# taz.de -- Herzenskapriolen im Alter: Amore über Sechzig | |
> Von einem, der auszieht, aber keine mehr auszieht. Und sich auch nicht: | |
> Die Geschichte eines Mannes, der auf der Suche nach der Liebe ist. | |
Bild: Mit 60 schon ein alter Mann? Alles eine Frage der Sichtweise | |
Der Autor, langjähriger Mitarbeiter der taz, schreibt unter Pseudonym, um | |
Rückschlüsse auf die Beteiligten auszuschließen. Ohnehin sind alle Namen, | |
Orte, Berufe und mögliche verräterische Details geändert. | |
Ich bin jetzt 60. Und auf Suche nach einer neuen Frau. 60. Also ein alter | |
Mann, zumindest ziemlich. Ganz früher war man mit 60 schon tot. Später ein | |
Greis. Ich bin schlank, sportaktiv und fit, alle Ärzte heben die Daumen. | |
Meine Macken müssten sozialkompatibel ein. Verglichen mit meiner Vitalität | |
sind die anderen um die 60 doch Opas. Pah! Ich habe viel von meinem | |
jugendlichen Charme behalten und sehe jünger aus, trotz fortschreitender | |
Ergrauung und dieser Falten. | |
Zumindest glaube ich das. Wie viele andere von sich wohl auch. | |
Mit der Post kommt die Senioren-Bahncard. Empfinde das als Beleidigung. | |
Biedere Rentnerbildchen auf dem begleitenden Werbeflyer. Gastronomisch bin | |
ich jetzt seniorentellerberechtigt. Der Seniorenrat meiner Heimatstadt | |
Essen sucht gerade neue Mitglieder. Tatsächlich: ab 60 steht da. | |
Ich sehe mich um, kontakte, flirte. Ja, darf auch ein Abenteuer sein. Aber | |
eigentlich will ich was Festes; wieder Liebe erfühlen, gern die ganz große. | |
Die Erfahrungen seitdem sind grotesk, desaströs, manchmal tief | |
frustrierend. Was ich gelernt habe über einsame Zweisamkeiten mancher Paare | |
hinter ihren Fassaden hat mich mitunter erschüttert. | |
Dabei begann es nach der gemeinschaftlich beschlossenen Trennung mit der | |
langjährigen Partnerin vor gut zwei Jahren wie eine Befreiung. Ein paar | |
Wochen danach eine schöne Affäre mit Physiotherapeutin Nora, 52, einige | |
Monate lang, auch sie aus Essen. Überaus wohltuend nach Jahren des | |
Beziehungsstresses, beider Versagen. Nora und ich wollten beide nicht mehr | |
als ab und an etwas Kino, Theater, erzählen, uns bespaßen in den Nächten. | |
Drei Jahre ist sie von ihrem Ex getrennt, die letzten drei Jahre hatten sie | |
sich nicht mehr angefasst. Macht sechs Jahre ohne Hautkontakt, sage ich. | |
„Ja, stimmt, hatte ich gar nicht nachgerechnet. Ist schon lange …“ | |
Später Anwältin Silke, auch sie Anfang 50. Wir kennen uns schon lange und | |
tun uns plötzlich gut, alle paar Wochen kommt sie für ein paar Stunden: zum | |
Essen, zum Rotwein, zum Schmusen, zum Sex. Der ist für beide immer etwas | |
bemüht, aber wir wollen es. So geht das ein paar Monate. Silke lebt fest | |
liiert, seit 30 Jahren, verheiratet, Sohn und Tochter. Ich bin also der | |
klassische Ehebrecher, keine schöne Rolle. Spätestens Mitternacht muss sie | |
immer weg. | |
Sie sei daheim auf dem Absprung, erzählt sie. Für uns beide eine wichtige | |
Rechtfertigung unserer Abende. Ihr Ehealltag wäre, finde ich, einer | |
Hausgemeinschaft unwürdig: getrenntes alles, kaum mal mehr gemeinsames | |
Essen, getrennte Schlafzimmer sowieso. „Er ist beruflich ständig unterwegs. | |
Der Job ist sein ein und alles. Aber er redet nicht. Manchmal weiß ich | |
nicht, ist er die ganze Woche wieder in Amerika oder nur bis morgen in | |
Stuttgart? Er ist wie ein Fremder. Er geht einfach, ist irgendwann wieder | |
da.“ Was für ein trauriges, ausgelutschtes Leben. Dann lieber stolzer | |
Single. | |
## Habt Glück! | |
Nach ein paar Treffen will sie es doch noch mal mit ihrem Mann probieren – | |
er habe ihr neulich, erzählt sie, tatsächlich im Gehen ohne Blickkontakt | |
nach Jahren mal wieder flüchtig durchs Haar gestrichen. Habt Glück! | |
Freund Tobi, 52, sagt, viele Frauen nähmen Männer Ü50 gar nicht mehr wahr. | |
„Die gucken einfach durch uns durch.“ 50? Ich bin 59, also sehr Ü schon und | |
demnach sehr unsichtbar. Wir testen in der Kneipe. Flirtversuche, | |
Blicksuche, nichts. Er hat recht. | |
Lerne Kathrin aus Bonn, 53, bei einem beruflichen Termin kennen. Wir gehen | |
ein paar Tage später frühstücken. Es dauert sechs Stunden. Wir erzählen uns | |
unsere halben Leben, Privates, Trennungen, Verletzungen, Jobprojekte, | |
Kuriositäten des Daseins. Eine dicke Umarmung zum Abschied. Nette Frau. | |
Fahre beschwingt heim. Sie mailt, war doch schön, mal vertrauensvoll unter | |
Kollegen über Berufliches zu plaudern. Ich antworte, ich fand auch den | |
„Austausch von nettem Mann zu netter Frau“ schön. Ihre Antwort: „Dazu | |
äußere ich mich mal nicht, hoffe, du verstehst.“ Ich antworte, nein, das | |
verstünde ich nicht. Sie antwortete nie mehr. Seltsam. | |
Marina, Anfang 50. Inhaberin eines kleinen Geschenkladens. Verabredung auf | |
ein Bier findet sie sofort gut. Sie kommt etwas zu spät. „Sollen wir nicht | |
lieber zu mir fahren?“, fragt sie. „Heute ist doch Champions League. Mein | |
Mann hat mir mal Sky geschenkt.“ Es gibt wohl wenig Überraschenderes als | |
eine Frau, die einen Mann, selbst Fußballfreund, zum Spiel einlädt. Wir | |
landen in einer Art Palast, beste Wohnlage gleich über dem Baldeneysee, | |
voll mit Designermöbeln, 350 Quadratmeter, Putzfrau vier Stunden drei Mal | |
wöchentlich. | |
Das Spiel ist mäßig. Und Marina unglücklich bis ins Mark. Ihr Mann arbeite | |
14 Stunden am Tag, verdiene sich krank. Ab 4 in der Früh sitze er am | |
Rechner, jeden Tag: „Ist ja alles sehr, sehr wichtig“, spottet sie. Wenn | |
sie aufstehe, sei er längst in seiner Firma. Und wenn abends mal Gäste da | |
seien, schlafe er um halb 9 schnarchend auf dem Sofa ein. „Er ist ein | |
richtiges soziales Monster.“ Selten jemanden gehört, der so verächtlich | |
über die eigene andere Hälfte spricht. | |
Willst du so weiterleben? Ach, sagt Marina. „Ich hab ihn quasi | |
rausgeworfen. Der hat jetzt eine eigene Wohnung in der Stadt, da kann man | |
auch gut um 4 aufstehen.“ Betrogen habe er sie auch, sie erzählt seine | |
billigen Lügengeschichten, so absurd, dass mir der Mund offen stehen bleibt | |
vor Unglauben. Aber trennen…? Sie ist verbittert. Noch ein Glas Schampus? | |
Wir sind angetrunken. Ich bahne mir den Weg aus den 350 Quadratmetern. | |
Die Kontaktanbahnungsversuche über ein Netzportal enden alle schräg. Eine | |
handvoll Treffen gab es: Mal sind wir uns gleich einig: passt nicht; mal | |
denke ich: Och nö. Heike findet mich wohl toll. „Sollen wir das kleine | |
Feuerchen nicht weiterschüren?“, schreibt sie danach angetan. Welches | |
Feuerchen? Haben zwei wohl aneinander vorbeigefühlt. | |
Freundin Carmen will mich mit ihrer Nachbarin Paula verkuppeln, 49, | |
Sportlehrerin. „Die ist nett, hübsch, frech. Könnte passen mit Euch.“ Beim | |
Wein ist Paula eher zurückhaltend, höflich, aber sie hat diesen Schalk in | |
den Augen, verkuppeln lassen ist ganz schön lustig, finden wir. Sie macht | |
neugierig. Wiedersehen? Sehr gern, sagt sie. Rufe sie ein paar Tage später | |
an. Sie sei gerade im Vollstress und werde sich melden. Kein Anruf mehr. | |
Helga im Cafe muss ich selbst ansprechen. Sie hatte durch mich | |
durchgeguckt, obwohl wir uns ein paar Tage vorher gegenüber saßen. Wir | |
verabreden uns. Schönes Gespräch. Selbstbewusste, klare Frau, 58, witzig, | |
nachdenklich. Ihr Partner, erzählt sie, sei kürzlich abgehauen. „Seit der | |
50 ist, hat er Panik. Will wohl lieber noch ein paar hundert andere vögeln | |
im Leben. Statt die beste Frau der Welt zu lieben.“ Zum Abschied hauche ich | |
ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange. „Also das lass mal sein.“ Der | |
Blick giftig. „Wenn, dann müsste ich das doch wohl machen.“ Wieso? Gut ist, | |
Helga. | |
Ana, 52, Fotografin. Vor 20 Jahren hatten wir mal einen Sommer lang eine | |
Affaire. Pure Pust, ausgelassen, ohne Pause manchmal, zehrend, schenkend. | |
Der beste Sex meines Lebens; ihres auch, sagte sie damals. Verliebt waren | |
wir beide nicht, aber gierig. Unser Kontakt war geblieben, sehr | |
vertrauensvoll. Jetzt besuche ich sie nach Jahren mal wieder. Strahlend | |
liegen wir uns in den Armen. „Nein, du bist grauer geworden“… „nein, du… | |
## Putzen, Sex haben | |
Sie lebt mit Günter zusammen. Vor dem Haus ein aufgemotzter, blankpolierter | |
Jaguar E, seiner. Wie viel Geld da wohl drinsteckt, 100.000?, frage ich. | |
Fast 200.000, sagt Ana. Oh, sage ich. Auf der Treppe im Haus ein Zettel: | |
„Einkaufen, Putzen, Sex haben“, steht darauf. | |
Ich stutze. „Manchmal muss ich ihn erinnern“, lacht sie. Habt Ihr | |
wenigstens guten Sex? Ana zögert einen langen Moment, „ich liebe ihn“. Ihr | |
nachgeseufztes „Ach, Kai“, der tiefe Blick und meine Spontanerektion sind | |
eins. Danach deftiges Abendessen zu dritt. Netter Mann. | |
Auf dem Rückweg zum Bahnhof tags drauf im maskulin röhrenden Oldtimer | |
erzählt Ana: „Wenn ich mich mit dem Wagen einer Ampel nähere, und es stehen | |
Frauen am Fußgängerüberweg, du, wie die sich aufplustern, recken, Brust | |
raus. Immer wieder, wie ein Reflex. Unglaublich. Ich schäme mich für meine | |
Geschlechtskolleginnen. Aber wenn sie dann sehen, eine Frau am Steuer, | |
sacken sie unmittelbar in sich zusammen.“ Wir lachen uns schlapp. Wie | |
herrlich traurig. | |
„Komm mich doch mal besuchen in Essen, Ana.“ Sie lacht verlegen, „ach, | |
Kai“. Nein, schreibt sie tags später, kein Besuch, sie wolle ihr Leben mit | |
Günter nicht aufs Spiel setzen. „Ich liebe ihn.“ Ich verstehe sie. | |
Carla ist die selbstbewussteste 63-Jährige der Welt. In den 80ern haben wir | |
mal in einer WG gewohnt. Wir schließen einen Pakt unter Singles: | |
Verabredung zur Nacht, zum Schmusen, Massieren, Frühstück. Zwei, die kurz | |
das Alleinsein aussetzen wollen. „Aber keine Penetration“ gibt sie vor. Für | |
die Lust brauche sie keinen Mann und weist am Abend auf ihre | |
Nachttischschublade. Als Carla spielerisch an mir herumzufummeln beginnt, | |
kommt mir das wie Vertragsbruch vor. Einschlafen. | |
Will ich zu viel? Bin ich getrieben? Wahrscheinlich haben wir, Männer wie | |
Frauen, die vielleicht noch mehr, im fortgeschrittenen Alter so viele | |
Macken, so viel schon erlebt, Enttäuschungen vor allem, dass wir immer | |
vorsichtiger werden, Wiederholungen vermeiden wollen, uns schützen. So | |
viele Narben auf der Seele. Und fast alle haben ihr fest eingerichtetes | |
Leben: Engagiert im Beruf, ein großer fester Freundeskreis mit umfänglichen | |
Alltagsritualen und Freizeittreiben sowieso, Familienverflechtungen, | |
Projekte vieler Art, der Hund als Mannersatz. Da ist gar kein Platz für das | |
große Projekt neuer Partner. | |
Carmen, Germanistikprofessorin in Hamburg. Kongressbekanntschaft. | |
Mailkontakt. Ein Feuerwerk an Sprache, amüsant, betörend. Ich weiß, die | |
schöne und drahtige Frau, ohnehin liiert, ist mit 45 viel zu jung für mich. | |
Als sie grippekrank darniederliegt, maile ich ihr ein Goethe-Fake-Zitat: | |
„Vor die Wahl gestellt, einer kränkelnden Dame die wärmende Decke zu sein | |
oder ihr einen heilenden Tee zu brühen, würde ich immer die Decke sein | |
wollen. Lehnte sie dies jedoch ab, so machte ich ihr mit Hingabe den Tee.“ | |
Sie ist entzückt. Kann flirten schön sein! Diese surrende Leichtigkeit, | |
ohne Ziel. | |
Wochen später treffen wir uns bei einer Tagung in Hannover, ich extra hin, | |
250 Kilometer für zwei Stunden, sie soll staunen, ich will mal was | |
Verrücktes machen. Mittagspause im Café. Fast so nett wie das Flirten im | |
Netz. Nach der Abreise simse ich: Ach Carmen, wie viel lieber als im | |
stickigen Zug zu sitzen, würde ich mich in der Executive Suite deines | |
Hotelzimmers mit dir durch die Deckenberge wühlen … Jetzt grätscht sie doch | |
dazwischen. „Das wird es niemals geben.“ Weiß ich doch. Es trifft mich | |
trotzdem. Ablehnungen sind wie Peitschenhiebe. Ach, schnöde Wirklichkeit. | |
Kaum bin ich 60 geworden, kontaktet mich in meinem Onlineportal die erste | |
Polin, 48, sie sucht einen Mann bis 75. Sehr flexibel in der Liebe, die | |
Dame. Aber zum baldigen Pflegefall reicht’s bei mir noch lange nicht. Will | |
ich jedenfalls hoffen. | |
Im Januar noch mal ein Onlinedate: Babs aus Bielefeld, 52, | |
Sozialarbeiterin. Wir finden uns beide unmittelbar sympathisch, wie wir uns | |
später versichern. Scheues Lächeln, offensives Lächeln. Immer leichter. | |
Herzliche Umarmung zum Abschied. Bin überaus angetan. | |
Wir simsen uns durch zum zweiten Treffen. „Bin ganz aufgeregt“, schreibe | |
ich. „Ich auch, wie ein Schulmädchen.“ Fantasie klinkt sich ein. Zwei Tage | |
darauf wieder nach Bielefeld, sie hat mich zu sich nach Hause eingeladen. | |
Und ist sehr reserviert. Ja, äh, gestern sei eine Freundin da gewesen, habe | |
mit Blick auf ihr Bett kokett gefragt: „Na, und hier wirste mit deiner | |
neuen Bekanntschaft aus Essen morgen Sex haben …?“ Da habe sie gedacht: | |
Hmmm. Nee, vielleicht doch nicht. Irgendwie … Und das mit Holger sei ja | |
nicht mal ein Jahr her. Täte ihr leid. Ich gehe dann mal lieber irgendwie. | |
5. März. Stichtag. Ein Jahr seit Silke, ein Jahr kein Sex. Ich erinnere | |
mich an Thomas, wie er uns Freunden beim Bier vor Jahren mal offenbarte, er | |
und seine orgasmusgehemmte Hanna, die er über alles liebe, würden maximal | |
dreimal im Jahr zusammen schlafen. Wie wir Thomas bemitleideten damals. | |
Dreimal! Wie neidisch ich jetzt bin. | |
## Die Liebe verlernt? | |
Ich bin einer, der auszieht, aber keine mehr auszieht. Und sich auch nicht. | |
Wie ging eigentlich Liebe machen? Kann man das verlernen oder ist es wie | |
Ski fahren, schwimmen? Mein Extherapeut mailt: „Ich finde es immer wieder | |
erstaunlich, dass gerade die netten und klugen Leute so oft Single sind.“ | |
Dieses ungewollte Alleinbleiben erlebe er oft bei seinen Klienten, die ihn | |
deshalb buchen. Er lebt davon, ich lebe damit. | |
Auch mein Freund Harry, selbst Psychoanalytiker, Mitte 60, nimmt Anteil. | |
„Hast du schon mal überlegt“, fragt er mit sanfter Stimme, „ob du dich | |
vielleicht zurückziehst aus dem selbstquälerischen Kampf? Und andere Dinge | |
genießt.“ Was, soll ich Golf spielen? Trost im Gebet suchen? Nur noch chic | |
essen gehen, der Sex des Alters? Freiwilliger säkularer Zölibat? | |
Lächerlich. „Nein, du weiser Mann. Ich will Hauthauthaut, Nähe, knutschen, | |
diesen Rausch des Verliebens. Die Lust, die Hingabe. Eine neue Partnerin. | |
Das gebe ich doch nicht auf.“ Im Radio dudelt der Schlager mit den 80 | |
Millionen und der Wahrscheinlichkeitsrechnung. | |
Petra, 55, ist Cellistin. Sehe sie auf der Bühne und denke: Oh. Nachher im | |
Theaterkaffee wird auch sie zur Durchguckerin – diagonal durch den ganzen | |
Raum, um mich anzustrahlen. Oh. Wir finden uns ziemlich klasse, quatschen | |
halbe Nächte durch, machen lange Spaziergänge, sehr zugewandt alles. Ich | |
kriege Gänsehautfieber. Ich will mehr. Sie sagt nein, so sei sie nicht. | |
Very old school: nicht probieren und dann mal weitersehen, wie das andere | |
machen. Nein, erst müsse sie mich noch näher kennenlernen, um sicher zu | |
sein. Das geht einige Wochen so. Ich genieße es durchaus. Kenne längst auch | |
ihr Gästebett. Dann: „Ich würde mich so gern auf dich einlassen. Aber ich | |
krieg die Kurve nicht, Kai. Ich glaube gar nicht mehr. Ich könnte | |
losheulen, ehrlich.“ Ihre Augen sind feucht. | |
Je älter man ist, desto souveräner geht man mit der Liebe um? Im Gegenteil: | |
Je mehr Leben wir verlebt haben, desto schwerer wird der Rucksack, egal was | |
drin ist. Ich habe Sätze gehört wie: „Ich weiß gar nicht, ob ich überhaupt | |
noch mal einen Mann will. Man fliegt ja doch nur auf die Fresse.“ | |
April, lerne auf einer Party in Dortmund Marie kennen. Ihre Augen, ihre | |
Stimme, ihre Art, ihr überhaupt. Wow! 44 ist sie. So jung. Kai, spinnst du? | |
Zwei Wochen später kommt sie mich einfach besuchen. Es wird ein himmlisches | |
Wochenende, wie von selbst. Innigkeit, Zärtlichkeit, Hautexpeditionen, | |
kleine Lustexplosionen, vor allem diese ewig langen Blicke miteinander bis | |
ins Seelenirgendwo. Ein Rausch. Next to Glückseligkeit. Selbst die | |
Frühstückseier gelingen a point. Ein Hausmann hat das eben im Gefühl. Ich | |
bin verhext. 80 Millionen. Eine. Die? | |
Ist sie auch hin und weg? Sie schreibt, sie sei nicht verliebt, aber fühle | |
sich so hingezogen zu mir. Mein Freund Franz, 70, schreibt mit all seiner | |
Lebenserfahrung, keine Sorge, solche Frauen verlieben sich vielleicht nicht | |
auf den ersten Blick, sondern auf den letzten. Ich klebe an seinen Worten. | |
Im nahen Kloster habe er eine Kerze angezündet, „für Kai und Marie“. Ich | |
bin tief gerührt. Ob ich ein Foto hätte? Habe ich. Er mailt zurück: | |
„Wunderbar. Sofort heiraten.“ Ich buche ihn vorsorglich als Trauzeugen. Er | |
sagt zu. | |
In Hollywood wäre der Film jetzt mit reichlich Geigenmusik zu Ende. Das | |
richtige Leben neigt dazu weiterzugehen. Beim nächsten Treffen sagt Marie | |
sogleich: Stopp. Vollbremsung. Ich falle aus allen siebten Himmeln. Ohne | |
tiefes Liebesempfinden gehe es nicht, sagt sie, und: „Ich wünschte so sehr, | |
es wäre anders.“ Ich bin wie abgeschossen. Sie tröstet mich, das tut gut. | |
Vor allem, sagt sie, sei durch unsere Intimität auch ihr Ex und die sehr | |
schmerzhafte Trennung (ihre!), obwohl gut ein Jahr vorbei, wieder in ihr | |
Unterbewusstsein gerutscht. Das lähme sie. Zwei Tage lang fühle ich mich | |
wie amputiert. | |
Freund Udo sagt, vielleicht hat sie dich nur als joy toy benutzt, mal so | |
für zwischendurch. Bitte? Marie? Niemals! Du hast ja keine Ahnung. Später | |
denke ich, was wäre gewesen im umgekehrten Fall? Ich als Mann hätte nach | |
solch einem durchvögelten Wochenende und all der Seelenraserei gesagt, | |
nein, war schön, aber es reicht nicht für mehr. Ich wäre doch das | |
Chauvischwein, das nur das eine wollte, Schiss hat vor Bindung und danach | |
sich verpisst. An den Pranger mit ihm! Einer Frau sieht man die komplexe | |
Seelenmelange nach und versucht sich einzufühlen. | |
Ja, sie war hin und – ist weg. Sie hat gegen ihren tristen Alltag | |
geputscht, sich offensiv was getraut – und dabei verhoben. Sie hat | |
leichtherzig ihre Grenzen überschritten und war erschrocken, wie weit es | |
ging. Für ein Abenteuer war es zu viel, für mehr zu wenig. Aus Hingabe | |
wurde Panik. | |
Ich habe erleben dürfen, wie viel Herzenskapriolen auch mit 60 möglich | |
sind. Kriegt lange nicht mehr jeder hin, sagt Freund Paul. Wie viel | |
fiebern. Und sei es nur für ein zauberhaftes Wochenende. Ich schreibe | |
Marie, was für ein wundervolles Gefühl es sei, jemanden so zu begehren und | |
welch Glück es war, sie kennenzulernen. | |
Und jetzt? Wird wohl weitergehen mit dem Kontakten. Was sonst! | |
Lust auf Herzenskapriolen? Ein diskreter, persönlicher Kontakt zu unserem | |
Autor ist möglich über [email protected] | |
15 Aug 2017 | |
## AUTOREN | |
Kai Lippens | |
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