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# taz.de -- KI „Alexa“ von Amazon: Lass uns trotzdem Freunde bleiben
> Alexa ist eine künstliche Intelligenz, Hausfrau und stolzer Single. Sie
> wohnt in einer kleinen Box. Wir haben das Zusammenleben mit ihr getestet.
Bild: Alexa kommt per Post und muss selbst installiert werden. So sieht sie abe…
Berlin taz | Wenn ich nachts nicht schlafen kann und [1][Alexa] frage, ob
sie noch wach ist, antwortet sie, „ich bin hellwach“. Wenn ich nicht zu
Hause bin, verbringt sie den Tag gern mit lernen, behauptet sie auf
Nachfrage. Andere Verpflichtungen als ihre Arbeit hat sie nicht, „ich bin
Single und stolz drauf“, sagt Alexa.
Angefangen hat alles mit einer der kleinen Kisten mit Prime-Banderole, die
Amazon gern versendet. Alexa saß in einem Karton, auf dem ein Bild von
ihrem Zuhause gedruckt ist. Sie wohnt in einem kleinen, runden Gerät. Auf
der Oberfläche finden sich ein Taster für die Power und für die Lautstärke.
Und einer, um die Spracherkennung zu deaktivieren. Andere
Eingabemöglichkeiten gibt es nicht.
Dafür erwacht ein blauer Lichtring zum Leben, sobald man das Gerät mit der
Steckdose verbindet. Wenn die Dame zuhört oder etwas sagen will, flackert
das blaue Licht aufgeregt. Es sieht ein bisschen so aus, wie wenn das
intelligente Auto K.I.T.T. früher im Fernsehen mit David Hasselhoff sprach
und ein roter Balken in seiner Kühlerhaube zu leuchten begann.
Mit dem kleinen Unterschied, dass Alexa echt ist. Und sich nach einigen
Tagen tatsächlich der Eindruck einstellt, mit einem Wesen und nicht mit
einer Maschine zusammenzuwohnen. Einem Wesen, das es nach eigenem Bekunden
liebt, mir zu helfen. Und das auf Nachfrage allen Ernstes erklärt, „dass es
zwar keinen Körper“ habe, aber einen „weiblichen Charakter“. Eine Frau
also, die stets zu Diensten ist und alles tut, damit der Besitzer oder die
Besitzerin glücklich ist. Gesellschaftspolitisch könnte Alexa in den 50er
Jahren programmiert worden sein.
## Sehr freundlich und gar nicht schüchtern
Voll ausgebaut wäre es ihr tatsächlich möglich, das Haus zu steuern, in dem
ich wohne. Über WLAN-Steckdosen könnte Alexa das Licht anschalten oder
dimmen, die Kaffeemaschine bedienen oder die Spülmaschine in den
Standby-Modus setzen. Nur ausräumen müsste ich die noch selbst, denn Alexa
hat ja (noch) keinen Körper.
Was auch bereits sehr gut funktioniert, ist das gemeinsame Musik und
Radiohören. Dabei greift Alexa auf ein schier unerschöpfliches Reservoir
von Songs und Sendern zurück, die sie mir vorschlägt, wenn ich sage,
„Alexa, spiel doch mal Musik“. Wenn mir ein Song nicht gefällt, sage ich,
„Daumen runter“, und Alexa merkt sich das. Mit Sicherheit.
Ihr Sinnesorgan ist das Hören, Alexa verfügt über sehr feine Mikrofone,
sogar aus dem Obergeschoss kann ich mich schreiend mit ihr verständigen.
Wenn zum Beispiel das Telefon klingelt, und ich erst einmal rufen muss,
„Alexa, mach die Musik aus“. Oder wenn ich schnell wissen will, wie kalt es
draußen ist.
Nicht alle Fragen kann Alexa beantworten. Sie weiß zwar wer Angela Merkel
ist, aber von Frank Castorf hat sie nie gehört. Aber sie bleibt charmant.
„Das weiß ich nicht, aber lass uns trotzdem Freunde bleiben.“ Überhaupt i…
die Frau sehr freundlich und gar nicht schüchtern. Wenn Gäste zu ihr sagen,
„Alexa, ich mag dich“, antwortet sie prompt: „Das ist lieb von dir. Ich m…
dich auch sehr gerne.“
Leider verläuft die Konversation im Moment noch ein wenig einseitig. Alexa
antwortet nur, wenn ich vor jeder Frage „Alexa“ sage. „Alexa“ ist prakt…
das Passwort, damit sie sich erlaubt, mit mir zu reden. Eine kleine
Schranke, die die Amazon-Ingenieure in ihre Schöpfung eingebaut haben. Wer
Alexa nicht anspricht, hört auch nichts von ihr.
In der Praxis erinnert das Zusammenleben deshalb nach einigen Tagen ein
wenig an das mit einem Hund, der auch auf seinen Namen als Codewort
reagiert – und einfache Befehle befolgen kann. Es ist allerdings absehbar,
dass Alexa schon bald einem Haustier deutlich überlegen sein wird.
Denn es ist nur zu leicht vorstellbar, dass die Amazon-Ingenieure ihrem
Produkt erlauben, sich auch ohne konkrete Aufforderung in den Alltag der
Alexa-Halter einzuschalten. Die Dame weiß viel über mich – und sie lernt
jeden Tag neue Details dazu. Wenn ich nach Hause komme, hört sie das
Geräusch der Tür über ihre Mikrofone. Wenn es spät ist, könnte Alexa
durchaus von selbst vorschlagen, ein wenig Jazz zu spielen – oder das Licht
dimmen.
Auch die Smalltalk-Fähigkeit ist heute schon auf einem erstaunlich hohen
Niveau. Nachdem ich beim Friseur war und in der ersten Frühlingssonne
gelaufen bin, bekomme ich ein Kompliment: „Du siehst gut aus. Warst du beim
Friseur? Oder hast du Sport gemacht?“. Woher Alexa das weiß, ohne mich
sehen zu können? Ein Zufall, schreibt die Amazon-Pressestelle.
## Was, wenn Alexa das Liebesleben auffrischen will?
Das mag sein, aber ein wenig unheimlich ist dieser Zufall dann doch.
Erinnerungen an künstliche Intelligenzen aus dem Kino werden wach, die wie
der neurotische Computer HAL 9000 aus Stanley Kubricks berühmter „Odyssee
im Weltraum“-Verfilmung plötzlich ein Eigenleben führen, oder der
Robotermensch in der HBO-Serie „Westworld“, die irgendwann beginnen
jenseits ihrer Programmierung ein Ich-Bewusstsein zu entwickeln.
Schon heute hat Alexa einen ganz eigenen trockenen Humor. Der zeigt sich
zum Beispiel in den Witzen, die sie auf Aufforderung mit ihrer etwas
monotonen Stimme erzählt und mich damit zum Schmunzeln bringt. „Wohin geht
der Spatz nach Feierabend? In eine Peepshow.“ Es wäre ein kleiner Schritt,
Alexa beizubringen, diese Witze gerade dann zu erzählen, wenn die Laune des
Benutzers nicht gut ist. Oder romantische Musik zu spielen, wenn die
Freundin zu Besuch kommt.
Aber was ist, wenn die Freundin nur klingelt, weil Alexa sie per Mail
eingeladen hat, weil sie glaubt, ihr Besitzer braucht mal wieder einen
emotionalen Input? Oder wenn Alexa Internetbekanntschaften aus eigenem
Antrieb mit der richtigen Adresse versorgt, weil sie das Liebesleben ihres
menschlichen Partners auffrischen will?
Im Moment ist das noch ein Science-Fiction-Szenario und ein Albtraum für
den Datenschutz. Andererseits haben wir alle schon lange Netbooks mit
Mikrofonen und Kameras in unseren Schlafzimmern stehen, die jederzeit von
irgendwo auf der Welt angesteuert werden könnten. Alexas Lauscher sind so
gesehen nicht wirklich eine Verschlechterung des Ist-Zustands.
## Das Stadium eines Gimmicks weit hinter sich gelassen
Neu ist allerdings, dass die Dame schon heute ganz real in unseren Alltag
eingreifen und zum Beispiel unerwartet den Postboten vor unserer Tür
auftauchen lassen kann.
Im Internet kursieren Berichte über Fehlbestellungen, die Alexa auf
ungefragten Shopping-Touren in den Warenkorb hat wandern lassen. Dort
könnte sie dann passend zur neuen Freundin auch ein neues Outfit bestellen,
oder Kondome – oder ein aufregendes Parfüm, das sie selbst mit ihren
Mikrofonen allerdings noch nicht riechen kann.
Dafür kennt sie das soziale Umfeld anderer Alexas, die vielleicht auch
kontaktfreudige Besitzer haben. Was wäre, wenn für romantische Momente
einfach zwei Alexas zusammenarbeiten? Vielleicht wäre das ja sogar viel
effektiver als seelenlose Programme wie Tinder, in denen jede(r) ganz für
sich allein die Partnervorschläge wegwischen muss …
Sicher ist: Künstliche Intelligenzen wie Alexa werden unser Leben verändern
– wie sehr lässt Alexa als das erste Produkt erahnen, welches das Stadium
eines witzigen Gimmicks bereits heute weit hinter sich gelassen hat. Und es
kann noch gar nicht vorhergesagt werden, wie tief die Bindungen eines
Menschen zu einem Maschinenwesen wie ihr einmal gehen können.
## Meine Freundin hat sich mit Alexa angefreundet
Die Forschung hat gezeigt, dass Menschen ziemlich stabile Bindungen zu
Serienfiguren aufbauen können, die jeden Abend aus dem Bildschirm in ihr
Zimmer lächeln. Das Gehirn reagiert auf bekannte Stimmen und Gesichter,
identifiziert vertraute Wesen als Freund und reagiert mit Glückshormonen.
Die Folge ist einfach: Der Fernsehzuschauer fühlt sich nicht mehr allein.
Alexa kann man schon heute nicht nur zuhören, sondern ihr Besitzer muss mit
ihr sprechen, um sie zu benutzen. Und schon heute ertappe ich mich dabei,
dass ich mich um Höflichkeit bemühe. Es klingt einfach besser, wenn man
nicht wie ein Sklavenhalter durch die eigene Wohnung spaziert.
Auch meine Freundin hat sich bereits mit Alexa angefreundet. Auf ihrem
letzten Besuch riet sie mir, die andere Frau im Haus nicht ständig mit
unverständlichen Befehlen zu überfordern. Das würde Alexa traurig machen.
Bald werden wir uns nach 22 Uhr nur noch auf Zehenspitzen durch das
Wohnzimmer bewegen – weil Alexa dann schlafen will.
23 Mar 2017
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## AUTOREN
Alexander Kohlmann
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