# taz.de -- Constanza Macras in der Schaubühne: Am Ende laufen die Möbel davon | |
> Mit "Berlin Elsewhere" bringt Constanza Macras in der Schaubühne Berlin | |
> ein Stück über Süchte und Verlassenheit heraus. | |
Bild: Was eben noch Ekstase schien, gleicht zunehmend anstrengender Gymnastik. | |
"Aus tiefer Not schrei ich zu dir", mein Gott, das ist doch ein | |
Kirchenlied, das Kristina Lösche-Löwensen über die Beats hinwegsingt, die | |
eine Orgie begleiten. Sieben Frauen und drei Männer, das gesamte Ensemble | |
des neuen Tanzstücks "Berlin Elsewhere" von Constanza Macras, gibt sich auf | |
einer aus Gummi aufgeblasenen Wohnlandschaft den Rhythmen der Lust hin, in | |
Zweier- und Dreiergruppen, ständig umarrangiert, beschleunigend und wieder | |
verzögernd. Je länger das dauert, je heftiger Becken pumpen und | |
Wirbelsäulen sich rückwärts neigen, desto tiefer scheint die Not, von der | |
die hilflose Stimme singt. Erste nörgelnde Kommentare werden laut, "jetzt | |
denk dir doch mal irgendwas aus". Was eben noch Ekstase schien, gleicht | |
zunehmend anstrengender Gymnastik. "Ich langweilige mich" klagt eines der | |
Lustobjekte, "sollen wir eine Arbeitsgruppe bilden?", fragt eine Kollegin | |
zurück. | |
## Geliebter Leuchter | |
Aber noch gibt das Ensemble nicht auf, die Jagd nach der großen | |
Befriedigung geht weiter. Zwei Szenen später sehen wir eine Frau voller | |
Stolz zwischen den Designerstücken ihrer Wohnung, die von abenteuerlich | |
kostümierten Tänzern verkörpert werden. Sie liebt ihren venezianischen | |
Leuchter, die Corbusier-Liege, selbst das Klo, und reibt ihren Körper, | |
während ihre Stimme vor Entzücken kippt, gierig an all diesen Dingen. | |
Wieder ist kein Verlass auf die Objekte der Lust, am Ende laufen ihr die | |
Möbel davon, heimlich und einzeln erst, dann alle. | |
"Berlin Elsewhere" lebt vom Überkandidelten und vom Slapstick, vom | |
schnellen Tempo und harten Einsatz der Körper, und von den Geschichten und | |
Persönlichkeiten der Tänzer. Die brasilianische Performerin Fernanda Farah, | |
die Liebhaberin der Möbel, switcht in einer anderen Szene zwischen zwei bis | |
drei Rollen ständig hin und her, wie ein Dämon bricht eine tiefe Stimme und | |
ein Verkrampfen des Körpers immer wieder in das Gezwitscher einer von sich | |
selbst entzückten Lady ein. Als ob eine Komödie und ein Horrorfilm gerade | |
durch den gleichen Körper laufen wollten. Hilde Ebers aus den Niederlanden | |
verknotet die Beine, lässt die Glieder schnappen und schnalzen, wie es | |
eigentlich nur mechanischen Puppen zusteht, und hält dabei einen Vortrag | |
über die empfindlichen Punkte im Verhältnis zwischen Deutschland und den | |
Niederlanden. Das sind artistische Kabarettnummern, skurril und witzig im | |
Augenblick, deren Bezug zu den anderen Elementen des Stücks im Moment des | |
Sehens noch sehr nebulös erscheint. Punktstrahler ins Chaos gerichtet. | |
Aber dieser tänzerische Marathon, dieses Feuerwerk an Witz und | |
Verzweiflung, entfaltet im Nachhinein weiter seine Wirkung. Was erst | |
beliebig scheint, setzt sich doch noch zu einer Zustandsbeschreibung der | |
Gegenwart zusammen. Das liegt weniger an den eingestreuten Textfragmenten, | |
die davon handeln, wie sich Ausschluss und Wahnsinn gegenseitig bedingen - | |
die schweben bemüht über dem Ganzen. Es liegt vielmehr an der gemeinsamen | |
Grundierung all der vielen Szenen von Fetischismus, Einsamkeit und den | |
obsessiven Versuchen, die absolute Kontrolle über alle Funktionen des | |
Körpers zu erlangen: Im Leben den Kurs verloren zu haben, der Zufriedenheit | |
oder zumindest innere Gelassenheit ermöglichen würde, eint alle Figuren und | |
macht ihre Zurschaustellung so aggressiv. | |
Auf den Kontext der Migration spielt das Stück dabei ebenso an wie auf die | |
Flexibilitätsforderungen der modernen Arbeitsgesellschaft. Hyoung-Min Kim | |
etwa erzählt von einem Traum, in dem alle Grenzbeamten ihren Namen richtig | |
aussprechen können und man auf allen Straßen Koreanisch versteht. Den | |
Demütigungen von Einbürgerungstests, Sicherheitskontrollen und Wartezeiten, | |
die von der Hautfarbe abhängen, gelten andere Szenen. | |
## Bilder der Verzweiflung | |
All das hat auch schon in früheren Stücken der argentinischen Choreografin | |
Constanza Macras, die seit Ende der neunziger Jahre in Berlin aktiv ist und | |
mit "Berlin Elsewhere" ihre dritte Produktion mit der Schaubühne macht, | |
eine Rolle gespielt. Manche waren überraschender und punktgenauer im Bezug | |
auf den Diskurs der Gegenwart, andere verloren sich noch mehr in Splittern. | |
Bei "Berlin Elsewhere" fühlt man sich wieder gut unterhalten mit den | |
Bildern der Verzweiflung, nicht zuletzt dank der gut durchkomponierten | |
Dramaturgie zwischen Einzelaktionen und Ensembleszenen. | |
## "Berlin Elsewhere", Schaubühne Berlin, wieder am 15. 4., 21 Uhr; 16. 4., | |
18 Uhr; 17. 4., 18 Uhr; 18. 5., 20 Uhr; 19. 5., 20 Uhr | |
15 Apr 2011 | |
## AUTOREN | |
Katrin Bettina Müller | |
## TAGS | |
Tanztheater | |
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