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# taz.de -- Partnersuche im Alter: Kein Sex ist auch keine Lösung
> Unser Autor hat über seine verheerenden Dating-Erlebnisse als 60-Jähriger
> geschrieben. Seither teilen viele ihre Erfahrungen mit ihm.
Bild: Für die Liebe ist es nie zu spät. Deswegen veranstalten auch Altersheim…
Im August [1][schrieb unser Autor] unter Pseudonym, welche Erfahrungen er
mit 60 Jahren auf der Suche nach einer neuen Partnerin gemacht hatte.
Daraufhin bekam er zahlreiche Zuschriften von Leser*innen. Hier berichtet
er, wie es weiterging. Namen und Details sind anonymisiert.
Nein, das war kein Fake. Das war mein realer Erfahrungsbericht der
vergangenen zwei Jahre auf der Suche nach einer Frau, nach intimer
Begegnung. Alle Personen gibt es, die Begegnungen fanden so statt, die
teils absurden Treffen, die zarten Annäherungen, die intensiven Gespräche –
und die Volten ins Nichts.
Als „längste Kontaktanzeige der Welt“, wie gleich mehrere schrieben, war
der Text übrigens nicht gedacht. Die E-Mail-Adresse unter dem Text
entsprang einer spontanen Idee des Redakteurs: „Was hältste davon?“ Ich
hatte nur zurückgesimst: „Meinetwegen.“ Und so gab es bisher 93 Zuschriften
an [email protected], teils sehr lange, gespickt mit eigenen Leidensgeschichten.
Fast alle Kommentare waren von Frauen, meist begeistert, teils hymnisch,
manche mit einer fast intimen Freundschaftlichkeit: „Wow für den Mut – das
war sehr bewegend.“ Oder: „Ich bin überwältigt, fassungslos und sehr
angerührt von den Zeilen.“ Oder: „Mit sehr viel Lächeln und Empathie
gelesen und die männliche Perspektive verstanden.“ Oder: „Habe bei
Kerzenlicht, Musik und einem Glas Sekt in der Badewanne Ihren Artikel mit
Wonne, Verständnis und Wiedererkennungsmerkmalen meines Liebeslebens
gelesen.“
Danke für die Blumen. Monate hatte ich mit mir gerungen, ob der Text, an
einem Wochenende in akuter Verzweiflung geschrieben, wirklich erscheinen
soll: Meine größte Sorge war, dass sich jemand trotz sorgsamer
Anonymisierung erkennen würde. Das ist zum Glück nicht passiert. Nur zwei
alte Freundinnen hier in Essen haben mich identifiziert – der einen hatte
ich eines der beschriebenen Erlebnisse bereits einmal erzählt, die andere
ist meine Ex-Ex-Ex: Beim Treffen hob sie das Bierglas und sprach mich mit
meinem Pseudonym an – „Prost, Kai.“ – „Bitte?“ – „Willste leugn…
dein Stil . . .?“
## Viele Hoffnungslose
Wichtiger als das Lob waren mir aber die vielen Hinweise, dass es Frauen
Ü-50 nicht besser ergeht bei der Partnersuche. Es gab Klagen zuhauf übers
Nichtverstehen und Ignoriertwerden. Und es gab Erzählungen von Hilf- und
Hoffnungslosigkeit, auch von Resignation: „Bin gerade dabei, meine
Liebesträume – mangels in Frage kommender Männer – wehmütig zu
verabschieden.“ Oder: „Habe diverse Versuche der Kontaktaufnahme hinter
mir. Der Frust ist zu groß und vermiest mir den Alltag.“ Ihr letzter
Ausweg? „Auf den Zufall beim Bäcker hoffen.“
Eine andere Frau schreibt: „Datingportale? Die Erfahrungen waren
verheerend.“ Dann lieber: „Raus aus dem Kampf!!! Find ich ganz angenehm,
hab mir ein schönes Leben eingerichtet.“
Offenbar glauben viele Frauen, wir Männer hätten es da leichter. So schrieb
mir eine Leserin: „Gut zu sehen, dass es auch Männern so geht. Aber was
bleibt: die Sehnsucht. Auch ich bin mittlerweile so weit, Aktionen zu
starten, die ich nie für möglich gehalten hätte. War schon auf Ü50- und
Ü40-Partys und dachte nur, was mache ich hier?“ Eine andere sehnt sich mit
zarter Ironie den eierlegenden Wollmilcheber herbei: Er soll „liebevoller
und zugewandter Partner sein, die Erfüllung im Bett und gleichzeitig die
beste Freundin.“
Eine andere schrieb: „Bin ich noch attraktiv genug? Angezogen ja, aber
nackt? Weiß ich noch, wie Zärtlichkeit geht? Hindern mich nicht alle meine
Erfahrungen, mich noch einmal einzulassen auf etwas Neues, Großes, Schönes?
Die Unbefangenheit ist weg, und Scham ist irgendwie an ihre Stelle
getreten. Seit sechs Jahren habe ich mich mehr oder weniger im Alleinsein
eingerichtet, ein langjähriger Freund fragt ab und zu nach meinen
Männergeschichten, damit er mir seine Frauengeschichten erzählen kann.“
## Ein eigenes Datingportal für einsame taz-LeserInnen
Männer prahlen sich gern durch ihr gut getarnt trauriges Leben. Gefrustete
Frauen schreiben dagegen von Trauer, Sehnsucht, Enttäuschungen. Wie schön,
wenn Kleinigkeiten da Mut machen können: „Danke für das Wort
Wabbelfleischweib, insbesondere in dem Zusammenhang, dass diese Frau eine
deutlich jüngere und schlankere ausstach.“
Eine Leserin wünscht sich ein eigenes Datingportal für einsame
taz-LeserInnen, eine andere empfiehlt Tango zur Kontaktanbahnung. Dutzende
empfehlen sich selbst, teils hoffend, bittend, auch mehrfach. Eine
vermutete, der Account werde „zerbersten vor Anfragen liebeshungriger
Damen“. Nun ja, er ist noch ganz.
Sehnsucht und Frust sind ein trautes Paar. „Manchmal ist mir traurig
zumute, wenn ich einen alten Song schmettern möchte, einen Zeitungsartikel
zitieren, mich mal anlehnen, in den Arm genommen werden. Da sind auch die
besten Freundinnen oft nicht das Richtige, vom fehlenden Sex mal ganz
abgesehen. In diesen Momenten habe ich es dann doch sehr satt, Single zu
sein, und vermisse fast die Ärgernisse, die es mit dem letzten Partner gab.
Fast.“
Eine andere schreibt: „Gestern habe ich mich mit meiner Tochter, 21 Jahre
jung, getroffen, um ihr mal wieder vorzujammern, dass der Markt netter,
begehrenswerter Männer so leer ist wie mein Konto. Ich hab Ihren Artikel
mit viel Spaß und kleinen bittersüßen Seufzern gelesen. Danke für die
Erleuchtung, dass ich normal und nicht allein mit diesen Erfahrungen bin.
Geben wir auf?“ Nein!
## Fast vierzig Jahre ohne Sex
Aber auch Männer klagen: „Es ist mir mehrmals passiert, dass Frauen nach
kurzer Zeit Forderungen nach mehr Beziehung bis hin zur Versorgung gestellt
haben (‚Könntest mir eigentlich meine Krankenkasse bezahlen, du hast doch
genug Geld, und ich bin doch sexuell genau das, was dir gut tut . . .‘),
die mich in die Flucht getrieben haben.“
Ein anderer: „Ein Jahr kein Sex? – Ha, ich komme mit jetzt 65 auf knapp 40
Jahre. Dabei habe ich kein manifestes Gebrechen à la MS oder dergleichen.
Warum ich Ihnen das schreibe? Keine Ahnung, ich erwarte nicht, dass Ihnen
Ihre eigenen Nöte deshalb auch nur einen Deut geringer vorkommen.“
Gefrustete Männer klingen aber oft eher bockig, manchmal aggressiv. „Sie
verhalten sich wie ein 20- oder 40-Jähriger auf der Suche nach der großen
Liebe. Wieso Gomera, wo sich Althippis mit Klampfe am Strand von Valle Gran
Rey treffen? Mit 60? Werden Sie endlich erwachsen, so wie Sie sich
verhalten und wie Sie schreiben, könnten Sie auch in der Pubertät auf der
Suche nach dem ersten Sex sein.“ Ein anderer hatte meine „anzüglichen
Amouren mit all den schrägen Abgängen lachend mit Weinen durchlebt“.
Oder bremsen uns die Verhältnisse? Ein Mann schrieb: „Eigentlich ist dein
Artikel ziemlich unreflektiert und – falsch. Dieses Portrait älter
gewordener, kaputter Frauen mit Abitur der deutschen Mittelklasse
kokettiert mit Problemen, die du bestenfalls vom Hören kennst. Die
Problematik sagt nichts aus über Gesellschaftsangehörige im Allgemeinen,
sondern stellt ausschließlich weibliche ‚middleclass Insassen‘ an den
Pranger . . .“
## Ein Rucksack voller Enttäuschungen, ein welkender Körper
Eine Frau schreibt mir: „Bewundere deinen Mut, dich neu verlieben zu
wollen.“ Ich zögere: Wieso, braucht man dazu wirklich Mut? Insgesamt bleibt
trotz vieler erhellender und stimmungsaufhellender Mails ein düsterer
Befund: Alle haben zu wenig Zeit, einen Stressjob, sind eingebunden in
viele zehrende Zusammenhänge, womöglich noch alleinerziehend in komplex
strukturiertem Patchwork oder haben die greisen Eltern zu bekümmern. Da ist
der Rucksack der Enttäuschungen, der welkende Körper, das Misstrauen – wo
bleibt da noch Platz für Liebe, Lust, Leidenschaft? Für Haut, für
Abenteuer, für Sprünge ins Ungewisse?
Eine Frau schreibt: „Haben Menschen um die 60 einfach Angst vor einem
Neustart, obwohl sie ihn sich so sehr wünschen?“ Offenbar ja. Und war denn,
fragte jemand mitfühlend, bei den vielen Zuschriften nicht die eine dabei?
Ich habe nur einer direkt geantwortet. Katja, eine hinreißende Frau. Ich
sei auch ihr Typ, sagt sie beim ersten Treffen so mutig wie offen. Wir
nähern uns seit Wochen, ganz vorsichtig an. Ich habe ihr den ersten
Liebeslimerick meines Lebens geschrieben: „There was a lady from Bonn . .
.“ Entzückt war sie. Bin mal gespannt, woran es mit ihr scheitert.
Oder! Eben! Nicht!
4 Oct 2017
## LINKS
[1] /Herzenskapriolen-im-Alter/!5433601
## AUTOREN
Kai Lippens
## TAGS
Liebe
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Tanz
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