# taz.de -- Georgiens Ex-Präsident festgenommen: Gerade angekommen, schon im K… | |
> Michael Saakaschwili wird in Georgien festgenommen. Er wurde dort per | |
> Haftbefehl gesucht. Das dürfte die Lage kurz vor der Kommunalwahl | |
> verschärfen. | |
Bild: Heimlich zurückgekehrt? Der georgische Ex-Präsident Saakaschwili, hier … | |
BERLIN taz | Es war ein Show down mit Ankündigung: Am Freitag abend ist der | |
frühere Präsident Georgiens, Michail Saakaschwili, in der Kaukasusrepublik | |
von Spezialkräften festgenommen worden. Das teilte Regierungschef Irakli | |
Garibaschwili mit. Genauere Angaben zu den näheren Umständen und dem Ort | |
der Festnahme machte er zunächst nicht. | |
Seit Freitag morgen hatte es zahlreiche Spekulationen gegeben, ob | |
Saakaschwili nach achtjähriger Abwesenheit tatsächlich erstmals wieder in | |
seine frühere Heimat zurückgekehrt sei. Sein Kommen hatte er bereits vor | |
einigen Tagen auf seiner Facebookseite angekündigt, nebst Screenshot eines | |
Flugtickets von Kiew nach Tiflis für den 2. Oktober. | |
Dazu hieß es: „Jetzt wird über das Schicksal Georgiens entschieden, | |
Georgiens Überleben steht auf dem Spiel. Daher habe ich für den Abend des | |
2. Oktober ein Ticket gekauft, damit ich bei Euch sein, Euren politischen | |
Willen schützen und mich daran beteiligen kann, Georgien zu retten.“ Am | |
Freitagmorgen tauchten dann in den sozialen Netzwerken zwei Videos von | |
mäßiger Qualität auf, die angeblich Saakaschwili in der georgischen | |
Hafenstadt Batumi zeigten. Dazu, wie er eingereist sei, sagte der | |
Ex-Präsident nichts. | |
Das georgische Innenministerium teilte mit, keine Informationen darüber zu | |
haben, ob Saakaschwili die Grenze nach Georgien überquert habe. Sollte das | |
der Fall sein, werde er umgehend festgenommen, hieß es in der Erklärung | |
weiter. An diesem Informationsstand änderte sich den ganzen Tag über | |
nichts. | |
Der 53-jährige Saakaschwili gilt als Enfant terrible der Politik | |
schlechthin. 2003 war er im Zuge der sogenannten Rosenrevolution in | |
Georgien an die Macht gekommen. Bei der Parlamentswahl 2012 verlor seine | |
Partei Vereinte Nationale Bewegung (ENM) gegen die Partei Georgischer | |
Traum, die bis heute an der Macht ist. | |
## Gouverneur in der Ukraine | |
Saakaschwili verließ Georgien und ging in die Ukraine. Dort wurde er nach | |
Annahme der ukrainischen Staatsbürgerschaft 2015 Gouverneur von Odessa, | |
überwarf sich in der Folge jedoch mit dem damaligen ukrainischen | |
Präsidenten Petro Poroschenko, der ihm 2017 die ukrainische | |
Staatsbürgerschaft wieder entziehen ließ. Zwei Jahre später machte | |
Poroschenkos Nachfolger Wolodimir Selenski diese Entscheidung rückgängig. | |
Bereits am 28. Juni 2018 hatte ein georgisches Gericht Saakaschwili in | |
Abwesenheit zu sechs Jahren Haft verurteilt. Unter anderem wird er des | |
Machtmissbrauchs, der Unterschlagung öffentlicher Gelder sowie der | |
gewalttätigen Auflösung einer Demonstration im April 2007 beschuldigt. | |
Zudem soll er für einen brutalen Überfall auf einen georgischen | |
Abgeordneten im Jahr 2005 verantwortlich sein. | |
Dass Saakaschwili, der trotz Exil nach wie vor in seiner Partei ENM kräftig | |
mitmischt, ausgerechnet jetzt Georgien seine Aufwartung macht, ist alles | |
andere als zufällig. An diesem Samstag finden dort Kommunalwahlen statt. | |
Dabei geht es um wesentlich mehr als nur um die Besetzung von | |
Bürgermeisterposten und Gemeindeverwaltungen. | |
Vielmehr stilisieren die Oppositionsparteien die bevorstehende Abstimmung | |
zu einem Referendum über die amtierende Regierung. Und Expert*innen | |
warnen davor, dass die Wahl, je nach Ausgang, die Südkaukasusrepublik in | |
noch tiefere Turbulenzen stürzen könnte. | |
## Im Krisenmodus | |
Denn Georgien befindet sich bereits seit dem Oktober vergangenen Jahres im | |
Krisenmodus. Bei der Parlamentswahl am 31. Oktober 2020 ging der Georgische | |
Traum ungeachtet einer Wahlrechtsreform zugunsten kleinerer Parteien erneut | |
als Sieger vom Platz. Die Opposition witterte massiven Wahlbetrug, | |
boykottierte die Parlamentsarbeit und flankierte ihren Protest mit | |
Demonstrationen. Die Forderung lautete: Neuwahlen. | |
Erst unter maßgeblicher Mitwirkung der internationalen Gemeinschaft, allen | |
voran der des Präsidenten des Europäischen Rates Charles Michel, kam eine | |
Art Burgfrieden in Form eines Dokuments zustande. Dieses sah unter anderem | |
Neuwahlen vor, sollte der Georgische Traum bei der Kommunalwahl weniger als | |
43 Prozent der Stimmen erhalten. | |
Kurz darauf stieg der Georgische Traum wieder aus der Vereinbarung aus und | |
düpierte damit auch die westeuropäischen Verhandlungspartner. Jetzt lautet | |
die Ansage der Regierungspartei: Egal, wie das Ergebnis ausfällt – | |
vorgezogene Neuwahlen werden nicht stattfinden. Die Opposition vertritt | |
hingegen die Ansicht, dass ein Ergebnis unter 43 Prozent die Legitimität | |
der Parlamentsmehrheit des Georgischen Traums infrage stelle. | |
Der muss sich in der Tat Sorgen machen. Eine Umfrage des Instituts Edison | |
Research vom September sieht die Regierungspartei bei 36 und die ENM bei 27 | |
Prozent der Stimmen. Auf den dritten Platz kommt die neue Partei Für | |
Georgien des ehemaligen Regierungschefs Giorgi Gacharia. Er zeichnet als | |
ehemaliger Innenminister im Jahre 2019 für ein brutales Vorgehen von | |
Polizeikräften gegen Demonstrierende mit mehren, teils schwer, Verletzten | |
verantwortlich. | |
## Jagd auf LGBTQ-Menschen | |
Für zusätzliche Spannungen sorgten im vergangenen Juli auch mehrere | |
Ereignisse rund um die Organisation einer LGBTQ-Pride in Tiflis. Sekundiert | |
von der Orthodoxen Kirche machte ein rechter Mob Jagd auf LGBTQ-Menschen | |
und auch vor Journalist*innen nicht halt. Über 50 | |
Medienvertreter*innen wurden angegriffen. [1][Ein Kameramann erlag | |
einige Tage später seinen schweren Verletzungen]. Die Regierung entblödete | |
sich nicht, der LGBTQ-Community indirekt die Schuld an der Eskalation zu | |
geben. | |
Zu der weit verbreiteten Unzufriedenheit der Bevölkerung tragen auch | |
desolate Zahlen in Sachen Corona bei. Mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von | |
275 und einer Quote von gerade einmal 20 Prozent vollständig Geimpfter | |
(Stand 1. Oktober) hat Georgien bereits mit der vierten Welle zu kämpfen. | |
Wie vergiftet das politische Klima derzeit ist, zeigt auch die | |
Wahlkampagne, bei der vor allem der Georgische Traum mit übelsten | |
Verunglimpfungen seiner Konkurrent*innen arbeitet. So sind | |
beispielsweise in Tiflis flächendeckend führende Köpfe der Opposition – | |
darunter auch Michail Saakaschwili – umgeben von Blutspuren plakatiert. Der | |
Text darunter lautet: Nein zu Faschisten! Nein zu dem Bösen! Nein zu | |
Verrat!“ | |
Mit besonders harten Bandagen wird auch um das Amt des Bürgermeisters in | |
Tiflis gekämpft, den die Bürger*innen direkt wählen. Laut jüngsten | |
Umfragen liegt der Vertreter des Georgischen Traums, Kakha Kaladze, mit 43 | |
Prozent vor [2][dem ENM-Kandidaten Nika Melia (30 Prozent)]. Als Dritter | |
wird Giorgi Gacharia (12 Prozent) gehandelt. Bliebe es dabei, würde eine | |
Stichwahl zwischen den beiden Bestplazierten fällig. | |
Für die passende Begleitmusik zu der Abstimmung sorgte auch Michail | |
Saakaschwili in seinen Videos. Ein Votum für den Georgischen Traum käme | |
einer Todesstrafe für Georgien gleich. Daher sollten alle wählen gehen. Er | |
selber werden am 2. Oktober in einem Wahllokal für die ENM seine Stimme | |
abgeben. Und bereits etwas voraus chauend für den Tag nach der Wahl: „Wir | |
müssen den Rustaveli-Boulevard (Hauptstraße in Tiflis, Anm. d. Red.) und | |
den Freiheitsplatz füllen. Wenn wir mehr als 100.000 Menschen sein werden, | |
wird niemand uns besiegen können. Bis bald in Tiflis.“ | |
1 Oct 2021 | |
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## AUTOREN | |
Barbara Oertel | |
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