| # taz.de -- Tanztheater „The Pose“ über Selfie-Kult: Das erotische Strahlen | |
| > Die Arbeit am „Ich“ in Casting-Agenturen oder auf Dating-Websites steht | |
| > im Zentrum von „The Pose“. Nun wurde das Stück in Berlin uraufgeführt. | |
| Bild: Als sich alle Solisten auf der Bühne versammeln, geschieht vieles zuglei… | |
| Selfies für Gerechtigkeit, Thulani Lord Mgidi ist darauf ganz schön stolz. | |
| Der Tänzer aus Südafrika hat sich groß ins Bild gesetzt bei Protesten gegen | |
| Studiengebühren in Johannisburg, Demos in China und anderswo. Dass die | |
| Bilder allerdings gefakt sind, ist unschwer zu erkennen. Und sie haben | |
| weder die Leidenschaft noch den Ernst, den zuvor sein Körper im Solo | |
| ausdrückte. | |
| „Me, drunk in the airplane“, betrunken im Flugzeug, mit Hangover am | |
| Flughafen, so zeigt sich Miki Shoji. Weltweit sind die Fotos der Tänzerin | |
| entstanden, sie trinkt bei Langstreckenflügen aus Langeweile, macht Selfies | |
| aus Langweile, behauptet sie. Das passt zu ihrer fahrigen Körpersprache, | |
| mit der sie in der Compagnie von Constanza Macras schon oft für die Frauen | |
| am Rande des Nervenzusammenbruchs zuständig war. | |
| Zehn Solisten erzählen in deren neuen Stück „The Pose“, uraufgeführt in … | |
| Berliner Akademie der Künste, von der Arbeit am eigenen Bild: für | |
| Casting-Agenturen, Dating-Websites und Kunstprojekte. Manchmal ist das | |
| Bildermachen gefährlich: Fernanda Farah zum Beispiel knipst sich beim | |
| Fahren durch die kalifornische Wüste in den Autospiegeln. | |
| Oft geht es um erotische Ausstrahlung, wie bei Nile Koetting, einem dünnen | |
| jungen Mann, der seine Fotos aus der Gay Community zeigt. Vor den | |
| Zuschauern verknotet er seine langen Glieder, kokettiert mit Handschellen, | |
| hüpft wie ein Häschen, zeigt sich infantil und verletzlich. Schließlich | |
| erzählt er, wie er, in Japan aufgewachsen, sich stets wie ein Alien gefühlt | |
| habe, nicht als Japaner anerkannt, kämpfend mit seinem Coming-out. | |
| ## In verschiedenen Räumen | |
| Eines Tages habe ihm seine psychisch angeschlagene Mutter einen gemeinsamen | |
| Selbstmord vorgeschlagen. Und plötzlich nimmt das, was eben noch als | |
| niedliches Werben um Liebe erschien, einen ziemlich dunklen und | |
| existenziellen Ton an. | |
| Über vier Stunden dauert „The Pose“. Die Geschichten werden in | |
| verschiedenen Räumen der Akademie, die das Publikum in kleinen Gruppen | |
| besucht, im zauberhaften Garten und im großen Saal gespielt. Ein flaches | |
| Wasserbecken, in dem viel geplanscht wird, eine Reihe von Betonstelen, über | |
| die Emil Bordas waghalsig balanciert, und das späte Sonnenlicht spielen | |
| eine nicht unerhebliche Rolle für die einladende Atmosphäre im Stück und | |
| der Architektur von Werner Düttmann überhaupt. | |
| Constanza Macras arbeitet seit mehr als 20 Jahren in Berlin und tourt mit | |
| vielen ihrer Stücke weltweit, oft in Kontakt mit dem Goethe-Institut. In | |
| Berlin wird sie über den Hauptstadtkulturfonds gefördert und muss sich für | |
| jedes Stück einen Koproduzenten in der Stadt suchen. | |
| Die Schaubühne, an der sie viele Stücke herausbrachte, bedauert, „zurzeit | |
| aus produktionstechnischen und wirtschaftlichen Gründen“ und mit den | |
| „aktuellen Zuwendungen“ ihr Ensemble nicht als Gäste auftreten lassen zu | |
| können. So kam es in diesem Jahr zu der alarmierenden Situation, dass | |
| Constanza Macras ein großer Auftrittsort fehlte. Mit der Akademie der | |
| Künste hat sie nun glücklicherweise eine Lösung zumindest für „The Pose“ | |
| gefunden, zumal das Konzept, die intimen Geschichten in kleineren Räumen zu | |
| erzählen, hier gut passt. | |
| ## Ein Viel-zu-viel von allem | |
| Dass die Tanzstücke von Constanza Macras oft von der Offenheit der | |
| Choreografin leben, die die unterschiedlichsten Performer unter ihre | |
| Fittiche nimmt und mit deren Eigenheiten arbeitet, zeichnet auch „The Pose“ | |
| aus. Was der Abend dagegen an Theorie zu Fotografie, Selfies, Authentizität | |
| und Pose anbietet, ist eher von bescheidenem Erkenntniswert. | |
| Vor der Pause kommen alle Solisten, die in kurzen Sequenzen von einem | |
| 25-köpfigen Bewegungschor unterstützt werden, auf der großen Bühne | |
| zusammen. Sie stürzen sich in Miniaturen, Angstbilder, Opferbilder, | |
| Siegerposen, verstecken sich in Zelten, Lampenschirmen, jeder springt mit | |
| jedem ins Bett, keiner so schön wie Emil Bordas im lang gestreckten Sprung. | |
| Sie hasten, rennen von Pose zu Pose. | |
| Alles ist Hektik, nirgendwo Zeit für Entwicklung, Kostüme und Requisiten | |
| werden getauscht, vorwärts und rückwärts gespielt. Einem randvollen | |
| Skizzenblatt, in dem ein Künstler noch auf jeden Quadratzentimeter eine | |
| Figur gequetscht hat, gleicht das oder einem raschen Klicken durch | |
| YouTube-Filme von Unglücken, Pleiten, Witzen, Glamourposen. Ein | |
| Viel-zu-viel, eine voll geschriebene Welt, ein Untergehen in schon | |
| vorhandenen Bildern, so stellt sich das Leben hier dar. | |
| Was soll jetzt noch kommen, denkt man sich, nach der Pause? Es kommt die | |
| Vergangenheit, der persönliche Gebrauch von den Bildern der Eltern, | |
| Großeltern, ausgewanderten Ahnen. Und mit ihm Erzählungen über die | |
| Schwierigkeit, den Abschied vom sterbenden Vater auszuhalten und wie sich | |
| über die Bilder ein Dialog mit den Gestorbenen fortsetzt. Was zuvor | |
| manchmal wie eine auch oberflächliche Kritik einer oberflächlichen Bildwelt | |
| anmutete, kann aus einer neuen Perspektive gesehen werden, Linien verbinden | |
| die Bilder nicht nur über Kontinente, sondern auch über Jahrhunderte. | |
| So wird aus den vielen kleinen alltäglichen Dramen am Ende ein großes | |
| Panorama der Geschichten vom Werden der so unterschiedlichen Personen. Eine | |
| Feier der Diversität, könnte man auch sagen. Aber das ist ja jedes Stück | |
| von Constanza Macras. | |
| 11 Jul 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Katrin Bettina Müller | |
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