# taz.de -- Georgiens gescheiterter Nato-Beitritt: Ein betrogenes Land | |
> Eine große Mehrheit Georgiens wünscht sich den Nato-Beitritt – aus Angst | |
> vor Russland. Dessen Präsident verhindert, dass es dazu kommt. | |
Bild: Gemeinsame Militärübung: Soldaten der USA und Georgiens in Tiflis im Ja… | |
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Russlands Präsident Wladimir Putin war in Aufruhr, als am 4. April 2008 der | |
Nato-Gipfel in Bukarest mit der Zusage endete, [2][Georgien und die | |
Ukraine] würden definitiv Mitglieder des Bündnisses werden. Putin nannte | |
das eine „direkte Bedrohung der Sicherheit Russlands“. Sollte die Ukraine | |
der Nato beitreten, würde sie als Staat aufhören zu existieren“, drohte | |
Putin im Gespräch mit seinem US-Amtskollegen Georges W. Bush wenig später. | |
Doch nicht nur Putin war verärgert. Georgien und die Ukraine bekamen nicht, | |
auf was sie gehofft hatten. [3][Auf Drängen von Frankreich und Deutschland] | |
wurde den beiden Staaten eine Aufnahme in den Nato-Aktionsplan verweigert. | |
Die Absage der Nato raubte Georgien jede Chance auf politische Freiheit. | |
Und Putin hatte verstanden, dass er anstelle Georgiens und der Ukraine | |
entscheiden konnte. | |
Heute, fast 14 Jahre später, bezeichnet der frühere Nato-Generalsekretär | |
Anders Fogh Rasmussen die Entscheidung von 2008 als „Fehler“. Man habe | |
„Putin ein falsches Signal gesendet“. In Georgien lässt sich kaum jemand | |
finden, der Rasmussen nicht Recht geben würde. Im August 2008 marschierten | |
russische Truppen in Georgien ein und stoppten erst 40 Kilometer vor der | |
Hauptstadt Tiflis. Sie sind bis heute dort. | |
Russland erkannte die beiden abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien | |
an und stationierte dort 8.000 Soldaten. Übrigens: Im Fall der | |
„Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk zitierte der Kreml dieses Dokument | |
fast Wort für Wort, nur das Datum und die Bezeichnung des Territoriums | |
wurden geändert. Auch der Vorwand für die Invasion war derselbe – ein | |
Genozid an der lokalen Bevölkerung. | |
Gegen Russland wurden keine Sanktionen verhängt. Der nächste Nato-Gipfel | |
fand im Dezember 2008 statt. Ein Nato-Aktionsplan für Georgien und die | |
Ukraine? Wieder Fehlanzeige. Dafür begann 2009 die sogenannte | |
Borderization. Russische Truppen verschoben die sogenannte Grenze zwischen | |
Südossetien und Georgien regelmäßig immer weiter ins Landesinnere von | |
Georgien hinein – ohne Rücksicht auf die ortsansässige Bevölkerung, die | |
ihre Häuser verlor. | |
Der Krieg um Südossetien war bereits der vierte in Georgien seit dem | |
Zusammenbruch der Sowjetunion 1991. In einem Land, in dem 3,7 Millionen | |
Menschen leben, ist jede*r dreizehnte Bewohner*in ein Flüchtling. Mit | |
der Demokratie in Georgien ging es sofort nach dem russischen Einmarsch | |
bergab. Der damalige [4][Präsident Michail Saakaschwili], der noch nach der | |
„Rosenrevolution“ bei der Wahl 2004 mehr als 90 Prozent der Stimmen | |
erhalten hatte, verwandelte sich in einen Autokraten. | |
Als wenig später an seine Stelle die Partei „Georgischer Traum“ des | |
[5][Oligarchen Bidsina Iwanischwili] trat, der in den 90er Jahren mit | |
Geschäften in Russland reich geworden war, verlangsamte sich die Annäherung | |
Georgiens an den Westen. Dass Georgien 2014 dennoch das | |
[6][Assoziierungsabkommen] mit der Europäischen Union unterzeichnete, war | |
Folge von Prozessen, die lange vorher in Gang gesetzt worden waren. | |
In all den Jahren hat Russland die politische Stabilität in Georgien | |
untergraben. Das stärkte die Bevölkerung in ihrem Glauben, die Nato sei die | |
einzige Chance, um die Sicherheit des Landes zu garantieren. Die Regierung | |
steht unter dem Druck der Bevölkerung, entschlossen zu handeln. Doch die | |
politischen Kreise in Georgien sind gespalten. | |
All dies überwacht eine Mission der Europäischen Union, die jedoch die | |
„Grenze“ nach Südossetien nicht überqueren darf. Gleichzeitig hat die | |
Regierung den Versuch nicht aufgegeben, sich die Nato-Mitgliedschaft zu | |
„erkaufen“. Georgische Truppen haben an der Nato-Mission in Afghanistan | |
teilgenommen. 22.000 georgische Soldaten waren dort über die Jahre im | |
Einsatz. 32 von ihnen wurden getötet. | |
## Deutschland lehnte Nato-Beitritt Georgiens ab | |
Nach dem Krieg 2008 hatte die Nato drei Generalsekretäre. Jeder von ihnen | |
wiederholte das Versprechen von 2008. Aber niemand hatte es eilig, | |
wenigstens ein ungefähres Datum zu nennen. Gleichzeitig ist seit 14 Jahren | |
die Zahl der Befürworter eines Nato-Beitritts nie unter die Marke von 70 | |
Prozent gefallen. Jedoch bietet sich der Bevölkerung ein paradoxes Bild: | |
Der Nato-Beitritt Georgiens war gerade wegen Russland notwendig, aber genau | |
deswegen wurde er nicht vollzogen. | |
Im Dezember 2021, während Russland seine Truppen an der Grenze zur Ukraine | |
zusammenzog, forderte Moskau die Nato auf, ihre Expansionspolitik | |
aufzugeben. Nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs wurden die | |
Georgier*innen von einem Gefühl der Solidarität, aber auch von einer | |
wahnsinnigen Angst ergriffen. Schließlich ist Russland der Ansicht, dass es | |
das Recht habe zu entscheiden, wie das ukrainische Volk weiterleben soll. | |
Was hält Moskau davon ab, das Gleiche in Georgien zu tun? | |
Andererseits sind viele Menschen in Georgien davon überzeugt, dass der | |
Krieg in der Ukraine und zahlreiche andere Probleme hätten vermieden werden | |
können, wenn Georgien Teil des nordatlantischen Bündnisses geworden wäre. | |
Die Frage der Aufnahme Georgiens und der Ukraine war bereits im April 2014 | |
nach der Annexion der Krim aktuell. Auch damals war Deutschland dagegen. | |
Anderthalb Jahre später flog der damalige Wirtschaftsminister Sigmar | |
Gabriel nach Moskau, um Putin zu versichern, dass der Bau der | |
[7][Gaspipeline Nord Stream 2] garantiert sei. Offiziell wurden Georgien | |
und die Ukraine nicht aufgenommen, da zuerst Reformen nötig seien. Doch auf | |
den Fluren klang das anders: bloß keine Konfrontation mit Russland. Der | |
russische Oppositionelle Boris Nemzow, der im Februar 2015 im Zentrum von | |
Moskau erschossen wurde, dachte anders darüber. „Putin“, sagte er, „will | |
einfach keine Demokratie an Russlands Grenzen.“ | |
24 Mar 2022 | |
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## AUTOREN | |
Sandro Gvindadze | |
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