# taz.de -- Grünen-Experte über Klimapolitik: „Die Klimakrise ist gewaltig�… | |
> Rainer Baake weiß, wie Deutschland klimaneutral werden kann. Mit einer | |
> neu gegründeten Stiftung möchte er auf die Bundesregierung einwirken. | |
Bild: Einmal halbwegs klimaverträglich um die Welt: Rainer Baake in der Wüste… | |
taz: Herr Baake, bis vor gut zwei Jahren haben Sie die energiepolitische | |
Debatte in Berlin in diversen Funktionen mitgeprägt. Dann haben Sie im | |
Wirtschaftsministerium Ihren Rücktritt als Staatssekretär eingereicht und | |
sind von der Bildfläche verschwunden. Wo haben Sie seitdem gesteckt? | |
Rainer Baake: Ich bin mit meiner Frau um die Welt gereist. Wir waren 2018 | |
im südlichen und östlichen Afrika, 2019 in Süd- und Nordamerika und dieses | |
Jahr in Australien. Eigentlich sollte es am Schluss dann noch durch Europa | |
gehen, aber dieser Teil ist wegen der Corona-Pandemie dann ausgefallen. | |
Verträgt sich eine solche Weltreise denn mit dem Ziel, den Klimawandel | |
aufzuhalten? | |
Wir waren mit einem geländegängigen Fahrzeug unterwegs und haben zwei Jahre | |
lang im Dachzelt geschlafen und fast keine Güter konsumiert. Keine Heizung, | |
warmes Wasser aus der Solardusche und Strom aus unserer Photovoltaikanlage. | |
Das Auto ist zwischen den Kontinenten mit dem Schiff transportiert worden. | |
Wir selbst sind zwar geflogen, aber unterm Strich haben wir unseren | |
CO2-Fußabdruck im Vergleich zum Leben in Deutschland nicht erhöht. | |
Was war das Ziel der Reise? | |
Wir haben beide großes Interesse am Klimathema und am Natur- und | |
Artenschutz. Über beide Themen haben wir viel gelernt. Meine Frau hat in | |
ihrem Heimatland Norwegen viele Artikel veröffentlicht, ich habe einen Film | |
für die Internationale Energieagentur produziert. Und jetzt arbeiten wir | |
noch an einem Buch und einem Film über die Reise. | |
Welche neuen Erkenntnisse haben Sie mitgebracht? | |
Die Auswirkungen der Klimakrise sind heute schon gewaltig, die können Sie | |
auf jedem Kontinent sehen. Im südlichen Afrika haben wir die Folgen der | |
gewaltigen Dürre erlebt, in Nordamerika ausgetrocknete und großflächig | |
abgebrannte Waldgebiete, in Australien die Buschbrände, die es dort zwar | |
schon immer gegeben hat, aber nie in diesem Ausmaß. | |
Sind Sie jetzt optimistischer oder pessimistischer, dass die Klimakrise | |
noch gestoppt werden kann? | |
Ich war immer Optimist, und ich glaube auch jetzt noch daran, dass wir | |
unser eigenes Schicksal noch verändern können. Aber die Dringlichkeit ist | |
mir noch sehr viel deutlicher geworden. | |
Hat das Leben im Ausland auch Ihren Blick auf die deutsche Klimadebatte | |
verändert? | |
Die größte Überraschung war für mich die Fridays for Future-Bewegung. Ich | |
hatte mir in all den Jahrzehnten vorher immer gewünscht, dass die junge | |
Generation, die ja am meisten von den Folgen des Klimawandels betroffen | |
sein wird, auf die Straße geht. Dass das jetzt passiert, ist eine | |
großartige Veränderung. Leider war die offizielle Regierungspolitik mehr | |
von der Angst vor der AfD beeinflusst als von den Forderungen der jungen | |
Generation. | |
Sie haben Ihren Rücktritt als Staatssekretär damit begründet, dass | |
Deutschland seine Klimaziele aufgrund des Koalitionsvertrags deutlich | |
verfehlen wird. Jetzt wird das [1][2020-Ziel] doch erreicht, die | |
Erneuerbaren liefern mehr als die Hälfte des Stroms und der Kohleausstieg | |
wurde auch beschlossen. Bedauern Sie im Nachhinein, dass Sie nicht mehr | |
dabei waren? | |
Nein, ich glaube der Schritt war richtig. Dass Deutschland jetzt sein | |
Klimaziel für 2020 möglicherweise erreicht, ist ein Einmaleffekt durch die | |
Corona-Krise. Und für 2030 prognostizieren ja selbst die Gutachten der | |
Regierung, dass das Ziel mit den bisher beschlossenen Maßnahmen deutlich | |
verfehlt wird. Und das nationale Ziel wird ja noch weiter angehoben werden | |
müssen, wenn die EU ein neues Ziel für 2030 beschließt. | |
In der Klimaszene geben Ihnen manche eine Mitschuld an den verfehlten | |
Zielen. Denn Sie haben als Staatssekretär die Umstellung des Ökostroms von | |
festen Vergütungen auf Ausschreibungen durchgesetzt. Danach ist der | |
Wind-Ausbau eingebrochen. | |
Da sehe ich keinen Zusammenhang. Dass in Deutschland derzeit zu wenig | |
Windräder gebaut werden, liegt nicht an den Ausschreibungen, sondern daran, | |
dass es zu wenige rechtskräftig genehmigte Projekte gibt, was verschiedene | |
Ursachen hat. Fast überall auf der Welt ist auf Ausschreibungen umgestellt | |
worden. Der Markt kann die notwendigen Zuschüsse nun mal besser ermitteln | |
als die Politik. | |
Zurückgemeldet haben Sie sich in Berlin jetzt als Direktor einer neuen | |
„[2][Stiftung Klimaneutralität]“. Was steckt dahinter? | |
Es geht genau um diese Frage: Wir wollen eine Klima-Roadmap für Deutschland | |
entwickeln, eine sektorübergreifende Strategie, wie Deutschland im | |
europäischen Kontext klimaneutral werden kann. Dabei soll es nicht nur um | |
Szenarien gehen, sondern auch um politische Instrumente, mit denen | |
Klimaziele tatsächlich erreicht werden. | |
Woher kommt das Geld dafür? | |
Von Climate Imperative, einer in Gründung befindlichen Stiftung in den USA, | |
die global tätig ist. Dahinter stehen wohlhabende Privatpersonen, die etwas | |
gegen den Klimawandel unternehmen wollen. Von dort haben wir eine | |
siebenstellige Zuwendung erhalten, mit der wir arbeiten können. | |
Braucht es in der Klimapolitik wirklich noch einen weiteren Akteur? | |
Es geht nicht um Konkurrenz oder Dopplung, sondern um eine Ergänzung und | |
Kooperation mit anderen Akteuren. Unser dreiköpfiges Team bringt seine | |
Kompetenz ein, dazu bringen wir zusätzliches Geld mit. Damit können wir | |
Studien und Gutachten erstellen und Dialogprozesse organisieren. Denn | |
unsere Ergebnisse sollen nicht in irgendeinem Regal vergammeln, sondern | |
Eingang finden in die klimapolitische Debatte. | |
Das klingt wie ein Vorbereitungsprogramm für die nächste Bundesregierung. | |
Absolut. Wir wollen als Teil der Zivilgesellschaft Vorschläge unterbreiten | |
und hoffen, dass diese dann auch von den politischen Parteien aufgegriffen | |
werden. | |
Und zieht es Sie dann noch einmal zurück in die Politik, um das Ganze auch | |
selbst umzusetzen? | |
Ich bewerbe mich nicht um ein politisches Amt. Mein Anliegen ist der | |
Klimaschutz, und den habe ich in den letzten 29 Jahren in verschiedenen | |
Rollen vorangetrieben. Ich weiß, was man von außerhalb der Regierung machen | |
kann, aber das Regierungsgeschäft kenne ich auch. Ich finde, man sollte | |
weder das eine noch das andere unterschätzen. | |
19 Jul 2020 | |
## LINKS | |
[1] /CO2-Ausstoss-2019-stark-gesunken/!5654471 | |
[2] https://www.stiftung-klima.de/ | |
## AUTOREN | |
Malte Kreutzfeldt | |
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