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# taz.de -- „Juneteenth“ gedenkt Ende der Sklaverei: Ein Echo auf Black Liv…
> Der US-Kongress hat den 19. Juni zum offiziellen Feiertag erklärt – im
> Gedenken an das Ende der Sklaverei 1865. Es ist nur eine Etappe in der
> Debatte um Reparationen.
Bild: „Juneteenth“-Demo in Washington D.C. am 19. Juni 2020
New York taz | Mit 156 Jahren Verspätung hat der Senat der USA in dieser
Woche entschieden, [1][„Juneteenth“ zu einem Feiertag] zu machen. Die
gewöhnlich spinnefeinden SenatorInnen in Washington entschieden einstimmig.
Am Mittwoch folgte das Repräsentantenhaus mit 415 gegen 14 Stimmen. Jetzt
muss nur noch der US-Präsident unterschreiben, um es offiziell zu machen.
Nachdem weite Teile des weißen Amerikas den 19. Juni 1865 jahrzehntelang
ebenso hartnäckig ignoriert haben wie andere Erinnerungen an die eigene
rassistische Geschichte, wird der Tag, an dem die Abschaffung der Sklaverei
auch in Texas ankam, bundesweit gefeiert werden. Für die geschätzt rund
250.000 SklavInnen in Texas kam die Proklamation ihrer Emanzipation schon
1865 mit Verspätung. Als Unionsgeneral Gordon Granger am 19. Juni in
Galveston landete, war die von Präsident Abraham Lincoln verfügte
Abschaffung der Sklaverei bereits zweieinhalb Jahre alt.
Der weiße General Granger war von mehreren hundert Schwarzen Soldaten
flankiert, als er „Befehl Nummer 3“ in Galveston vor der Kaserne vorlas:
„Das Volk von Texas wird informiert, dass alle Sklaven frei sind.“ Er
erklärte weiter, dass fortan eine „absolute Gleichheit in persönlichen
Rechten und Eigentumsrechten zwischen früheren Mastern und Sklaven“
existiere.
Texas war nur die größte von zahlreichen Gegenden in den USA, wo
Plantagenbesitzer die Sklavenbefreiung verzögert hatten. Auch andernorts
nutzten sie das Chaos in dem bürgerkriegszerstörten Land, um „ihre“
SklavInnen in Unwissenheit zu halten und länger auszubeuten.
In Delaware, stellenweise auch in Oklahoma, kam die Emanzipation noch
später an als in Texas. Gegenüber dem Rest der Welt hatten die USA
insgesamt einen Rückstand von Jahrzehnten. Saint-Domingue (heute: Haiti),
wo SklavInnen schon 1791 ihre AusbeuterInnen vertrieben, bildete die
Avantgarde.
## „Juneteeth“ wird schon lange gefeiert
Großbritannien verbot 1808 den transatlantischen Sklavenhandel. Bis zum
Wiener Kongress 1815 schlossen sich auch die anderen europäischen Länder
an. In den USA blieb alles beim Alten. Noch am Nationalfeiertag 1852 fragte
der ehemalige Sklave und abolitionistische Vorstreiter Frederick Douglass:
„Was ist der 4. Juli für die amerikanischen Sklaven?“
Im Texas von 1865 machten sich die befreiten AfroamerikanerInnen umgehend
den „Juneteenth“ zu eigen. Ab 1866 feierten „Freedmen“ (Anm. d. Red.:
„Freigelassene“) den Jahrestag ihrer Befreiung. Mit den
Wanderungsbewegungen in die Industriezentren des Nordens trugen sie ihren
Gedenktag in alle Teile des Landes. Sie nannten ihn „Emancipation Day“,
„Jubilee Day“, „Liberation Day“ und manchmal auch „Schwarzen
Nationalfeiertag“.
Knapp drei Wochen vor dem offiziellen Nationalfeiertag am 4. Juli, bei
dem die USA ihre weißen „Gründerväter“ feiern, bietet sich der „Junete…
als ein Tag an, um auch die Teilnahme der AfroamerikanerInnen an „Leben,
Freiheit und Glück“ zu verlangen.
Es geschieht bei Konzerten (oft mit der heimlichen Schwarzen Nationalhymne
„Lift every voice and sing“), Barbecues und politischen Reden an den
wenigen Denkmälern für Schwarze HeldInnen des Landes. Aber „Juneteenth“
blieb eine Veranstaltung im Schatten. Die meisten Weißen ahnten nicht
einmal, dass sie existierte. Erst in den 1980er Jahren begannen einzelne
Bundesstaaten und Städte, „Juneteenth“ zu einem lokalen Feiertag zu
machen. Die Schwarze US-Abgeordnete aus Houston, Texas, Sheila Jackson Lee,
versuchte jahrzehntelang vergeblich, ihn zu einem nationalen Feiertag
aufzuwerten.
Noch 2020 begründete der republikanische Senator Ron Johnson sein Nein mit
dem Argument, ein neuer Nationalfeiertag koste „600 Millionen Dollar“.
Nachdem der Widerstand gegen „Juneteenth“ plötzlich verschwunden ist, will
Jackson Lee ein „Zerbröckeln der Rassenschranken“ sehen. Die Entscheidung
habe, pries sie am Mittwoch in Washington, Menschen zusammengebracht, „die
den Wert der Freiheit verstehen: Schmerz, Trennung und die rassistische
Hand von Knechtschaft“.
## Black Lives Matter läutet Wende ein
Die Wende ist ein Echo auf die Proteste des Jahres 2020. Nach dem
[2][Polizistenmord an George Floyd] in Minneapolis war die Reaktion anders
als in der Bürgerrechtsbewegung der 60er Jahre. Die neue Bewegung war
ethnisch, kulturell und generationell gemischter, breiter, tiefer und
machtvoller. Sie nährte sich wie damals aus der Empörung über den
anhaltenden Rassismus in Polizei und anderen Institutionen.
Nun spielten auch die neuen kollektiven Erfahrungen mit: dass der erste
Schwarze Präsident der USA nicht die erhoffte Wende zum Postrassismus
gebracht hat. Und dass sein weißer Nachfolger im Weißen Haus rassistische
Ressentiments schürte, um an der Macht zu bleiben.
Die Protestbewegung von 2020 hat dafür gesorgt, dass zumindest ein Teil der
Denkmäler für Sklavenhalter und ihre militärischen Verteidiger aus dem
öffentlich Raum verschwand. Sie hat den Weg dafür bereitet, dass die
Mehrheitsbevölkerung [3][von Massakern wie dem in Tulsa] mit mehr als 300
Schwarzen Opfern erfuhr und dass 100 Jahre danach erstmals ein Präsident in
die Stadt gefahren ist, um der Opfer zu gedenken. Und sie hat den Aufstieg
einer neuen Generation von AfroamerikanerInnen in die politischen,
kulturellen und ökonomischen Institutionen des Landes ermöglicht.
Dass nach einem solchen Umbruchjahr „Juneteenth“ zum ersten nationalen
Feiertag wird, der sich mit der brutalen Hinterlassenschaft der Sklaverei
befasst, war naheliegend. Es ist eine späte und lange überfällige
Anerkennung eines Verbrechens, das sich über Jahrhunderte hingezogen hat
und dessen Folgen weiterhin Millionen Menschen in den USA treffen.
Für die rund vier Millionen SklavInnen am Ende des Bürgerkriegs in den USA
war die „Emanzipation“ ein gewaltiger Schritt. Ihm folgte ein Jahrzehnt von
Reformen, in dem einige Schwarze US-AmerikanerInnen erstmals Zugang zu
Schulbildung, Grund und Boden, eigenen Betrieben und anderem Besitz sowie
zu politischen Institutionen des Landes bekamen.
## Demontage des Wahlrechtes
Die von der Union angekündigten 40 Morgen Land plus ein Maultier (40 acres
and a mule) für jeden ehemaligen Sklaven blieben ein leeres Versprechen.
Und der Aufbruch währte nur einen kurzen Moment. Schon in den 1870er Jahren
schlug die Stimmung brutal um. Die Konföderierten, die 1865 den Bürgerkrieg
verloren hatten, aber weiterhin die ökonomische Macht in weiten Teilen des
Landes hatten, eroberten die politische Kontrolle zurück.
Im Interesse der nationalen Einheit ließ die Regierung in Washington sie
gewähren. Sie zog die Unionssoldaten aus dem Süden ab und ließ den
Konföderierten freie Hand. Diese erfanden die „Rassentrennung“ und entzogen
den AfroamerikanerInnen ihre gerade erst errungenen Rechte. Sie schrieben
Gesetze, die weiße Schulen, weiße Wohngebiete, weiße Restaurants und weiße
Sitze im Bus „legal“ machten. Und sie gründeten Terror-Organisationen wie
den Ku-Klux-Klan, um die Schwarze Bevölkerung in Angst und Schrecken zu
halten.
Das „Jim Crow-Regime“ (Anm. d. Red.: Zeit der „Rassentrennung“ in
öffentlichen Einrichtungen zwischen 1865 und Mitte 1960er) ist zu Ende.
Aber die Emanzipation der AfroamerikanerInnen ist kompliziert geblieben.
Zu den Fortschritten dieser Geschichte gehört die von der
Bürgerrechtsbewegung der 60er Jahre erkämpfte Wahlrechtsreform. Zu den
Rückschlägen gehört knapp 60 Jahre später die Entscheidung des Obersten
Gerichtes, den besonderen Schutz des Wahlrechts für Afroamerikanerinnen
wieder aufzuheben. Nach Ansicht war es im Jahr 2013 nicht mehr nötig. In
derselben Woche des Gerichtsentscheides zogen mehrere konservative
Bundesstaaten Gesetze aus der Schublade, die neue administrative Schikanen
für das Wahlrecht einführten. Diese Demontage des Wahlrechtes, die 2013
begann, hält bis heute an.
## Ökonomische Verantwortung
„Juneteenth“ ist eine Etappe. Aber es erledigt nicht das historische
Unrecht gegen Millionen von aus Afrika Deportierten und ihre Nachfahren.
AfroamerikanerInnen nehmen bis heute nicht annähernd angemessen am
Wohlstand teil. Sie stellen nur rund 13 Prozent der US-Bevölkerung, aber
aus ihrer Mitte kommen 38 Prozent der Gefängnisinsassen und fast 40 Prozent
der Obdachlosen. Das durchschnittliche Vermögen von afroamerikanischen
Haushalten beträgt nur rund 10 Prozent von weißen Haushalten im Land. Und
mit jeder neuen Krise – zuletzt die Covid-19-Pandemie – vertieft sich der
ökonomische Graben.
Das nächste große Thema wird ökonomisch. Die BLM-AktivistInnen von 2020
haben bereits Zahlen über das Unrecht vorgelegt, und Vorschläge entwickelt,
es auszugleichen. Sie reichen von Hilfen zum Erwerb von Grund- und
Hauseigentum bis zu gezielter Ausbildungsförderung. Manche Institutionen
sind mit gutem Beispiel vorangegangen. Georgetown, die jesuitische
Universität in Washington, die ihre Schulden vor dem Bürgerkrieg mit dem
Verkauf von 272 SklavInnen beglichen hat, zahlt heute Stipendien an deren
Nachfahren. Aber das ganze Land ist in der Verantwortung.
Sein ökonomischer Aufstieg – im Süden und im angeblich sklavereikritischen
Norden, in den Baumwoll- und Tabakplantagen und in den Versicherungen und
Handelshäfen – ruhte auf dem Rücken von SklavInnen. Am Vorabend des
Bürgerkriegs waren sie sein größter einzelner Vermögenswert. Die Diskussion
über Reparationen ist überfällig.
17 Jun 2021
## LINKS
[1] /Juneteenth-und-Autor-Ralph-Ellison/!5692647
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[3] /100-Jahre-rassistische-Morde-in-Tulsa/!5776040
## AUTOREN
Dorothea Hahn
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