# taz.de -- Constanza Macras „Open for Everything“: Die Korrekturen | |
> In „Open for Everything“ arbeitet Constanza Macras gegen | |
> Ethno-Zuschreibungen an. Dabei will das Stück gleichzeitig Klischees | |
> begegnen und vermeiden. | |
Bild: Im Tanz die Kleider wechseln, sich durch Berge von Klamotten wühlen, in … | |
Körpersprache und Identität, das kann ein verflixtes Ding sein. Ein Junge, | |
mit leuchtend gefärbten Haaren und mehr Kilos bepackt, als man Tänzern | |
gewöhnlich zutraut, erzählt in Constanza Macras neuem Stück „Open for | |
Everything“ eine Geschichte, seine eigene womöglich. Schon als Kind wollte | |
er tanzen, und wäre er bei Folklore geblieben, es hätte keinen Ärger mit | |
seinem Vater gegeben. Aber gegen Rock ’n’ Roll, Ballett oder HipHop hatte | |
der Vater, ein Rom, sehr wohl was und strafte den Sohn mit Verachtung. | |
HipHop-Lehrer sei er dennoch geworden, erzählt der Tänzer weiter, schon um | |
anderen Jungs zu ersparen, so alleingelassen und ausgelacht zu werden wie | |
er. Dann legt er eine hinreißende Nummer hin, erst als Solo, schließlich | |
vom ganzen Ensemble begleitet – aber was er tanzt, mit kokett zuckenden | |
Schultern, ist weder Folklore noch Ballett noch HipHop, sondern eher eine | |
sexy Melange aus Gogo-Stil und Bollywood, keinem Milieu und keiner Kultur | |
mehr zuzuordnen. | |
Ob sie nicht ein Stück machen wolle zur Situation der Roma und Sinti in | |
Tschechien, Ungarn und der Slowakei, diesen Vorschlag erhielt die Berliner | |
Choreografin Constanza Macras vom Goethe-Institut in Prag vor drei Jahren. | |
In „Scratch Neukölln“ und „Hell on Earth“, zwei Produktionen, die sie … | |
Kindern und Jugendlichen aus Berlin Neukölln und ihrer Gruppe Dorky Park | |
entwickelt hatte, hatte Macras ihre Fähigkeit gezeigt, gefundene | |
Geschichten, Milieuskizzen und biografische Splittern in einer leichten und | |
spielerischen Struktur zusammenzubringen. | |
Das gelingt ihr auch in „Open for Everything“ am Ende wieder, aber bis | |
dahin sind auch einige Klippen zu umschiffen. Die haben alle mit dem | |
Anspruch zu tun, sowohl den Klischees über das Leben der Rom kritisch | |
begegnen zu wollen, als auch ihre Zeichnung als Opfer jener Klischees | |
vermeiden zu wollen. Dass dies nicht immer einfach war, lässt das Stück | |
noch in vielen Augenblicken spüren. | |
## Aus dem Kofferraum | |
Auf den Festwochen in Wien hatte das Stück Premiere, es lief im Berliner | |
HAU, demnächst auf Kampnagel Hamburg (31. Mai bis 2. Juni), bevor es nach | |
Prag, Budapest, Zürich weiterzieht. Und mit einem Bild des Nomadentums | |
beginnt auch das Stück. Ein alter Lada wird über die Bühne geschoben, noch | |
stumm, bis sich aus seinem Inneren und auch noch aus dem Kofferraum | |
unglaublich viele Leute auf die Bühne zwängen und ein lautes Leben | |
beginnen. Darüber legt sich, vom kleinen Orchester auf der Bühne gespielt, | |
das erste Lied, gesungen auf dem Dach einer Garage, „woher kommt ihr mit | |
euren Zelten und hungrigen Kindern“. Das Lied, in Übertitelung deutsch | |
übersetzt, erzählt die Geschichte einer Vertreibung, einer Auslöschung | |
eines Volkes, die zum Refrain geworden ist, zur wiederholten Erfahrung, zur | |
Grundierung des Lebens. | |
Dass die meisten Roma keine Nomaden, sondern sesshaft seit vielen | |
Generationen sind, diese Korrektur eines Klischees habe sie selbst in den | |
Recherchen zum Stück erfahren, erzählte Macras in einem Gespräch. Ihre | |
Inszenierung knüpft dennoch an das Klischee an und verbindet es dann mit | |
dem unfreiwilligen Aufbruch. Solches Ummünzen von Bildern geschieht immer | |
wieder. Oft übernehmen die Performer von Dorky Park, dem Ensemble von | |
Constanza Macras, die Rolle der mit rassistischen und romantischen | |
Zigeunerklischees Beladenen, die eine Frage nach der anderen auf die | |
Subjekte ihrer Recherche abschießen, ohne Antworten wahrzunehmen. | |
Gegen diese pauschalisierende Rede setzt das Stück vereinzelte, fast immer | |
bittere Erzählungen von jungen Frauen, die ihre Kinder allein durchbringen | |
müssen und um Ausbildung kämpfen, von jungen Männern, die von Drogen und | |
Gefängnis nicht wegkommen, von Raimund, der Fatima wurde. | |
Manches davon bleibt in erschreckend dürren Worten stecken, anderes, wie | |
Fatimas Geschichte, wandelt sich vor den Augen des Zuschauers in eine | |
Performance der Selbstfindung. Oder wird, wie die Geschichte eines unter | |
Zurücksetzung leidenden Schülers, zu einem gewitzten Song: „Nur weil du | |
besser bist als ich, heißt das nicht, dass ich faul bin“, singt er zur | |
Gitarre, ein bisschen lispelnd. | |
All diese Episoden und Miniporträts werden von Tanzszenen gerahmt, die | |
stets nach und nach das ganze Ensemble aus Profis und Laien ergreifen. | |
Wollte man die Tänze nach ethnischer Zuordnung sortieren, nach Flamenco und | |
spanischem Tanz, nach Bollywood und Schuhplattler, man käme nicht weit. | |
Denn obwohl oft etwas davon aufscheint, bilden die großen Klammern doch | |
andere Bewegungsaufgaben. Etwa mit dem Partner zu improvisieren und sich | |
von ihm, an den Schultern oder den Knien gepackt, im Kreis schleudern zu | |
lassen, bis alles zu einem wogenden, kreiselnden Meer geworden ist. Oder im | |
Tanz die Kleider zu wechseln, sich durch Berge von Klamotten zu wühlen, in | |
keiner Form stecken und stehen zu bleiben. Oder sich gegen Matratzen zu | |
werfen, anzurennen gegen diese Wände, die eben noch Geborgenheit | |
versprachen und jetzt jede Bewegung abprallen lassen und als vergeblich | |
markieren. Das sind die Bilder, die sich schließlich festsetzen. | |
24 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Katrin Bettina Müller | |
## TAGS | |
Tanztheater | |
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