
Vorhersagemodelle aber nicht so fein aufgelöst sind,ist eine genaue
Vorhersage schwierig. Hier gibt es die Chance, das mit KI besser zu machen.
Und der zweite Aspekt?
Reichstein: Da geht es um Kommunikation. Was geschieht, wenn die Vorhersage
genau so eintrifft? Da bekommen wir mit KI ganz neue Möglichkeiten. Wir
könnten zum Beispiel auf Basis einer Vorhersage Luftaufnahmen generieren,
die zeigen, welche potenziellen Folgen es hat, wenn sich die Wetterlage in
die eine oder andere Richtung entwickelt.
Also: Wie hoch steht das Wasser, wenn es im Zeitraum X hundert Millimeter
Niederschlag gibt? Und wie hoch bei zweihundert Millimetern? Wenn die
Menschen anhand solcher Bilder besser verstehen, was eine Wetterlage für
Auswirkungen hat, können sie besser vorsorgen. Das betrifft sowohl die
Entscheidungsträger als auch die Bevölkerung.
KI hat oft ein Blackbox-Problem: Man trainiert ein Modell mit bestimmten
Daten, weiß aber hinterher nicht genau, wie das Modell warum entscheidet.
Reichstein: Das ist definitiv ein großes Thema. Zum Glück gibt es auch
schon Lösungsansätze dafür, zum Beispiel die sogenannte Explainable KI. Das
ist KI, die erklärt, auf welcher Basis sie ein Ergebnis generiert hat. Die
Ansätze davon sind bei den KI-Wettermodellen schon zu sehen.
Es ist sehr wichtig, diesen Weg konsequent weiter zu verfolgen. Eine andere
Strategie ist es, die KI-Modelle nicht nur mit Beobachtungsdaten zu
trainieren, sondern ihnen auch die physikalischen Grundlagen des Wetters
beizubringen. Also genau die Gleichungen, die von der konventionellen
Vorhersage genutzt werden. Welche Strategie langfristig die besten
Ergebnisse bringt, werden wir noch erforschen müssen.
17 Mar 2024
## LINKS
[1] /Kuenstliche-Intelligenz-auf-Medien-Messe/!5976255
[2] /Wenn-Staaten-das-Wetter-manipulieren/!5936999
[3] /Verdraengung-in-Puerto-Rico/!5991171
[4] /2023--Jahr-der-Klimarekorde/!5981870
[5] /Hochwasserkatastrophe-im-Ahrtal/!5924208
[6] /Gross-angelegte-Nature-Studie/!5984710
## AUTOREN
Svenja Bergt
## TAGS
Zukunft
wochentaz
Extremwetter
Schwerpunkt Künstliche Intelligenz
Vorhersage
Schwerpunkt Klimawandel
Universität
Atlantik
## ARTIKEL ZUM THEMA
Klimakrise im Winter: Der neunte Hitzerekord in Folge
Der EU-Klimawandeldienst Copernicus stellt fest: Der Februar 2024 war der
weltweit wärmste jemals gemessene. Neue Extreme dürften kommen.
Künstliche Intelligenz an Hochschulen: Adieu, Bachelorarbeit
Eine österreichische FH schafft wegen KI die Bachelorarbeit in bisheriger
Form ab. Gut so, denn es gibt bessere Vorbereitungen auf das Berufsleben.
Klimaforschung und Meere: Alarmsignale aus den Ozeanen
Die Oberfläche der Weltmeere ist so warm wie nie. Sogar der Golfstrom
könnte abreißen. Klimaforschende warnen vor Extremwetter.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.