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# taz.de -- Einsame Männer im Alter: Wunschopa und Datingsenior
> Viele Männer vereinsamen im Alter. Einrichtungen und Kennenlernportale
> sollen helfen. Zu Besuch bei zwei älteren Herren.
Bild: Damit ältere Männer nicht vereinsamen, suchen sich manche via Partnerpl…
Leipzig taz | „Die Älteren wieder stärker in eine Gemeinschaft einbinden“,
das ist das erklärte Ziel des Erzählcafés, das an diesem Montagnachmittag
in der Leipziger Stadtbibliothek stattfindet. Auf den Tischen liegen weiße
Deckchen, es gibt Kaffee und Kuchen. Der Saal ist gut besucht, weißhaarige
Damen und Herren gruppieren sich um die Gedecke. Der Moderator braucht ein
Mikrofon, damit ihn alle verstehen, und das Gespräch kommt langsam in Gang.
„Feste und Vergnügen in den 1960er Jahren“ ist das heutige Thema.
Das Erzählen von früher ist hier gewollt. Bei den Damen kommt das gut an –
beherzt greifen sie zum Mikro und beginnen schnell, in alten Erinnerungen
zu schwelgen. Die Männer allerdings sitzen meist schweigend daneben und
nippen an ihrem Kaffee. Es scheint, als seien viele gemeinsam mit ihren
Ehefrauen hier und überlassen denen nun gerne das Reden.
Wolfgang Stein ist an diesem Nachmittag nicht in die Stadtbibliothek
gekommen. Der 78-Jährige sitzt in einem beigen Fernsehsessel in seinem
sauberen und geräumigen Wohnzimmer und erzählt von dem Tod seiner Frau.
„Darüber bin ich noch nicht hinweg“, stellt er ehrlich fest. Seit sie vor
zwei Jahren starb, lebt Stein alleine in dem kleinen Einfamilienhaus am
Leipziger Stadtrand.
Jeden Donnerstag kommt eine „Putzfee“, wie er sagt, hin und wieder seine
Tochter aus Potsdam zu Besuch. Ansonsten bestimmen Einkäufe, die
Physiotherapie und der Fernseher seinen Tagesrhythmus. „Da kommen schon
Momente auf, in denen ich mich einsam fühle“, sagt er vorsichtig.
Einsamkeit ist für viele Menschen im Alter ein Problem, weiß Oliver Huxhold
vom Deutschen Zentrum für Altersfragen (DZA). „Das Bedürfnis nach Nähe und
sozialen Kontakten kann aber bei den einzelnen Menschen sehr
unterschiedlich sein“, sagt er. Und so kommt es, dass sich Stein sein Leben
lang nicht einsam gefühlt hat, obwohl er nie einen richtigen Freund hatte:
„Meine Frau und ich waren über 40 Jahre verheiratet. Wir genügten uns.“
Zusammen waren sie viel auf Reisen: „Meine Frau war genauso begeistert wie
ich. Wir sind nach China, nach Mexiko und nach Ägypten gefahren.“ Während
er ins Erzählen kommt, wird der Früchtetee in seiner Tasse kalt.
In vielen Ehen übernehmen Frauen das Sozialleben
Ansonsten hatte das Ehepaar nur wenige Bekanntschaften, und um die hatte
sich früher seine Frau gekümmert. „Das fällt mir jetzt auf die Füße“, …
er selbst. In seiner Generation übernehmen in vielen Ehen die Frauen das
Sozialleben – und erledigen das für die Männer gleich mit. Sie rufen die
Verwandtschaft zu Familienfeiern zusammen und nehmen ihre Ehemänner zur
örtlichen Vereinssitzung mit. Männer, die im Alter allein sind – etwa durch
eine Scheidung oder den Tod der Partnerin –, haben dann oft Probleme, ihre
Kontakte aufrechtzuerhalten.
Auch der Krankenpfleger Tim Klückmann hat bei seinen Hausbesuchen die
Erfahrung gemacht, dass Männer sich oft schwerer tun, Freundschaften und
den Kontakt zur Familie zu pflegen. „Sie sitzen vorm Fernseher und bekommen
Angst vor dem, was in der Welt passiert“, beobachtet er. Viele verlassen
ihre Wohnung nicht mehr und nehmen die Außenwelt als feindlich wahr. Ganz
so schlimm ist es bei Stein nicht. Hin und wieder geht er zu einem Konzert
ins Gewandhaus – nunmehr allein.
Auch Dieter Maus liebt die Musik. Der stattliche Mann in grünem
Rollkragenpullover und Funktionshose, der in der Bäckerei seinen Kaffee
schwarz trinkt, hat einiges mit Wolfgang Stein gemeinsam: Auch er ist 78
Jahre alt, auch er ist alleinstehend und auch sein einziger Sohn wohnt in
einer anderen Stadt. Und doch lebt Maus einen gänzlich anderen Alltag: Er
singt im Chor, engagiert sich ehrenamtlich im Verein „Kultur Leben“ und
betreut zusätzlich einen autistischen Jungen. Wegen all dieser Termine ist
er mittlerweile auf seinen Kalender angewiesen, denn: „Das
Kurzzeitgedächtnis lässt schon nach“, scherzt er.
Maus ist in seinem Leben viel umgezogen. Das Singen und ortsansässige
Vereine haben ihm immer wieder geholfen, sich im neuen Umfeld
zurechtzufinden und Kontakte zu knüpfen. Auch dem Alter begegnet Maus mit
sozialem Engagement. Ihm war klar: „Einfach nur daheim sitzen und die
Wohnung pflegen, das war nicht mein Ziel. Ich brauche mehr.“
„Wunschomas und -opas“ gesucht
Besonders die Zeit mit dem autistischen Jungen fordert den 78-Jährigen. Ihn
betreut er mindestens einmal die Woche und ermöglicht den Eltern so eine
kleine Auszeit. „Autisten kennenzulernen ist eine Schwierigkeit. Aber der
Kleine ist intelligent und weiß, was er will“, sagt Maus. „Inzwischen weiß
er aber auch, was ich will“, fügt er scherzhaft hinzu. Der Leipziger Verein
Sefa (Senioren- und Familienhilfe) hat die beiden vor drei Jahren
vermittelt: Hier können Senior*innen junge Familien unterstützen und als
sogenannte „Wunschomas oder -opas“ helfen.
Ähnlich wie das Sefa-Projekt gibt es in Leipzig zahlreiche Angebote, die
Senior*innen aus dem einsamen Alltag holen wollen – vom Erzählcafé in der
Stadtbücherei über klassische Begegnungsstätten bis hin zu Reparaturcafés,
in denen ältere Menschen ihr handwerkliches Können einbringen. Laut einem
Befund des DZA aus dem Jahr 2017 kennen zwar 72 Prozent der Senior*innen
solche Angebote, doch nur neun Prozent nutzen sie auch. Nicht allen fällt
es so leicht wie Maus, sich auch im Alter in die Welt hinauszuwagen, um
sozial angebunden zu bleiben.
Wolfgang Stein wurde irgendwann klar, dass er etwas ändern muss. „Ich
wollte mich einbringen – aber was tun?“ Auch er unternahm einen Versuch als
Wunschopa und war außerdem Lesepate in einem Kindergarten. Das allerdings
hat er schnell wieder hingeworfen. Soziales Engagement scheint für ihn
nicht die richtige Strategie gegen Einsamkeit zu sein. Am liebsten hätte er
einfach eine neue Partnerin. „Heiraten möchte ich nicht noch mal, aber ich
wünsche mir eine Freundschaft, in der man mal zusammen ins Kino oder
Theater geht. Und vielleicht“, er lächelt spitzbübisch, „ergibt sich ja
sogar etwas mehr.“
Im Internet ist Stein ohnehin unterwegs und so hat er sich kurzerhand bei
den Datingplattformen Parship und Elitepartner angemeldet. Am Wochenende
geht er auf sein erstes Date. Und eine romantische Partnerschaft, so der
Altersforscher Oliver Huxhold, ist auch statistisch gesehen ohnehin die
beste Strategie gegen die Einsamkeit im Alter.
15 Apr 2018
## AUTOREN
Jana Lapper
Anna Flora Schade
## TAGS
Einsamkeit
Senioren
Altern
Online-Dating
Menschen
Einsamkeit
Schwerpunkt taz Leipzig
Senioren
Liebe
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