# taz.de -- Gewalt an EU-Außengrenzen: Petition gegen Pushbacks | |
> Eine europäische Bürgerinitiative will Gewalt gegen Geflüchtete an den | |
> EU-Außengrenzen stoppen. Ihr fehlen noch viele Unterschriften. | |
Bild: Streng bewachte EU-Außengrenze zwischen Ungarn und Serbien | |
BERLIN taz | 270.180 Menschen sind im vergangenen Jahr über das Mittelmeer | |
nach Europa gekommen. 3.760 starben bei der Überquerung oder werden noch | |
vermisst. Das zumindest sind die dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR | |
bekannten Zahlen. Viele Menschen, die nach Europa fliehen wollen, kommen | |
aus einem anderen Grund nie hier an: Sie werden von Grenzwächtern davon | |
abgehalten und zurück in das außereuropäische Land gebracht, von dem sie | |
aufgebrochen waren. Pushbacks werden diese – illegalen – Praktiken genannt. | |
Oft mit Gewalt, wie Berichte von Menschenrechtsorganisationen wie den | |
Ärzten ohne Grenzen oder journalistische Recherchen zum Beispiel von der | |
New York Times zeigen. | |
Eine europäische Bürgerinitiative will dem nun ein Ende setzen. Seit Sommer | |
2023 haben Unterstützer*innen von einer Reihe von Hilfsorganisationen | |
Unterschriften gesammelt. Noch bis zum 10. Juli dieses Jahres haben sie | |
Zeit, um eine Million Unterschriften zusammenzubekommen. Zur Halbzeit luden | |
die Organisator*innen am Freitag zu einer Pressekonferenz nach Berlin | |
ein, um eine erste Bilanz zu ziehen und der Bürgerinitiative zu einem Schub | |
zu verhelfen. Das ist auch notwendig, soll sie erfolgreich sein. Denn: Bis | |
Montagvormittag hatten [1][auf der Onlineplattform der EU] 11.687 Menschen | |
unterzeichnet, die letzten aus Italien, Deutschland und Frankreich. | |
Stop Border Violence – stoppt die Gewalt an den Grenzen, heißt die | |
Bürgerinitiative, die in Italien gegründet wurde und mittlerweile von mehr | |
als 150 Organisationen in ganz Europa getragen wird, darunter die European | |
Green Party und Attac Deutschland. Sie fordern die Einhaltung von Artikel 4 | |
der EU-Grundrechtecharta. Der ist kurz, besteht aus einem Satz: „Niemand | |
darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder | |
Behandlung unterworfen werden.“ | |
Gegen diesen verstießen die Mitgliedstaaten seit Jahren „kontinuierlich und | |
systematisch“, heißt es im Manifest, das die Bürgerinitiative verfasst hat. | |
Überschrieben ist es mit der Forderung: „Holen wir uns Europa zurück!“ Die | |
Initiator*innen beklagen darin: „Missbrauch und Gewalt sind zum | |
dominierenden Merkmal der europäischen Governance im Umgang mit Migration | |
geworden.“ Beispiele: brutale Abschiebungen im Konkreten, aber auch die | |
„Militarisierung und Verlagerung der Binnen- und Außengrenzen“ im | |
Allgemeinen. | |
Die Initiative fordert nun, dass die Europäische Union konkrete Maßnahmen | |
ergreift, um die vollständige Einhaltung von Artikel 4 der | |
EU-Grundrechtecharta zu gewährleisten. Migrant*innen müssten geschützt | |
werden, indem Überwachungstechnik eingesetzt werde, die | |
Grundrechtsverletzungen aufdeckt und unterbindet. Die Mitgliedstaaten | |
müssten zudem aus internationalen Abkommen zur Kontrolle von | |
Migrationsströmen mit Drittländern aussteigen, die sich schwerer | |
Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht haben. Neue Abkommen dieser Art | |
dürften nicht geschlossen werden. Die EU müsse darüber hinaus | |
Mindestaufnahmestandards festlegen, die für alle Mitgliedsländer und für | |
die gesamte Dauer des Aufenthalts in ihrem Hoheitsgebiet gelten. Verstößt | |
ein Mitgliedsstaat gegen die Auflagen, muss es mit Sanktionen rechnen. | |
Wie Gewalt gegen fliehende Menschen an den EU-Außengrenzen aussieht, hat | |
zuletzt die Organisation Ärzte ohne Grenzen in ihrem [2][Bericht „In Plain | |
Sight“] (deutsch etwa: Vor unserer aller Augen) aufgeschrieben. Die | |
Hilfsorganisation kümmert sich seit Jahren um Geflüchtete, die in | |
Griechenland angekommen sind. Allein im Jahr 2022 hätten die Ärzte ohne | |
Grenzen dort 22.500 Menschen behandelt. | |
Auf den Inseln Lesbos und Samos seien in den vergangenen zwei Jahren 7.904 | |
Menschen kurz nach ihrer Ankunft medizinisch behandelt worden. Viele von | |
ihnen berichteten von einem Teufelskreis von Gewalt, von wiederholten | |
gefährlichen Seeüberfahrten und mehrfachen Pushbacks. Ihre Boote seien ohne | |
Einwilligung abgeschleppt und teilweise absichtlich beschädigt worden. | |
Einige seien allein auf See zurückgelassen worden. Bei Pushbacks an Land | |
seien sie geschlagen worden, ohne formelle Anklage festgehalten worden und | |
entwürdigenden Untersuchungen ausgesetzt gewesen. | |
Im November 2020 deckten Recherchen von ARD, Spiegel und Bellingcat auf, | |
dass auch die europäische Grenzpolizei Frontex an illegalen Pushbacks an | |
EU-Grenzen beteiligt ist. Frag den Staat veröffentlichte einige Monate | |
darauf interne Berichte, die die Pushbacks belegen. | |
Im September 2023 entschied der Europäische Gerichtshof [3][gegen die Klage | |
einer syrischen Familie]. Sie war 2016 nach Griechenland eingereist und | |
wollte dort Asyl beantragen. Wenige Tage später wurde sie von Frontex in | |
die Türkei geflogen. Die Richter wiesen die Klage zurück: Die Agentur | |
unterstütze die zuständigen EU-Staaten lediglich technisch und operativ. | |
Frontex selbst sei nicht dafür zuständig, zu entscheiden, wer einen | |
Schutzanspruch hat, beziehungsweise zu prüfen, ob dieser eingehalten wurde. | |
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. | |
20 Jan 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://eci.ec.europa.eu/032/public/#/screen/home | |
[2] https://www.msf.org/plain-sight-migration-policies-greek-sea-borders | |
[3] /EU-Urteil-zu-illegaler-Abschiebung/!5955306 | |
## AUTOREN | |
Johanna Treblin | |
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