# taz.de -- Studie zu künstlicher Intelligenz: Bist du schwul oder was? | |
> Eine Studie sagt, ein Computer könne die sexuelle Orientierung eines | |
> Menschen an seinem Gesicht erkennen. Ist das wirklich so einfach? | |
Bild: Ob der Regenbogen wohl auch mitgescannt wird? | |
Die sexuelle Orientierung steht einem Menschen im Gesicht geschrieben – | |
könnte man zumindest meinen, wenn man einen flüchtigen Blick auf eine | |
kürzlich erschienene Studie der Stanford University wirft. Darin | |
untersuchten Computer Fotos von mehr als 35.000 Gesichtern mit dem Ziel | |
herauszufinden, welche der abgebildeten Personen homosexuell und welche | |
heterosexuell ist. | |
Das Ergebnis klingt faszinierend: Anhand eines Porträtfotos konnte der | |
Algorithmus zwischen homo- und heterosexuellen Männern mit einer | |
81-prozentigen Trefferwahrscheinlichkeit unterscheiden, bei Frauen lag die | |
Quote bei 71 Prozent. Mit jeweils fünf Fotos pro Person steigt die | |
Wahrscheinlichkeit gar auf 91 beziehungsweise 83 Prozent. Das klingt nach | |
viel Gewissheit – ist aber ziemlich irreführend. | |
Die Wissenschaftler benutzten Fotos von (vor allem weißen) NutzerInnen | |
einer Dating-Webseite, wussten also, welche sexuelle Orientierung in den | |
jeweiligen Profilen angegeben war. Das Programm analysierte jeweils Fotos | |
einer homo- und einer heterosexuellen Person und der Algorithmus musste | |
sich entscheiden: Wer von den beiden ist schwul oder lesbisch und wer | |
nicht. | |
Homosexuelle Menschen sollen demnach eher „gender-atypische“ | |
Gesichtsmerkmale haben – und zwar nicht nur, was gewählte Attribute wie | |
Frisur oder Augenbrauen angeht. So führt die Studie für schwule Männer etwa | |
im Vergleich zu heterosexuellen Männern schmalere Kiefer, längere Nasen | |
und höhere Stirnen an, für lesbische Frauen breitere Kiefer und kleinere | |
Stirnen. | |
Ein Beleg dafür, dass sexuelle Orientierung angeboren sei, verkünden die | |
Macher der Studie nun – und sehen dadurch die sehr umstrittene pränatale | |
Hormontheorie (PHT) bestätigt. Danach soll die sexuelle Orientierung eines | |
Menschen abhängig sein von der Menge an androgenen Hormonen, denen er oder | |
sie im Uterus ausgesetzt war. Dieselben Hormone seien auch für | |
Geschlechterunterschiede im Gesicht verantwortlich. Wissenschaftlich | |
bewiesen ist diese Theorie bislang allerdings nicht. | |
## Methodik der Studie nicht infragegestellt | |
In vielen Medien – von den Jugendportalen Bento und Noizz über Spiegel | |
Online bis zum Economist – wurde die Studie in den vergangenen Tagen | |
aufgeregt besprochen. Der britische Guardian etwa schreibt unter der | |
Überschrift „Neue künstliche Intelligenz kann anhand eines Fotos erraten, | |
ob du schwul oder hetero bist“, dass das Ergebnis der Studie „knifflige | |
ethische Fragen“ eröffne. So könne eine solche Technik etwa in Ländern, in | |
denen Homosexuelle verfolgt werden, gegen diese eingesetzt werden. | |
Zwangsoutings würden zu einer Leichtigkeit. | |
Das klingt kritisch, stellt aber – wie die anderen Texte auch – die | |
Methodik der Studie überhaupt nicht infrage, und damit auch nicht, dass | |
durch diese Studie die pränatale Hormontheorie bestätigt würde. Dabei wäre | |
das geboten. | |
Denn es genügt eigentlich ein Blick auf die Methode, um stutzig zu werden. | |
Würde man mir zwei Männer vor die Nase setzen und sagen: Einer ist schwul | |
und einer hetero, und ich würde mit geschlossenen Augen auf einen von | |
beiden deuten und sagen: „Der ist schwul“, dann läge meine Trefferquote, | |
wie bei jedem Zufallsgenerator, bei: 50 Prozent. | |
Der Algorithmus schafft 81 Prozent – aber wir sollten nicht vergessen, dass | |
dieser eben auch selbst gewählte Attribute wie Haarschnitt und Frisur | |
einbezieht und dass es sich um Fotos von einer Dating-Plattform handelt. | |
Die Abgebildeten wollen also eine bestimmte Zielgruppe ansprechen. | |
Vor allem aber existiert die Versuchsanordnung – zwei Menschen mit | |
definitiv unterschiedlicher sexueller Orientierung – so nur im Labor. Viel | |
interessanter wäre, ob eine Software anhand eines einzigen Gesichts | |
herausfinden könnte, ob der dazugehörige Mensch homo- oder heterosexuell | |
ist. Dann gibt es aber plötzlich statt zwei Möglichkeiten – richtig oder | |
falsch – vier Optionen: Die Software sagt, ein Mann sei schwul – und es | |
stimmt oder eben nicht. Oder sie sagt, er sei hetero – und es ist richtig | |
oder falsch. Die Autoren Michal Kosinski und Yilun Wang sagen selbst, dass | |
die Trefferquote in einer solchen Konstellation deutlich geringer sei. | |
## Einer der Studien-Autoren sorgte schon früher für Wirbel | |
Michal Kosinski ist übrigens jener Mann, der nach der Wahl Donald Trumps | |
von sich reden machte: als Erfinder ebenjener Technik, mit der ein | |
Unternehmen namens Cambridge Analytica angeblich Trumps Wahl zum | |
Präsidenten der USA in die Wege leitete. Damals erzählte Kosinski dem | |
schweizerischen Magazin, seine Technik könne verschiedene Eigenschaften | |
eines Menschen anhand seiner Facebooklikes teilweise besser bestimmen, als | |
das Partner oder Partnerin der jeweiligen Person könnten. | |
Die Studie sorgte für Wirbel – nicht zuletzt, weil viele eine Erklärung für | |
das soeben Geschehene dankbar annahmen. Mit der Zeit tauchten dann aber | |
auch jene Stimmen auf, die davor warnten, die Methode als allzu mächtig | |
anzusehen. | |
Die zahlreichen Daten, die über uns für alle Öffentlichkeit einsehbar in | |
der Welt kursieren, verraten in der Tat viel über uns. Kosinski sagt, er | |
wolle mit der Veröffentlichung der aktuellen Studie vor allem auf die | |
Gefahren aufmerksam machen – und aufmerksam sollten wir sein. | |
Das gilt jedoch auch für die Ergebnisse von Studien – und deren | |
Präsentation in den Medien. Einen Beweis für die pränatale Hormontheorie | |
bedeuten die Ergebnisse keineswegs – und eine Trefferwahrscheinlichkeit von | |
81 Prozent ist nicht ganz so hoch, wie es sich anhören mag. | |
11 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Dinah Riese | |
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