# taz.de -- Halbzeit der Agenda 2030: Viele Pläne, wenig Entwicklung | |
> Der EU-Bericht zur Umsetzung der Agenda 2030 zeigt: in Sachen | |
> Klimapolitik, Naturschutz und Auswirkungen auf andere Länder ist viel | |
> Luft nach oben. | |
Bild: Auf dem Pfad bleiben: Die EU muss ambitionierter werden, um Entwicklungsz… | |
BERLIN taz | Niemand soll zurückgelassen werden, war das Versprechen der | |
Staats- und Regierungschefs, als sie vor sieben Jahren in den Vereinten | |
Nationen die Agenda 2030 beschlossen, mit 17 Zielen für nachhaltige | |
Entwicklung, die sogenannten „Sustainable Development Goals“, kurz SDGs. | |
Bis 2030 soll weltweit Armut und Hunger beendet werden, allen Menschen soll | |
Zugang zu Bildung, Gesundheit und guter Arbeit garantiert werden und | |
natürliche Ressourcen, die Umwelt, Meere geschützt werden. Dieses Jahr ist | |
Halbzeit. | |
Seit Montag tagt in New York das Hochrangige Politische Forum, das den | |
großen SDG-Gipfel im September vorbereitet. „Die Agenda ist ein | |
Versprechen, keine Garantie“, wird der Gipfel auf der Webseite angekündigt. | |
„Zur Halbzeit ist das Versprechen in großer Gefahr.“ | |
Zum ersten Mal seit Jahrzehnten werde der Entwicklungsfortschritt durch die | |
kombinierten Auswirkungen von Klimakatastrophen, Konflikten, | |
wirtschaftlichem Abschwung und anhaltenden Covid-19-Effekten wieder | |
zunichte gemacht, heißt es weiter. Der SDG-Gipfel soll das Versprechen der | |
Agenda wieder präsenter machen. „Grundlegende Veränderungen in Bezug auf | |
Engagement, Solidarität, Finanzierung und Handeln müssen uns wieder auf den | |
Weg bringen“ – so der Appell. | |
Beim Hochrangigen Politischen Forum stellt die EU am Mittwoch [1][ihren | |
ersten freiwilligen Bericht zur Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige | |
Entwicklung] vor. So auch 35 weitere Länder. Die freiwillige Überprüfung | |
soll zeigen, dass „die EU fest entschlossen ist, die 17 Ziele für | |
nachhaltige Entwicklung (SDGs) zu erreichen“, heißt es zu Beginn des | |
Berichts. Auf 300 Seiten hat die EU ihre Entwicklung festgehalten. | |
## Gute Bilanz bei Arbeit, Nachholbedarf beim Umweltschutz | |
Im globalen Vergleich steht die Europäische Gemeinschaft in vielen Punkten | |
gut da, etwa in Sachen Armut oder Hunger und menschenwürdige Arbeit. | |
Vor allem bei den Zielen zum Klima- und Umweltschutz seien aber weitere | |
Fortschritte nötig, so der Bericht. Zum Beispiel bei der nachhaltigen | |
Nutzung natürlicher Ressourcen, der Erhaltung der Biodiversität und beim | |
Gewässerschutz. Auch bescheinigt sich die EU nur „mäßige Fortschritte“ in | |
Bezug auf nachhaltige Landwirtschaft und Städte. | |
Der Bericht verweist auf eine Vielzahl von Gesetzen und Strategien der | |
letzten Jahre im Bereich Umweltschutz, mit denen sich die EU teils | |
ehrgeizige und teils weniger ehrgeizige Ziele setzt. | |
Die EU-Forststrategie für 2030 etwa legt den Schwerpunkt auf Waldschutz und | |
Aufforstung. Die EU-Bodenstrategie soll die Wüstenbildung und die | |
Wiederherstellung degradierter Flächen und Böden fördern. [2][Das Gesetz | |
zur Renaturierung wird gerade hart umkämpft in der EU], mit noch ungewissem | |
Ausgang. | |
## Schadstoffe im Wasser sind „Anlass zur Sorge“ | |
Im Bereich Wasser bescheinigt sich die EU eine verbesserte | |
Abwasserbehandlung, die Verschmutzung in europäischen Flüssen, Seen und | |
Meeren verringert hat. Gleichzeitig ist die Belastung durch industrielle | |
Schadstoffe, pharmazeutische Rückstände, Kosmetika und Pestizide im Wasser | |
weiterhin groß und „Anlass zur Sorge“. | |
Zum Beispiel: Pestizide in der Landwirtschaft sollten bis 2030 um 50 | |
Prozent verringert werden. Die jüngsten Daten zeigen, dass deren Einsatz | |
zur Halbzeit um 14 Prozent zurückgegangen ist. „Gefährliche Pestizide“ si… | |
im gleichen Zeitraum um 26 Prozent zurückgegangen. | |
Hunger ist in der EU nur selten ein Problem, Fehlernährung dagegen schon. | |
Viele Lebensmittel enthalten zu viel Zucker, Salz und Fett und zu wenige | |
Nährstoffe. Die EU verweist auf Initiativen für gesündere Ernährung, wie | |
zum Beispiel die Strategie „Vom Bauernhof zum Teller“. Darin werden | |
konkrete Ziele für die Umgestaltung der EU-Lebensmittelsysteme bis 2030 | |
definiert. | |
## Wenig Bewegung bei Armutsbekämpfung | |
Armut ist im globalen Vergleich weniger Thema in der EU, dennoch gibt es | |
sie und es tut sich nur wenig: In den sieben Jahren seit Beschluss der | |
Agenda 2030 hat sich die Anzahl der Menschen, die in Armut nach | |
EU-Definition leben, nur um etwas mehr als 2 Prozentpunkte verringert. Im | |
Jahr 2021 waren 95,4 Millionen Menschen, das sind 21,7 Prozent der | |
EU-Bevölkerung, von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht. 2015 waren es | |
104,9 Millionen Menschen, also 24 Prozent der Bevölkerung. | |
Die Zahl der Kinder unter 18 Jahren, die von Armut oder sozialer | |
Ausgrenzung bedroht sind, ist von 22,3 Millionen 2015 auf 19,6 Millionen | |
2021 zurückgegangen. Auch bei der Arbeitsarmut gab es nur wenig Bewegung. | |
Hier gab es einen Rückgang um 0,8 Prozentpunkte in sieben Jahren auf 8,9 | |
Prozent der Erwerbstätigen. | |
Um sich global gegen Arbeitsarmut zu engagieren, verweist die EU auf das | |
[3][Lieferkettengesetz, das gerade zwischen dem EU-Parlament und den | |
Mitgliedstaaten im Rat verhandelt wird]. Die Zivilgesellschaft kritisiert, | |
dass es schon jetzt stark abgeschwächt wurde. Weiterhin plant die EU ein | |
Importverbot von Produkten, die mit Zwangsarbeit und Kinderarbeit | |
hergestellt werden. Eine Einigung konnte bislang auch hier noch nicht | |
erzielt werden. | |
Ebenso gab es bislang wenig Fortschritte bei der Einführung von | |
existenzsichernden Löhne entlang der Lieferkette und keine Bewegung, | |
Unternehmen zu verpflichten, Sozialversicherungen für Arbeitende auch | |
außerhalb der EU zu gewährleisten. | |
Dennoch bescheinigt sich die EU beim SDG 12 zum verantwortungsvollen Konsum | |
und Produktion „solide Fortschritte“ im Bericht. In dem Sektor seien mehr | |
Ressourcen geschont worden und die Energieeffizienz habe sich verbessert. | |
Auch wenn die Energietransformation nur langsam vorangeht und gleichzeitig | |
sehr ressourcenintensiv ist, zieht die EU ein positives Fazit: „Die EU hat | |
bewiesen, dass grünes Wachstum möglich ist: Das BIP-Wachstum kann | |
gleichzeitig mit der Reduzierung der Treibhausgasemissionen erreicht | |
werden“, lobt sich die EU. | |
## Negative Auswirkung auf andere Länder | |
Hier zeigt sich das größte Entwicklungspotenzial der EU: Verbesserungen im | |
sogenannten Spillover-Effekt. Das sind die negativen sozialen und | |
ökologischen Auswirkungen, zum Beispiel durch Handelsverträge oder Kredite | |
auf andere Länder. Die EU selbst gibt etwa an, dass sie allein durch ihren | |
Nahrungskonsum zu 5 Prozent des CO2-Ausstoßes in diesem Bereich beiträgt. | |
Die EU bezieht Überlegung dazu also punktuell in ihrem Bericht mit ein. | |
Der [4][Spillover-Index], erstellt von der Forschungsgruppe SDSN, gibt ein | |
umfangreiches Bild. Er listet 166 Länder auf. Die ersten Plätze besetzten | |
Staaten mit mehr positiven und weniger negativen Effekten auf andere | |
Länder. Die EU wird nicht als Ganzes berücksichtigt, allerdings geht die | |
Liste für EU-Staaten erst ab Platz 114 los. Den belegt Polen, das Land | |
schneidet hier EU-weit am besten ab und bewegt sich global im letzten | |
Drittel. | |
Die EU verweist hingegen auf ihre Zusagen zur Finanzierung der | |
Entwicklungsziele in anderen Ländern, so wie etwa die Global Gateway | |
Strategie, die als Gegengewicht zu Chinas Neuer Seitenstraße | |
Infrastrukturprojekte im Globalen Süden fördert. Außerdem unterstütze sie | |
etwa [5][Diskussionen über die internationale Finanzarchitektur und die | |
Reform von multilateralen Entwicklungsbanken], um mehr Gelder freizumachen. | |
Gleichzeitig ist der Finanzierungsbedarf global hoch. Reformen und | |
Mechanismen zur Entschuldung hingegen langsam, Forderungen nach einer | |
Überarbeitung des Kreditratingsystems bislang unbeantwortet. | |
12 Jul 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://hlpf.un.org/sites/default/files/vnrs/2023/VNR%202023%20EU%20Report.… | |
[2] /EU-Renaturierungsgesetz/!5943605 | |
[3] /EU-Lieferkettengesetz/!5934620 | |
[4] https://dashboards.sdgindex.org/rankings/spillovers | |
[5] /Fruehjahrstagung-von-Weltbank-und-IWF/!5927897 | |
## AUTOREN | |
Leila van Rinsum | |
## TAGS | |
Entwicklungsziele | |
Vereinte Nationen | |
EU | |
SDG | |
Entwicklung | |
GNS | |
Welthandel | |
wochentaz | |
Lateinamerika | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Wassermangel | |
Vereinte Nationen | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Fairer Kapitalismus: Gerechtigkeit ist machbar | |
Der Kapitalismus ist ein knallhartes Spiel – doch es könnte fairer laufen: | |
mit einem globalen Mindestlohn und dem Ende aller Steueroasen. | |
Nachhaltigkeitsziele der UN: Halbzeit! | |
Ein gutes Leben für alle – das wollten die Vereinten Nationen mit der | |
Agenda 2030 erreichen. Sieben Jahre bleiben fürs große Ziel. | |
Arbeitsrechte in Lateinamerika: Hoffnung auf das Lieferkettengesetz | |
Eine Bananenplantage in Costa Rica hat kürzlich allen Gewerkschaftern | |
gekündigt. Jetzt können die Betroffenen durch Oxfam hierzulande dagegen | |
klagen. | |
Aktuelle Daten zum Klimawandel: Die CO2-Pleite rückt näher | |
Seit 2020 hat sich das CO2-Budget für die Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze | |
halbiert. Grund sind hohe Emissionen und ein aktualisiertes Klimamodell. | |
UN-Konferenz in New York: Das Wasser wird knapp | |
Ein UN-Bericht zeigt: Die Welt ist weit entfernt davon, dass es Wasser für | |
alle gibt. Ein Grund dafür ist der Klimawandel. | |
Zwischenbilanz des UN-Aktionsplans 2015: Wie läuft’s? | |
Weniger Armut, mehr Umweltschutz: 17 Ziele für ein gutes Leben hatten sich | |
die Vereinten Nationen 2015 gesetzt. Doch die Welt steckt fest. |