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# taz.de -- Neues Tanzstück von Constanza Macras: Als die Zombies noch Stil ha…
> Die Choreographin Constanza Macras zeigt „Die Wahrheit über Monte Verità�…
> in Leipzig. Eine Bestandsaufnahme in den Trümmern einer Künstlerkolonie.
Bild: Willkommen in den Wäldern des Expressionismus: Constanza Macras Tanz-Fil…
Der Monte Verità in der Nähe von Ascona im Tessin war im ersten Drittel des
20. Jahrhunderts einer der Pilgerorte von Künstlern und Intellektuellen,
ein El Dorado für Anhänger von Reformbewegungen, die dem Vegetarismus oder
der Freikörperkultur anhingen. Die Anarchisten Erich Mühsam und Pjotr
Kropotkin machten hier ebenso Station wie der Vater des modernen Tanzes,
Rudolf von Laban (zusammen mit Mary Wigman), Hermann Hesse und viele
andere.
Das neue Tanz-Film-Stück „Die Wahrheit über Monte Verità“ von Constanza
Macras, das im Residenzprogrammm des Schauspiels Leipzig im Rahmen der
Euro-Scene uraufgeführt wurde, knüpft an diesen Mythos an und organisiert
eine ästhetische Bestandsaufnahme in den geistigen Trümmern der
Künstlerkolonie.
Dabei nutzt Macras mit ihrer Compagnie Dorkypark weniger den titelgebenden
Ort als Konkretum, sondern spürt den Zeitkontexten und den überdauernden
Resten im kulturellen Gedächtnis nach. Zugleich stellt sie die aktuelle
Arbeit in den Rahmen ihrer Reihe „The Nature of Crisis“, in der sie zuletzt
zur Märchenstunde in den Berliner Müggelwald eingeladen hatte.
Im Wald geht es auch in Leipzig zunächst weiter – wenn auch nur filmisch.
In Zeitlupe springen zwei Tänzer in schwarz-weißen Bildern über die vor der
Bühne gespannte Projektionsfläche – live untermalt mit Percussion von Almut
Lustig, die im Zimmermädchenkostüm all die Becken und Trommeln mit dem
Filmtreiben synchronisiert, und Jelena Kuljic. Immer wieder tauchen stumme
Gesichter auf, die folgenden Textbotschaften im klassischen Stummfilmstil
können die Zuschauer per SMS mitbestimmen. Sie reichen vom geistreichen
Bonmots bis zum comichaften „AAAARGH“.
## Melancholie und Machtkämpfe
Ansonsten geht es experimentell weiter, das 1913 eröffnete
Völkerschlachtdenkmal, eine erste Erbe-Fährte, kommt als Kulisse ins Spiel,
und der Wald wird zugunsten von angetanzten Zitaten der Filmästhetik der
1920er Jahre verlassen. Nach dreißig Minuten Film endlich ein abrupter
Bruch, ein Zimmermädchen zerreißt die Papierwand, ab jetzt heißt es Bühne
frei!
Die Bühne (Laura Gamberg, Chika Takabayashi) scheint dabei direkt Plänen
der Expressionisten entsprungen, nicht nur die Kolonie, auch die Zeit ist
offenbar ein Sehnsuchtsort. Stehende weiße Vierecke, eins fungiert als
Leinwand und Schattenspielort, markieren den Bühnenhintergrund. Eine Tür
steht herum, eine Kiste, ein Schrank, vorne links eine Sitzecke.
Aus Kisten und Schrank kriechen nun langsam suchend und tastend die
Tänzerinnen und Tänzer: die Kolonie auf dem Monte Verità, ja die 1920er
Jahre feiern ihre Auferstehung und kriechen aus den Falten des Mantels der
Geschichte. Doch schon die Anwesenheit der Dienstmädchen zeigt, etwas ist
faul im Paradies.
Wo anfangs noch alle frei genug sind, um zu feiern, und zu Charleston und
Swing eine flotte Sohle aufs Parkett legen, drängen sich schon bald
Melancholie und Machtkämpfe ins Bild, die mittels ausgedehnter
Kontaktimprovisationen oder grotesker Pas de deux ausgelebt werden. Die
einzelnen Bilder gehen ineinander über, doppeln sich per Livevideo bei
gleichzeitiger Perspektivenverschiebung auf einer Leinwand.
## Der Sehnsuchtsort wird umkreist
Alles ist motiviert von den Stummfilmästhetiken eines Fritz Lang oder Bela
Lugosi. Der gesamte Bewegungsapparat mit seinen Sprüngen und Würfen hat
hier seinen Anker und wird dann mit zeitgenössischen Strategien
angereichert. So wandelt eine klassische Zombiefigur durch den Abend
(wunderbar schlaksig: Nile Kötting), die in jenen Jahren ihre
Leinwandpremiere feierte, und sorgt für Witz und Schrecken – damals hatten
selbst Zombies noch Stil. Zugleich aber präsentieren andere Tänzer HipHop
und Breakdance-Elemente.
Ein weiterer Mittelpunkt ist Fernanda Farah, die nicht nur ihr tänzerisches
Potenzial an den Tag legt, sondern vor allem als Sängerin begeistert, wenn
sie etwa mit einem „I’ve seen it all“ den Finger in die Wunde solcher
Wiedergängerfantasien legt.
Constanza Macras hat so mit ihrer Compagnie Dorkypark ein sehr dichtes
Tanzstück geschaffen, das mehr komisch denn tragisch daherkommt. Eine These
steht nicht dahinter, es bleibt Bestandsaufnahme, Panoptikum und im Falle
des Films Experiment. Der angepeilte Sehnsuchtsort wird umkreist und durch
den Feldstecher beschaut, aber es wird nicht auf ihm gelandet. Ein schöner,
aber auch harmloser Abend.
11 Nov 2013
## AUTOREN
Torben Ibs
## TAGS
Tanztheater
Anarchismus
Tanz
Maxim Gorki Theater
Tanztheater
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