# taz.de -- Journalist über türkische Angriffe: „Waffen für die Tötung vo… | |
> Am Donnerstag tötete eine türkische Drohne zwei Journalisten nahe der | |
> nordsyrischen Stadt Kobanê. Ein Kollege spricht über die bedrohte | |
> Pressefreiheit. | |
Bild: Alan Meish | |
taz: Ihre Kollegen Nazim Daştan und Cîhan Bilgin sind am Donnerstag bei | |
einem [1][türkischen Drohnenangriff ums Leben gekommen]. Wer waren die | |
beiden? | |
Alan Meish: Nazim Daştan und Cîhan Bilgin, waren zwei kurdische | |
Journalisten, die aus den kurdischen Gebieten in der Türkei wie viele | |
andere Journlisten aus aller Welt nach Rojava kamen, um die Ereignisse hier | |
zu verfolgen. Nazim kam 2014 nach [2][Rojava], [3][als der Krieg gegen den | |
IS auf seinem Höhepunkt war]. Mit Kamera und Stift verfolgte er das | |
Kriegsgeschehen im Norden und Osten Syriens. So war er beim Kampf gegen den | |
IS in Kobanê vor etwa genau 10 Jahren dabei und beobachtete die vielen | |
Angriffe der Türkei seitdem hautnah. Von der türkischen Regierung wurde er | |
gesucht, da er viele Informationen über deren Aktivitäten, wie die direkte | |
Zusammenarbeit zwischen dem IS und dem türkischen Geheimdienst | |
veröffentlichte. | |
taz: 2016 wurde er in der Türkei wegen angeblicher „Terrorpropaganda“ | |
verhaftet. | |
Meish: Trotz dieser Drohungen setzte er seine Arbeit fort und spielte eine | |
wichtige Rolle in der Berichterstattung von hier. | |
taz: Bei dem Angriff wurde auch die Journalistin Cîhan Bilgin getötet. | |
Meish: Cîhan Bilgin kam 2017 nach Rojava, um als Journalistin zu arbeiten. | |
Sie arbeitete für die Nachrichtenagentur Hawar und war an vielen | |
Brennpunkten des Konflikts vor Ort. Sie produzierte aber auch viele | |
Berichte über gesellschaftliche und politische Ereignisse. Gerade die | |
Realität der Frauen in Rojava rückte sie immer wieder ins Zentrum ihrer | |
Berichterstattung. | |
taz: Und was geschah genau am Donnerstag? | |
Meish: Die beiden fuhren direkt am ersten Tag der Kämpfe zum | |
Tischrin-Staudamm und zur Qereqozaq-Brücke in der Nähe von Kobanê. Seit dem | |
8. Dezember 2024 versuchten dort von der Türkei gesteuerte Söldner, | |
unterstützt durch schwere Artillerie- und Luftangriffe, vorzustoßen. | |
taz: Mit Söldnern meinen Sie die Kämpfer der islamistischen Syrischen | |
Nationalarmee (SNA). Der Tischrin-Staudamm liegt etwa 60 Kilometer südlich | |
der Grenzstadt Kobanê auf dem Gebiet der Selbstverwaltung Nord- und | |
Ostsyrien. | |
Meish: Dort interviewten Nazim Daştan und Cîhan Bilgin die an den Kämpfen | |
beteiligten Kämpfer und Kämpferinnen und machten sich selbst ein Bild von | |
der Lage. Am 19. Dezember bombardierte die Türkei ihr Auto mit einer | |
Drohne, als sie auf dem Rückweg von Dreharbeiten waren. Beide kamen dabei | |
ums Leben, ihr Fahrer wurde verletzt. | |
taz: Bislang hat sich die Türkei ja noch nicht zu dem Angriff geäußert, | |
auch wenn viel auf ihre Urheberschaft hindeutet. Im Sommer wurden im | |
Nordirak drei Journalisten durch Drohnen getötet. Damals hatte die Türkei | |
von einer Operation im Zusammenhang mit Terrorismusbekämpfung gesprochen. | |
Warum werden kurdische Journalisten von der Türkei ins Visier genommen? | |
Meish: Seit Beginn der Revolution in Rojava sind nach der Zählung von | |
Ronahî TV 30 Journalisten durch die Angriffe der Türkei und des IS getötet | |
worden. Das Problem betrifft nicht nur kurdische Journalisten. Auch viele | |
Menschen aus der arabischen Bevölkerung in dieser Region sind zum Ziel der | |
Angriffe der Türkei geworden. Ich denke, dass der türkische Staat mit | |
seinen gezielten Angriffen auf Journalisten versucht, diese von ihrer | |
Arbeit abzuhalten, indem er ihnen droht und ihnen signalisiert, dass sie in | |
Gefahr sind, wenn sie die Wahrheit ans Licht bringen. | |
Dies ist ein direkter Angriff auf die Pressefreiheit und die Rechte von | |
Journalisten. Ähnlich wie der IS, will die Türkei nicht, dass jemand seine | |
Verbrechen aufdeckt. Das macht sie ja auch in anderen Ländern. Auch in der | |
Türkei versucht der Staat Journalisten mundtot zu machen, so wurden am | |
Freitag, Journalisten, die gegen die Ermordung von Nazim und Cîhan | |
demonstrierten festgenommen. | |
taz: Welche Rolle spielt die Selbstverwaltung in Nord- und Ostsyrien, die | |
seit 2012 aufgebaut wurde und in Deutschland besser unter dem kurdischen | |
Namen „Rojava“ bekannt ist in der aktuellen Situation in Syrien? | |
Meish: Die demokratische Selbstverwaltung könnte eine große Rolle in der | |
aktuellen Situation in Syrien spielen. Sie hat in den letzten 12 Jahren | |
Erfahrungen darin gesammelt, wie mit den verschiedenen Ethnien und | |
Religionen in Syrien zusammengearbeitet und ein friedliches Zusammenleben | |
und Kooperation hergestellt werden kann. Auch die Gleichberechtigung | |
zwischen den Geschlechtern ist in den Gebieten der Selbstverwaltung am | |
weitesten vorangeschritten. | |
Die Selbstverwaltung hat immer wieder erklärt, bereit zu sein für | |
Verhandlungen mit den verschiedenen syrischen Akteuren, auch mit der HTS, | |
auch wenn es unterschiedliche Weltanschauungen gibt. Und die | |
Selbstverwaltung hat erklärt, dass ihr Ziel ein demokratisches und | |
dezentralisiertes Syrien ist. Der Vorschlag einer landesweiten Waffenruhe | |
und Verhandlungen über den kommenden Prozess liegt auf dem Tisch. Aber | |
solange die Türkei und ihre Milizen die Angriffe fortsetzen, kann Syrien | |
nicht zur Ruhe kommen und es kann keine Verhandlungen geben. | |
taz: Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock hat bei ihrem Besuch in | |
der Türkei gesagt, alle Milizen in Syrien müssten entwaffnet werden. Damit | |
wäre dann auch die Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) gemeint. | |
Meish: Falls Annalena Baerbock diese Forderung ernst meint, wäre das eine | |
große Ungerechtigkeit gegenüber der Selbstverwaltung. Vor dem Treffen mit | |
dem türkischen Außenminister Hakan Fidan lobte sie noch den Heldenmut der | |
Kurden gegen den IS und nannte Kobanê ein Symbol des Kampfes gegen den IS. | |
Wenn sie wirklich die Rechte der Menschen hier schützt, warum unterstützt | |
sie dann das Massaker der Türkei an ihnen? Die Einheiten, die laut Baerbock | |
jetzt die Waffen abgeben sollen, machten den IS-Terroristen ein Ende, die | |
eine große Bedrohung für die ganze Welt darstellten. | |
Beim türkischen Angriff auf die kurdische Region Afrin im Norden Syriens im | |
Jahr 2018 wurde der Einsatz von deutschen Waffen, darunter auch deutsche | |
Leopard-Panzer, dokumentiert. Die Menschen in dieser Region sind darüber | |
sehr verärgert. Meiner Meinung nach scheinen sowohl Deutschland als auch | |
die Türkei hier von ihrem machtpolitischen Eigeninteresse geleitet zu | |
werden, dem die Selbstverwaltung und die Einheit der Menschen hier | |
entgegensteht. Deutschland will die historisch guten Beziehungen zur Türkei | |
nicht riskieren, die sich in Handelsbeziehungen, der Flüchtlingsfrage und | |
Rüstungsprojekten zeigen. | |
taz: Der Deutsche Journalistenverband fordert nun Aufklärung über die | |
Tötung von Nazim Daştan und Cîhan Bilgin. Und Konsequenzen in der | |
Diplomatie, falls sich herausstellt, dass die Türkei sie gezielt getötet | |
hat. Was sollte die internationale Gemeinschaft tun, um diesen Angriffen | |
auf die Pressefreiheit ein Ende zu setzen? | |
Meish: Es braucht dringend internationale Untersuchungsausschüsse, die in | |
diese Region reisen und die von der Türkei begangenen Kriegsverbrechen | |
dokumentieren. Wäre die Türkei in der Vergangenheit für ihre Angriffe auf | |
Journalisten bestraft worden, hätte sie es möglicherweise nicht gewagt, | |
erneut zwei Journalisten zu töten. Wir beobachten, dass das internationale | |
Schweigen und die Gleichgültigkeit der Türkei mehr Stärke verleihen. | |
Die Beweise für diese Kriegsverbrechen sollten internationalen Gerichten | |
vorgelegt werden. Die Staaten sollten nicht nur auf die Türkei hören, und | |
Deutschland sowie alle anderen Länder sollten keine Waffen an die Türkei | |
verkaufen, da diese Waffen für die Tötung von Journalisten und für | |
Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingesetzt werden. Nur so können diese | |
Bedrohungen aus der Türkei wirksam verhindert werden. | |
24 Dec 2024 | |
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## AUTOREN | |
Tim Krüger | |
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