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# taz.de -- Gentrifizierung in den USA: Verdrängt durch die Mittelklasse
> Früher lebten in der US-Hauptstadt Washington, D.C., viele
> Arbeiterklassenfamilien und Schwarze. Zuzügler treiben sie aus ihren
> Stadtteilen.
Bild: Unerschwinglich: die Preise der Neubauten in Washington D.D
Die Menschen beschäftigt überall auf der Erde die Frage, wo sie leben
wollen. Für viele Bewohner von [1][Washington, D. C.] ist diese Frage
ziemlich real: Zwar klopfen die Taliban nicht an der Tür. Niemand muss in
einem Haufen Schutt leben, der einmal ein Haus war, niemand muss hier nach
einer Flut oder einem Hurrikan einen halben Meter hohe Schichten von Dreck
und Schlamm aus seinem Haus wegräumen, das nur durch Glück stehen geblieben
ist.
Und doch ist die Frage, wo wir uns niederlassen, auch in D. C. eine
fundamentale Frage angesichts einer globalen Pandemie, der Kriege, der
Zerstörung der Natur und perverser wirtschaftlicher Systeme, die in ihren
Ausmaßen immer heftiger geworden sind – eine fundamentale Angelegenheit
besonders für die, die nicht die finanziellen Möglichkeiten haben,
wegzuziehen. Aber für Millionen von Menschen auf dem Planeten ist es am
Ende der einzige Ausweg: wegziehen.
In Washington sind [2][die Häuserpreise in den vergangenen Jahren rasant
angestiegen]. In einer Gegend, die ich sehr gut kenne, konnte ein Haus vor
weniger als zwanzig Jahren für weniger als 300.000 Dollar gekauft werden.
Jetzt werden Häuser an der Straße für 800.000 Dollar und mehr verkauft. In
dieser Gegend lebten seit 100 Jahren weiße Arbeiterklassen-Familien mit
[3][italienischen], kroatischen und irischen Wurzeln.
Dazu kam eine beträchtliche Zahl von schwarzen Menschen: Afroamerikaner aus
der Provinz, um Regierungsjobs anzunehmen, dazu Migranten aus der Karibik
und Lateinamerika, die teilweise vor den Ergebnissen der US-amerikanischen
Interventionspolitik in ihren Ländern geflohen waren. Eine Wohngegend, die
ein guter Mix von Menschen verschiedener Facetten war, wird nun immer
homogener. Aktuell ziehen junge, Kinderwagen schiebende Familien zu, die
müde von den Suburbs sind und in die Städte zurückkehren, aus denen ihre
Eltern einst wegzogen. [4][Jetzt beanspruchen sie hier das droit de
seigneur].
Jedes freie Stück Erde ist zu einer Hundeauslaufzone geworden; allein
spielende Kinder sieht man nicht mehr; jedes Haus ist nicht mehr nur mit
einem Guckloch ausgestattet, sondern mit Kameras, so, als ob sie die
Ankunft des dunklen Fremden verkünden. Es gibt Websites, die den Zuzug von
Schwarzen in bestimmte Gebiete verfolgen.
Der demografische Wandel, der in der Hauptstadt der USA stattfindet, hat
eine historische Bedeutung in einer Stadt, die einst zwischen den zwei
Sklavenhalter-Staaten Maryland und Virginia gegründet wurde. Die ersten
schwarzen Ankömmlinge hatten sich zweifellos gewünscht, fort zu sein in dem
Moment, als sie am Sklavenauktions-Haus in der 7th Street unten am
Kapitolshügel standen oder mit weißen Familien von oft politischer
Prominenz in die Stadt kamen.
Diese zwangsweisen Zuzüge bildeten die Basis für die wichtige Rolle, die
schwarze Menschen in der Geschichte der Stadt spielen sollten. Im Jahr 1800
bildeten Schwarze ein Drittel der Bevölkerung von D. C. – jetzt sinkt der
Anteil wieder in diese Richtung. 1970 noch waren zwei Drittel
Afroamerikaner, und die Stadt bekam den Spitznamen Chocolate City. Schon
damals sprachen die Leute von „The Plan“, teils im Scherz, um das
aufkommende Gefühl eines Unbehagens zu lindern – das Gefühl, unerwünscht zu
sein.
In dieser dunklen Erzählung gab es einen Pakt, nach dem in einem
undefinierten, aber für manche erhofften Moment alle Schwarzen verschwinden
oder herausgebracht würden und die Tür zur Rückkehr wie immer geschlossen
sein würde. „The Plan“ ist dabei, auf eine gewisse Weise Realität zu
werden.
Aus dem Englischen: Gunnar Hinck
24 Oct 2021
## LINKS
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Washington,_D.C.
[2] https://storymaps.arcgis.com/stories/009773cc5c224421a66d1ce9ff089849
[3] https://boundarystones.weta.org/2015/02/12/closest-thing-little-italy-washi…
[4] /Wissenschaftsfilm-als-grosses-Kino/!5750742
## AUTOREN
Brenda Wilson
## TAGS
Häuserkampf
Kolumne Fernsicht
Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin
US-Sklaverei-Geschichte
Schwerpunkt USA unter Donald Trump
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