# taz.de -- Russ:innen fliehen in den Kaukasus: Fluchtpunkt Armenien | |
> Viele russische Bürger:innen machen sich aus Furcht vor Festnahmen, | |
> der Einberufung und den Folgen westlicher Sanktionen in den Kaukasus auf. | |
Bild: Der Krieg zwingt Menschen aus Russland zur Migration | |
BERLIN taz | Immer mehr Russ:innen verlassen dieser Tage ihre Heimat | |
Richtung [1][Armenien]. „Hier scheint die Sonne. Und wir machen Urlaub“, | |
lautet die Antwort vieler, die sich aus Protest oder Angst vor ihrer | |
eigenen Regierung in der Südkaukasusrepublik verstecken, aber darüber nicht | |
offen reden wollen. Vor allem lassen sich junge Männer in Armenien nieder, | |
damit sie nicht zum Kampfeinsatz in die Ukraine geschickt werden. | |
„Ich wäre in Russland längst festgenommen worden, hätte ich mich nicht auf | |
dem Weg nach Armenien gemacht“, sagt eine Russin in einem Videobeitrag. In | |
Russland sei sie gegen den Krieg auf die Straße gegangen. Und habe Glück | |
gehabt, dass sie nun im „brüderlichen Armenien“ in Freiheit leben könne. | |
„Die Armenier:innen gehen mit uns gut um. Sie verstehen, dass wir | |
selber nein zu diesem Krieg sagen und deswegen Russland verlassen haben“, | |
sagt ein junges Paar gegenüber einem armenischen Fernsehteam. | |
Seit einigen Tagen landen täglich mehr als 30 Flüge aus verschiedenen | |
Städten Russlands auf dem Flughafen der Hauptstadt Jerewan. Viele Hotels | |
sind ausgebucht. Es ist fast unmöglich, eine Wohnung zu mieten. | |
Russ:innen suchen auch in anderen Städten Armeniens Unterkünfte. | |
## Hilfe für die Geflüchteten | |
Die armenische Regierung macht keinen Angaben zu den Neuankömmlingen. Doch | |
sie reicht den Russ:innen die Hand. Viele russische Geschäftsleute | |
fliehen aus ihrer Heimat, um westlichen Sanktionen zu entkommen. Die | |
armenische Regierung fördert Umzüge russischer Unternehmen nach Armenien, | |
vor allem aus dem IT-Branche. | |
Das Wirtschaftsministerium hat jetzt einen Leitfaden für russische | |
Unternehmen veröffentlicht, die nach Armenien umsiedeln möchten. Darin wird | |
alles erklärt: von der Registrierung eines Unternehmens über die Anmietung | |
einer Wohnung bis hin zur Mitnahme von Haustieren über die Grenze. Das | |
Ministerium hat auch eine extra Arbeitsgruppe für die Unternehmen | |
gegründet. Einige dutzend russische Unternehmen haben bereits ihre | |
Geschäfte nach Armenien verlegt. | |
Die ehemalige Sowjetrepublik ist stark von Russland abhängig. Armenien ist | |
Mitglied in dem von Moskau geführten Militärbündnis der Organisation des | |
Vertrags über kollektive Sicherheit. Die einzige russische Militärbasis mit | |
etwa 5.000 Soldaten im Südkaukasus befindet sich in Gjumri, der | |
zweitgrößten Stadt Armeniens. Zudem ist Russland seit dem Ende des Krieges | |
zwischen Armenien und Aserbaidschan 2020 [2][Schutzmacht] in Bergkarabach. | |
2.000 Soldaten sollen die Frieden in dem Kampfgebiet zwischen den beiden | |
verfeindeten Staaten sichern. | |
Darüber hinaus ist Armenien auch Mitglied der Eurasischen Wirtschaftsunion | |
([3][EAWU]), die von Moskau dominiert ist. Zu den wichtigsten westlichen | |
Sanktionen gegen Russland gehören Einschränkungen für das Bankwesen, was | |
den Handel mit dem Ausland stark erschwert. Auch in diesem Fall ist | |
Armenien im Vorteil. | |
Russland hat kürzlich strenge Beschränkungen für Geldüberweisungen ins | |
Ausland eingeführt. Ein Telegrammkanal, der mit dem armenischen | |
Wirtschaftsministerium verbunden ist, hat Ratschläge veröffentlicht, wie | |
man Geld in Kryptowährung nach Armenien überweisen kann. | |
Doch das könnte Problem mit sich bringen. So berichtet die unabhängige | |
Nachrichtenagentur [4][eurasianet.org], dass armenische Banken gegenüber | |
russischen Bürger:innen vorsichtig seien. „Das könnte mit den Sanktionen | |
zusammenhängen“, zitiert eurasianet.org eine Quelle aus dem Bankensektor, | |
die anonym bleiben will. „Das heißt, die Banken haben Angst, zu einem Kanal | |
für den Zu- oder Abfluss von sanktioniertem Kapital zu werden, was auch | |
ihnen Sanktionen einbringen kann.“ | |
Sanktionen gegen Russland sofort in Armenien immer sofort spürbar – vor | |
allem, wenn der Rubel fällt. Armenien ist nicht nur politisch, sondern auch | |
wirtschaftlich stark von Russland abhängig. Etwa 80 Prozent der armenischen | |
Energieversorgung sowie die Eisenbahn, viele Banken und | |
Versicherungsunternehmen befinden sich in russischer Hand. Moskau ist | |
Armeniens wichtigster Handelspartner. Sowohl beim Import als auch beim | |
Export steht Russland an erster Stelle. 2021 betrug der Anteil Russlands an | |
den Exporten Armeniens 28 Prozent und an den Importen 33,3 Prozent. | |
Die Preise für Lebensmittel sind in Armenien bereits stark gestiegen. Doch | |
für die Russ*innen ist das Leben in Jerewan günstiger, als in Moskau, | |
Wladiwostok oder Rostow am Don. Wie lange sie im Südkaukasus bleiben | |
werden, wissen viele von ihnen noch nicht. „Wenn Russland von diesen Irren | |
befreit wird“, antwortet ein Mann einem Journalisten vor der Kamera. | |
Anscheinend werden einige von ihnen für immer „Urlaub“ in Armenien machen. | |
24 Mar 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Eskalation-im-Suedkaukasus/!5816304 | |
[2] /Russische-Grossmachtansprueche/!5812538 | |
[3] http://eawu.news/ | |
[4] http://eurasianet.org | |
## AUTOREN | |
Tigran Petrosyan | |
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