# taz.de -- Inhaftierter Iraner über Einzelhaft: „Es gibt kein Zurück“ | |
> Zehn Jahre muss ein junger Iraner in Haft. Im Gespräch erzählt er von | |
> Folter bei Verhören, dass er nichts bereut und hofft, dass die Proteste | |
> andauern. | |
Bild: Die Gewalt auf den Straßen spitzte sich zu: Teheran am 19. September 2022 | |
Er soll hier Omar Rahimi heißen. Er ist Musiker, knapp über 20 Jahre alt. | |
Als im September die Leute [1][auf die Straße gehen], um wegen des Todes | |
von Mahsa Amini und gegen das islamistische Herrschaftssystem zu | |
protestieren, ist er mit dabei. Er wird verhaftet und zu 10 Jahren | |
Gefängnis und mehreren Dutzend Peitschenhieben verurteilt. | |
Seinen Hafturlaub nutzt er, um mit der wochentaz über seine Festnahme, die | |
brutalen Methoden des iranischen Repressionsapparats und die Stimmung in | |
der Protestbewegung zu sprechen. Sein Name wurde von der Redaktion | |
geändert, weil es für politische Gefangene im Iran sehr gefährlich ist, | |
Kontakt zu ausländischen Medien zu haben. | |
wochentaz: Herr Rahimi, wie kam es, dass Sie an den Protesten teilgenommen | |
haben? | |
Omar Rahimi: Meine Freunde und ich haben in den sozialen Medien mehrere | |
Protestaufrufe gesehen und beschlossen, auch auf die Straße zu gehen. | |
Zuerst waren wir als Gruppe unterwegs, das ist sicherer, aber dann habe ich | |
mich zwei anderen Demonstranten angeschlossen. Sie haben Parolen gegen die | |
Regierung gerufen und Steine gegen uniformierte Regimekräfte geworfen. Die | |
Regimekräfte haben [2][auf uns geschossen und Tränengas eingesetz]t, | |
deshalb fand ich es legitim, sich mit Steinen zu wehren. In Wirklichkeit | |
waren die anderen aber keine Demonstranten, sondern Agents Provocateurs. | |
Woher wissen Sie das? | |
Weil sie es waren, die mich später festgenommen haben. Sie haben einen | |
Freund angerufen, der kurz darauf auf einem Motorrad gekommen ist. An | |
seinem Aussehen – ungepflegter Bart, fanatischer Blick – habe ich sofort | |
erkannt, dass er ein [3][Basidschi] ist. Die Basidschi bilden eine | |
[4][Freiwilligenmiliz der Revolutionsgarden,] sie sind stark indoktriniert | |
– und sie sind für das Regime essenziell, um Proteste niederzuschlagen. Er | |
und die anderen beiden, von denen ich zuerst Hilfe erwartet hatte, haben | |
mich mit Elektroschockern zu Boden gezwungen und mich in Handschellen zu | |
einem Ort gebracht, wo sie andere verhaftete Demonstranten vorübergehend | |
festhielten. | |
Was ist dann geschehen? | |
Sie haben uns getreten, angespuckt und beschimpft. Sie sagten Dinge wie: | |
„Ihr wollt revoltieren, ihr Hurensöhne? Ihr wollt randalieren, ihr | |
Arschlöcher? Ihr dünnen Wichser?“ Dann haben sie uns im Lieferwagen eines | |
bekannten Lebensmittelunternehmens zum Gelände des Geheimdienstes gebracht. | |
Zum Verhör? | |
Ja, aber es war kein normales Verhör. Schon auf dem Weg dorthin hat man uns | |
ständig geschlagen, dann sagte ein Agent zu seinen Kollegen, sie sollten | |
ihm eine Flasche bringen. Damit wollte er mich anal vergewaltigen. Ein | |
anderer Agent hat ihn davon abgehalten. Ich weiß nicht, ob das ein | |
bewusstes Psychospielchen war, aber ich habe gehört, [5][dass man | |
Demonstranten tatsächlich mit Flaschen, manchmal sogar mit Elektroschockern | |
vergewaltigt hat.] | |
Was wollte man von Ihnen wissen? | |
Ich habe einen Fragebogen bekommen, da standen Dinge wie: Warum bist du auf | |
die Straße gegangen? Welchen Seiten folgst du auf Instagram? Wie lautet das | |
Passwort deines Handys? Mein Handy hatte ich zum Glück zu Hause gelassen. | |
Weil sie mir das nicht sofort geglaubt haben, hat mich einer wieder heftig | |
geschlagen. Es war ein Rollenspiel zwischen gutem Bullen und bösem Bullen. | |
Der eine redet dir sanft zu und beteuert, dass er dir nur helfen will, der | |
andere schlägt und beleidigt dich. Irgendwann wollte ich nur noch dem | |
„Guten“ alles beichten, damit der andere mich in Ruhe lässt. | |
Und danach sind Sie direkt ins Gefängnis gekommen? | |
Es gab vorher mehrere Vernehmungen, das hat über eine Woche gedauert. In | |
dieser Zeit hat man mich in eine Einzelzelle ohne Fenster gesperrt. Es gab | |
nur ein grelles Licht, das immer an war, so dass ich komplett das | |
Zeitgefühl verloren habe. Dort hatte ich nur mich selbst und meine Angst, | |
ich dachte ständig daran, was in der Zwischenzeit draußen wohl passieren | |
würde. Das war der härteste psychische Zustand, den ich je erlebt habe. Das | |
normale Gefängnis war eine Erleichterung dagegen. | |
Sie sind gegen Kaution freigekommen. Wann müssen Sie wieder ins Gefängnis? | |
Mein Hafturlaub dauert eine Woche, dann muss ich zurück. Mein Urteil ist | |
inzwischen rechtskräftig, man hat mich unter anderem wegen „Verstößen gegen | |
die nationale Sicherheit“ zu über 10 Jahren Haft und mehreren | |
Peitschenhieben verurteilt. Zuerst wollten sie mich wegen [6][„Krieg gegen | |
Gott“ und als Anführer der Proteste verurteilen, damit hätte ich die | |
Todesstrafe] riskiert. Aber diese Anklage wurde aus Mangel an Beweisen | |
fallen gelassen. | |
Warum haben Sie an den Protesten teilgenommen? | |
Am Tag, an dem ich von Jina [7][Mahsa Amini] erfahren habe, war ich am | |
Boden zerstört. Stell dir vor, deine Regierung erniedrigt und misshandelt | |
dich ständig, nur wegen deinem Glauben. Und dann hörst du, wie deine Leute | |
wegen dieser absurden Gesetze, die es nur hier gibt, geschlagen und getötet | |
werden. Das hältst du irgendwann nicht mehr aus, du rebellierst. Ich konnte | |
nur noch an Mahsa und an die Tausenden anderen Menschen denken, die wegen | |
dieses Systems sinnlos gestorben sind. Deshalb bin ich auf die Straße | |
gegangen. | |
Bereuen Sie es jetzt? | |
Überhaupt nicht. Ich habe im Gefängnis wunderbare Menschen kennengelernt | |
und habe viel von ihnen gelernt. Ich bin stolz auf mich und die anderen, | |
die protestiert haben. Wenn manche einen Helden in mir sehen, freut und | |
beschämt mich das zugleich, weil ich im Grunde nichts Besonderes getan | |
habe, nur meine Pflicht. Ich wollte nicht mehr schweigen, ich wollte nicht, | |
dass meine Kinder mich einmal fragen können: Papa, warum hast du damals | |
nichts unternommen? | |
Was haben Sie für einen Eindruck von der Stimmung unter den Inhaftierten? | |
Wer an diesen Protesten teilgenommen hat, steht ständig mit den anderen in | |
Kontakt. Wenn einer freigelassen wird, erfahren es die anderen sofort. Das | |
ist dann jedes Mal eine große Freude. Andere, so wie ich, müssen sehen, wie | |
einige aus dem Gefängnis freikommen, während sie selbst bleiben müssen. Wir | |
tun unser Bestes, um uns gegenseitig zu unterstützen und selbst positiv zu | |
bleiben, aber es ist hart, im Gefängnis zu sein. | |
Werden die Iranerinnen und Iraner etwas verändern können? | |
Wenn ich sehe, dass Leute mich für einen Helden halten, bestärkt mich das, | |
aber zugleich möchte ich, dass die, die mir Beifall klatschen, sich selbst | |
ein Herz fassen und etwas unternehmen. [8][Veränderung ist unter diesem | |
System nur möglich, wenn alle sie wollen und dafür kämpfen.] Nicht nur 40 | |
oder 60 Prozent der Leute, sondern 100 Prozent. | |
Glauben Sie, dass es dazu kommen wird? | |
Ja, das glaube ich. Bald sogar. | |
Warum sind Sie sich da so sicher? | |
Ich bekomme unglaublich viel Unterstützung, nicht nur von meinem Umfeld, | |
sondern auch von Unbekannten. Sie halten mich für ein Vorbild. Mein eigenes | |
Vorbild war [9][Navid Afkari], der Ringer, dem vorgeworfen wurde, bei den | |
Protesten im Jahr 2018 einen Sicherheitsmann getötet zu haben. Er hat bis | |
zuletzt für Gerechtigkeit gekämpft und wurde trotzdem hingerichtet. Jede | |
neue Protestwelle bringt neue Vorbilder hervor, und je mehr Vorbilder die | |
Menschen haben, desto mehr Menschen werden sich trauen, beim nächsten Mal | |
selbst auf die Straße zu gehen. Wenn die Leute nicht schon 2019 protestiert | |
hätten, wären wir heute auch nicht auf die Straße gegangen. Es ist wie eine | |
Kette. | |
Und die Angst? | |
Jede Revolution fordert Blutopfer. Wer etwas gewinnen will, muss auch | |
bereit sein, etwas zu verlieren. Freiheit ist ein bisschen wie der Tod, man | |
lässt alles hinter sich und geht auf sie zu. Und wenn man einmal damit | |
angefangen hat, gibt es kein Zurück. | |
25 Feb 2023 | |
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