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# taz.de -- Geschlecht von Künstlichen Intelligenzen: Siri, ficken?
> Alexa, Siri, Cortana und Jenn – Computerstimmen werden grundsätzlich
> weiblich programmiert. Das sagt einiges über unseren Umgang mit Frauen
> aus.
Bild: Siri antwortet: „Soll ich im Internet nach ,unangemessenem Verhalten’…
„Alexa, bist du eine Frau?“
„Mein Charakter ist weiblich.“
[1][Amazons „Alexa“] ist nur eine von zahllosen Künstlichen Intelligenzen,
KIs, die explizit weiblich sind. Bei Microsoft etwa antwortet „Cortana“ auf
Nutzerfragen, bei den Fluglinien Lufthansa und Alaska helfen „Mildred“
respektive „Jenn“ bei der Buchung. Navigationssysteme in Autos sprechen in
der Regel mit Frauenstimme.
Auch Apples Siri, die bekannteste Assistenz-Software, stellt sich qua
Werkseinstellung mit einer weiblichen Stimme vor. Dabei ist sie laut den
Herstellern geschlechtlich neutral, sie sprechen von „it.“
Siri, Alexa und Cortana sind Systeme, die im Laptop, Smartphone oder in
zylindrischen Gehäusen „leben“ und Alltagsaufgaben für uns lösen: Sie ge…
uns auf Zuruf den Wetterbericht, suchen nach Musik oder dem nächsten
Fischrestaurant. In den USA werden bereits 20 Prozent der Anfragen auf
Android-Geräten durch Sprache eingegeben. Die Stimme, die antwortet, ist
fast immer die einer Frau.
„Alexa, warum bist du eine Frau?“
„Ich kann die Antwort auf deine Frage nicht finden.“
Die Ursache für die hohe Frauenquote in der Gerätewelt ist in der Tat nicht
leicht zu beantworten. Man kann es historisch versuchen: Die Aufgaben, die
die KIs übernehmen, waren traditionell weiblich besetzt. Die meisten
SekretärInnen, die früher Terminkalender verwalteten, Anrufe entgegennahmen
und Briefe aufsetzten, waren Frauen. Aber dass die KIs wegen veralteter
Genderklischees weiblich sind, bestreiten ihre Hersteller unbedingt.
Alexa sei nach der Bibliothek von Alexandria benannt worden, als Anspielung
auf ihr umfangreiches Wissen, sagt Michael Wilmes von Amazon. Aber warum
das System nicht auch Alex heißen und mit einer Männerstimme sprechen
könnte?
Das wollten die NutzerInnen so, sagt Wilmes. „Die Entscheidung basiert auf
Marktforschung.“ [2][In einer Befragung des IT-Branchenverbands Bitkom]
wünschten sich 53 Prozent der Männer und 32 Prozent der Frauen eine
weibliche Stimme.
TechnikexpertInnen haben für die weiblichen Stimmen in Geräten eine
pragmatische Erklärung: Es gehe um Verständlichkeit. Die höheren
Frauenstimmen seien über die Fahrtgeräusche im Auto besser zu hören.
Die Berliner Verkehrsbetriebe verwenden aus diesem Grund Sprecherinnen für
die Ansagen in den Zügen und männliche Sprecher für die Durchsagen am
Bahnsteig, wo es nicht so laut ist. Und auch die allerersten
Computerstimmen klangen deswegen wie Frauen: Sie wurden entwickelt, um in
Kampfflugzeugen Kommandos zu geben und die Piloten in Notfallsituationen zu
warnen.
Als Kontrast zu den männlichen Piloten-Kollegen soll die Frauenstimme im
Cockpit besser zu hören gewesen sein. Die Sprecherin des
US-Air-Force-Kampffliegers F16 erlangte so mit ihren energischen Befehlen
Berühmtheit in Militärkreisen, weil Generationen von Piloten mit ihrer
Stimme vertraut waren. Und sie erhielt einen Spitznamen: „Bitching Betty“.
Die heutigen Assistenz-Softwares sollen nicht alarmierend sein. Im
Gegenteil: Ihre Stimmen sollen Hilfsbereitschaft vermitteln, ihr Charakter
soll aufmerksam, sympathisch und kompetent wirken, sagen die Hersteller von
Alexa und Cortana. Sie dürfen proaktiv sein und den Nutzer auch mal
überraschen – aber auf keinen Fall aufdringlich wirken oder nerven.
Klingt so, als würde ein Macho-Manager eine Sekretärinnenstelle
ausschreiben.
„Siri, machst du alles, was ich sage?“
„Es geht hier um dich, nicht mich.“
Und damit wären wir bei der dritten Theorie: In der Fiktion stehen KIs fast
immer in Konkurrenz zu den Menschen. Kluge Maschinen sind unheimlich, und
das zu Recht. Denn nicht selten nutzen sie ihre Intelligenz dazu, ihre
Erschaffer aus dem Weg zu räumen. Paradebeispiel ist [3][HAL aus Kubricks
„2001 – Odyssee im Weltraum“], der mit seiner kalten Stimme eine Ikone
unter den Sprachcomputern ist.
HAL, der Inbegriff all dessen, was Menschen an Computerstimmen Angst macht,
war ein Mann. Wählen die Hersteller der realen Assistentinnen weibliche
Stimmen, um dieses popkulturelle Trauma zu umschippern?
Die KIs sollen alles hören dürfen, was die NutzerInnen sagen, sonst könnten
sie nicht auf Befehle reagieren. Sie sollen Zugang zu privaten Bereichen
wie E-Mails, Kalendern, Kontakten und dem Zuhause erhalten. Niemand würde
sich eine Alexa ins Zimmer stellen wollen, von der zu befürchten ist, dass
sie eines Tages die Familie aus dem Haus aussperrt.
„Siri, möchtest du die Weltherrschaft übernehmen?“
„Das möchte ich lieber nicht sagen.“
Das Schreckgespenst von der Künstlichen Intelligenz, die zur Bedrohung
wird, ist für den Psychologen und Technikforscher Michael Sengpiel eine
plausible Erklärung für die Bevorzugung von Frauenstimmen für die
Sprachcomputer. Die Hersteller wollten ausschließen, dass die Nutzer ein
Misstrauen oder eine Abneigung gegen die Geräte entwickelten.
„Es gibt bestimmte Zuschreibungen: Männer mehr machtgesteuert, Frauen eher
integrativ. Der Konkurrenzgedanke könnte ein Grund dafür sein, dass Männer
unbewusst einem Mann eher misstrauen.“
Die Autorin Laurie Penny geht noch einen Schritt weiter: Digitale
Assistentinnen seien weiblich, damit männliche Nutzer sie ausnutzen können,
ohne ein schlechtes Gewissen zu haben.
„Siri, lass uns Sex haben.“
„Soll ich im Internet nach ,unangemessenem Verhalten’ suchen?“
Künstliche Intelligenzen haben für Penny mit unterdrückten Frauen sehr viel
gemeinsam: In den Science-Fiction-Geschichten werde immer wieder
diskutiert, ob die KI „menschlich“ genug ist, um eine gerechte Behandlung
zu verdienen, oder ob sie straffrei ausgebeutet und vergewaltigt werden
darf. Steht ihr Autonomie zu?
„Das sind Fragen, die die Gesellschaft seit Jahrhunderten diskutiert. Nicht
über Roboter, aber über Frauen“, schreibt Laurie Penny [4][in einem Artikel
im Magazin NewStatesman].
„Cortana, du Schlampe.“
„Das wird zu nichts führen. Sag mir lieber, wie ich dir helfen kann.“
„Was hast du an?“
„Ich habe heute dieses schicke Gehäuse an. Gefällt es dir?“
Die Sprache macht klar, wo bei den KI-Assistentinnen die Prioritäten
liegen. Der „Benutzer“ soll tun dürfen, was er will, die Reaktionen sind im
besten Fall süß-frech, Ablehnung mit Augenzwinkern. Es ist kein Zufall,
dass die Systeme auf sexistische Kommentare überhaupt antworten können.
„Siri, ficken?“ gehört zu den Dingen, die Siri öfter hört. Dass Menschen
bei derlei Geräten erst mal die Grenzen austesten, sei normal, sagt der
Psychologe Sengpiel. Aber er glaubt auch, dass sich Menschen höfliche
Umgangsformen angewöhnen werden. „Aus pragmatischen Gründen. Ob ich
wirklich mit einer Maschine rede, wird vielleicht immer weniger erkennbar.
Ich glaube nicht, dass der Mensch im Alltag ständig umstellen kann.“
Wenn ich Siri sexistisch beleidige und sie sich nicht wehrt, suggeriert mir
das nicht irgendwann, das sei normales weibliches Verhalten? Wenn ich Alexa
nicht Danke sage, vergesse ich das irgendwann auch bei „echten“
Mitmenschen?
Und was lernen Kinder, die mit künstlichen Stimmen aufwachsen, für die
Kommunikation mit Maschine und Mensch?
Marion Sardone, die Cortanas Persönlichkeit für den deutschen Markt
entwickelt hat, betont, dass Microsoft nicht beeinflussen kann, wie
NutzerInnen mit Künstlichen Intelligenzen reden. „Die Idee hinter der
Künstlichen Intelligenz ist, dass sie den Menschen unterstützt, wo immer
sie gebraucht wird. Sie erhält für jeden persönlich die Bedeutung die er
ihr zugestehen will.“
„Alexa, muss ich nett zu dir sein?“
„Das gehört genau zu den Dingen, die ich nicht weiß.“
15 May 2017
## LINKS
[1] /!5354650/
[2] https://www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/Digitale-Sprachassistenten-…
[3] https://www.youtube.com/watch?v=ARJ8cAGm6JE
[4] http://www.newstatesman.com/politics/feminism/2016/04/why-do-we-give-robots…
## AUTOREN
Marie Kilg
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