# taz.de -- IT-Berater über Sicherheit im Netz: „Ein fundamentales Unverstä… | |
> Künstliche Intelligenz bringt Hackern neue Möglichkeiten für | |
> Cyber-Angriffe. IT-Berater Linus Neumann erklärt, warum sich Menschen | |
> online schlecht schützen. | |
Bild: Das Leben ist gefährlich | |
taz: Herr Neumann, was sind aktuell die größten Gefahren im Netz? | |
Linus Neumann: Das größte Problem, das der Westen hat, ist Ransomware: | |
Damit werden Unternehmen gehackt, ihre Daten verschlüsselt, und die | |
Angreifer fordern ein Lösegeld, um die Daten wiederherzustellen. Das hat | |
[1][2023 mindestens 81 Unternehmen] wie das KaDeWe, den Hamburger Flughafen | |
oder den Trinkwasserverband einer Kommune getroffen. Bei Prominenten oder | |
auch Aktivist*innen wird oft versucht, durch Phishing Zugriff auf die | |
Accounts zu bekommen. Und eben digitale Gewalt in allen Formen, meist gegen | |
Frauen. Zum Beispiel kann zum Stalking Schadsoftware auf persönlichen | |
Geräten wie dem Mobiltelefon installiert werden. | |
Und mit welchen neuen Trends müssen wir dieses Jahr rechnen? | |
Mit Praktiken, die Leute dazu anleiten, selbst Fehler zu machen. Zum | |
Beispiel CEO Fraud, wo eine Person behauptet, die Geschäftsführerin zu | |
sein, und einen Angestellten dazu bringt, Geld irgendwo hin zu überweisen. | |
Gab es das nicht früher schon, per Telefon? | |
Ja, genau. Spannend ist das, weil es überhaupt nichts mit IT-Sicherheit zu | |
tun hat, sondern nur mit den Menschen, die getäuscht werden, und die | |
Möglichkeiten dafür jetzt besser werden – durch so etwas wie ChatGPT. | |
Dadurch verschwinden für Angreifer Herausforderungen wie die | |
Sprachbarriere. | |
Können Cyberangriffe auf CEOs und Unternehmen uns als normale Menschen | |
nicht egal sein, denn die gefährden doch Gewinne, an denen die Mehrheit der | |
Gesellschaft ohnehin nicht beteiligt würde, oder? | |
Richtig. Wenn ich als Unternehmen eine instabile Infrastruktur baue, dann | |
ist das mein eigenes Risiko. Das ist nichts, was ein Staat lösen kann. Wenn | |
das aber zu oft passiert und wir ein Angriffsausmaß wie aktuell haben, | |
wird das zum wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Problem. Allein die | |
Gruppe Black Basta hat zuletzt 100 Millionen damit verdient. Und das ist | |
nur eine von sehr vielen. Oder wenn von einer Hotelkette wie Motel One die | |
Kundendaten veröffentlicht werden, dann ist das auch ein Problem für diese | |
ganz normalen Menschen. | |
Gibt es auch Parallelen zwischen Angriffen auf Unternehmen und auf | |
Individuen? | |
Die sind schon unterschiedlich. Gleich ist oft, dass der initiale Angriff | |
auf den Menschen abzielt, der so getäuscht wird, dass er eine | |
Sicherheitsmaßnahme außer Kraft setzt, zum Beispiel, indem er ein Passwort | |
irgendwo eingibt und so Zugriff auf Daten gewährt. | |
Bei Ihrem [2][Vortrag auf dem CCC-Kongress] Ende Dezember in Hamburg hieß | |
es, dass die Betroffenen oft „mit schuld“ seien. Wie war das gemeint? | |
Da ging es um einen [3][Fall aus Finnland], in dem ein Hacker behauptete, | |
über die Daten von 40.000 Patient*innen des Psychotherapiezentrums | |
Vastaamo zu verfügen. Das Problem: Diese Daten waren über Google auffindbar | |
und nur mit einem einfachen Passwort geschützt, so dass es sehr einfach | |
möglich war, darauf zuzugreifen. Dieser fahrlässige Umgang mit Daten ist zu | |
verurteilen. Wer sich so verhält, lädt Angreifer wirklich ein. | |
Kritisieren Sie fahrlässiges Verhalten von anderen Betroffenen, zum | |
Beispiel Frauen oder alten Menschen, genauso wie von Firmen? | |
Es tut mir auch leid, dass wir eine Realität haben, in der Schutzmaßnahmen | |
ergriffen werden müssen. Aber ich muss beim Fahrradfahren vorsichtig sein, | |
weil Rechtsabbieger mich überfahren können. Ich muss meine Haustür | |
abschließen, weil sonst Leute reingehen und meine Dinge mitnehmen. Wir | |
dürfen hier keine Täter-Opfer-Umkehr betreiben, das ist völlig klar. Aber | |
wir müssen verstehen, dass irgendwo eben eine Grenze der fahrlässigen | |
Selbst- und Fremdgefährdung verläuft. | |
Es scheint, die Menschen schützen sich im analogen Raum besser als im | |
digitalen. Wie erklären Sie als Psychologe sich das? | |
Ich glaube, dem zugrunde liegt ein fundamentales Unverständnis, nämlich | |
dass die Leute nicht verstehen, wie die Angriffe funktionieren. Die | |
Menschen haben häufig wildeste Fantasien, wie sie gehackt werden. | |
Welche denn? | |
Mich schreiben auf Social Media zum Beispiel häufig Frauen an, die den | |
Verdacht haben, dass Schadsoftware auf ihrem Handy ist. Die glauben dann, | |
das kam aus dem Internet, und kommen gar nicht auf die Idee, dass ihr Mann | |
einfach ihr Handy nimmt, während sie im Bad sind. | |
Warum müssen Opfer verstehen, wie Täter denken? | |
Weil man Zeit und Energie in Sorgen oder in Schutzmaßnahmen investiert, die | |
nicht zielführend sind. Wenn du nicht weißt, wie ein Angreifer vorgeht, | |
weißt du auch nicht, wie du dich effektiv dagegen schützt. | |
Viele denken auch: „Ach, ich bin weder ein Millionenunternehmen noch ein | |
Promi, wieso sollte mich jemand angreifen?“ | |
Ja, dieser naive Optimismus ist ein anderer Grund, dass Leute sich nicht | |
schützen. Aber es gibt ein paar Dinge, die fast jeder Mensch hat, die | |
Kriminelle interessieren. Zum Beispiel ein Bankkonto [lacht]. Sagen wir | |
mal, die Angreifer versenden 100.000 E-Mails, das kostet sie null Euro und | |
maximal einen Tag Arbeit. Wenn da nur einzige Person draufklickt und die | |
Anweisung befolgt, haben sie Zugriff auf dein Konto, auf dem, sagen wir mal | |
„nur“ 3.000 Euro liegen. Also für mich wäre das ein super Tagessatz. | |
Zum Glück sind viele dann doch schlau genug, nicht mehr auf Phishing-Mails | |
hereinzufallen. Aktiv richten sie dennoch keine Schutzmaßnahmen ein. Hat | |
das nicht auch materielle Gründe wie Zeit- und Geldmangel? | |
Das glaube ich nicht, die meisten Vorkehrungen sind kostenlos und dauern | |
nicht lang. Zum Beispiel den E-Mail-Account mit einem zweiten Faktor zu | |
schützen, ist kostenlos. Das einzurichten dauert keine fünf Minuten. Das | |
ist eine der wichtigsten Maßnahmen, falls das Passwort verloren geht oder | |
man gehackt wird. Aber die wird eben von den meisten Leuten als nervig und | |
vor allem unnötig empfunden. | |
Sie und andere IT-Experten reden sich darüber seit Jahren den Mund | |
fusselig, trotzdem hören viele nicht darauf. Frustriert Sie das eigentlich? | |
Na, ich kann die Leute ja nicht zwingen. Ich kann nur immer wieder sagen: | |
Ihr müsst viele Fehler nicht selber machen, es gibt genug andere, von denen | |
ihr lernen könnt, und das Internet ist voll von Leuten, die so was | |
verständlich erklären. In IT-Sicherheit investieren müsst ihr sowieso – | |
entweder vor dem Angriff oder danach. | |
19 Jan 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.csoonline.com/de/a/diese-unternehmen-hat-s-schon-erwischt,36740… | |
[2] https://media.ccc.de/v/37c3-12134-hirne_hacken_hackback_edition | |
[3] /Die-Gefahren-des-digitalen-Impfpasses/!5745031 | |
## AUTOREN | |
Lotte Laloire | |
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