# taz.de -- Proteste in Georgien: „Freiheit für Saakaschwili!“ | |
> Tausende Georgier*innen gehen für den inhaftierten früheren | |
> Präsidenten auf die Straße. Der ist seit knapp zwei Wochen im | |
> Hungerstreik. | |
Bild: „Free Misha“ steht auf Plakaten, mit denen Menschen in Georgien auf d… | |
BERLIN taz | Unter Rufen wie „Freiheit für Mischa!“ haben am | |
Donnerstagabend tausende Menschen bei einer Kundgebung im Zentrum der | |
georgischen Hauptstadt Tiflis die Freilassung des früheren | |
Staatspräsidenten Michail Saakaschwili gefordert. Zu den Protesten | |
aufgerufen hatte die größte Oppositionspartei Vereinte Nationale Bewegung | |
(ENM), die Saakaschwili 2001 gegründet hatte. | |
Aktivist*innen der Regierungspartei „Georgischer Traum“ versuchten, den | |
Demonstrationszug zu stoppen. Einige hielten Besen in den Händen – eine | |
Anspielung auf einen Skandal, der bei vielen Georgier*innen zu einem | |
negativen Symbol für Saakaschwilis Präsidentschaft schlechthin geworden | |
ist. | |
2012, dem Jahr der Niederlage der ENM bei der Parlamentswahl im Herbst und | |
des Rückzugs von Saakschwili, waren Videos von wahren Folterexessen in | |
Gefängnissen öffentlich geworden. Zu den Marterwerkzeugen hatten auch Besen | |
gehört. | |
Der Direktor des führenden oppositionellen TV-Senders Mtavari TV verlas am | |
Donnerstag von einem Podest eine Grußadresse Saakaschwilis aus dem | |
Gefängnis. „Wenn wir ein zivilisiertes Land wollen, brauchen wir Versöhnung | |
und die Zurückweisung von Rache“, hieß es darin. | |
## Polarisieren statt versöhnen | |
Dass ausgerechnet Saakaschwili jetzt von Versöhnung spricht, mutet | |
merkwürdig an, ist er bislang doch eher als Polarisierer in Erscheinung | |
getreten. 2003 war der heute 53-Jährige im Zuge der sogenannten | |
Rosenrevolution an die Macht gekommen. Nach der Wahlniederlage der ENM 2012 | |
ging er in die Ukraine und wurde nach Annahme der ukrainischen | |
Staatsbürgerschaft 2015 Gouverneur von Odessa, überwarf sich in der Folge | |
jedoch mit dem damaligen ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko, der | |
ihm 2017 die ukrainische Staatsbürgerschaft wieder entziehen ließ. Zwei | |
Jahre später machte Poroschenkos Nachfolger Wolodimir Selenski diese | |
Entscheidung rückgängig. | |
Bereits am 28. Juni 2018 hatte ein georgisches Gericht Saakaschwili in | |
Abwesenheit zu sechs Jahren Haft verurteilt. Unter anderem wird er des | |
Machtmissbrauchs, der Unterschlagung öffentlicher Gelder sowie der | |
gewalttätigen Auflösung einer Demonstration im April 2007 beschuldigt. | |
Zudem soll er für einen Überfall auf einen georgischen Abgeordneten im Jahr | |
2005 verantwortlich sein. Seit dem Urteil wurde Saakaschwili in Georgien | |
mit einem Haftbefehl gesucht. | |
Doch auch aus der Ferne zog Saakaschwili in der ENM weiter die Fäden und | |
mobilisierte nach Leibeskräften für Protestaktionen gegen die | |
Regierungspartei „Georgischer Traum“. So auch im Herbst vergangenen Jahres, | |
als die bei der Parlamentswahl erneut unterlegene Opposition gegen das | |
„gefälschte“ Ergebnis auf die Straße ging und wochenlang die | |
Parlamentsarbeit boykottierte. | |
Vor zwei Wochen und damit unmittelbar vor der ersten Runde der | |
[1][Kommunalwahl am 2. Oktober] meldete sich Saakaschwili, der seinen | |
Heimatbesuch zwecks Unterstützung der Opposition zuvor auf Facebook | |
angekündigt hatte, mit mehreren Videobotschaften aus der georgischen | |
Hafenstadt Batumi zu Wort. [2][Kurz darauf wurde er festgenommen] und sitzt | |
derzeit in einem Gefängnis in Rustavi ein. | |
## 13 Kilo verloren | |
Seit Haftbeginn ist Saakaschwili im Hungerstreik und soll bereits 13 Kilo | |
an Gewicht verloren haben. Vor wenigen Tagen warnte sein behandelnder Arzt, | |
der Gefangene sei in einem schlechten Zustand und könne langfristige | |
gesundheitliche Schäden davontragen. Diese Einschätzung quittierte | |
Regierungschef Irakli Garibaschwili mit der Äußerung, Saakaschwili ziehe | |
eine Show ab und habe heimlich sieben Gläser Honig zu sich genommen. | |
Gleichzeitig befeuerte er Mutmaßungen, das Verfahren gegen Saakschwili sei | |
vor allem politisch und durch Rachegelüste motiviert. Man könne auch noch | |
weitere Anklagepunkte gegen den früheren Staatschef einbringen, sollte der | |
sich nicht benehmen, sagte Garibaschwili. | |
Doch diese Drohung scheint den Häftling nicht zu beeindrucken. Er ruft | |
weiterhin dazu auf, bei der zweiten Runde der Kommunalwahl am 30. Oktober | |
die Vertreter*innen der Opposition zu unterstützen. Eine Stichwahl für | |
den Bürgermeister*innenposten wird unter anderem in fünf selbst | |
verwalteten Städten fällig – darunter auch in der Hauptstadt Tiflis. Die | |
Chancen für einen Sieg der Opposition stehen nicht schlecht. Sollte dieser | |
Fall eintreten, dürfte dies die politische Situation noch mehr | |
destabilisieren. | |
Saakaschwili zu begnadigen oder an die Ukraine zu überstellen könnte Druck | |
von der Regierung nehmen, Saakaschwilis härteste Kritiker*innen in | |
Georgien jedoch gegen die Machthaber aufbringen, zitiert das Onlineportal | |
eurasianet.org die Direktorin des Tifliser Thinktanks „Georgisches Institut | |
für Politik“, Kornely Kakachai. „Saakaschwili ist eine heiße Kartoffel in | |
den Händen der Regierung. Ein Ausweg aus dieser Situation wird nicht leicht | |
sein.“ Für die kommenden Tage hat die Opposition weitere Proteste | |
angekündigt. | |
15 Oct 2021 | |
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## AUTOREN | |
Barbara Oertel | |
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