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# taz.de -- Gewalt gegen Queers in Georgien: Der pure Hass
> In Tiflis wurde die Pride Parade abgesagt, weil es zu Übergriffen von
> Rechten gekommen war. Unterstützung erhalten sie von Kirche und
> Regierung.
Bild: Rechte Demonstranten verbrennen eine Regenbogenfahne in Tiflis
Stell dir vor, es ist Gay Pride und keiner geht hin, weil die
Veranstalter*innen die Kundgebung dann doch noch in allerletzter
Minute abblasen. So geschehen an diesem Montag in Tiflis. Die georgische
Hauptstadt ist bereits am Vormittag im Ausnahmezustand. Das, was sich dort
in den nächsten Stunden ereignen wird, ist eine Zurschaustellung puren
Hasses.
Zentrale Plätze wie die U-Bahn-Station am Rustaveli-Boulevard und ein Platz
vor der Kaschvetikathedrale in der Nähe des Parlamentsgebäudes werden vom
rechten Mob schon frühzeitig in Beschlag genommen. Zelte, die
Regierungsgegner*innen vor dem Parlament aufgeschlagen haben, werden
verwüstet und eine EU-Flagge wird heruntergerissen. Auf die Büros zweier
Nichtregierungsorganisationen fliegen Brandsätze. 55 Menschen werden
angegriffen und verletzt, darunter 52 (!) Journalist*innen. Ein polnischer
Tourist wird Opfer eines Messerangriffs, weil er „schwul“ ausgesehen habe.
Mehrmals verändern die Organisator*innen der Pride-Parade ihre
Marschroute, doch die selbst ernannten prügelnden Moralapostel sind immer
schon vorher an Ort und Stelle. Das legt den Schluss nahe, dass die
Gegendemonstrant*innen mit den staatlichen Sicherheitsbehörden wohl
ständig auf dem kurzen Dienstweg kommunizierten. Und die Polizei? Verfährt
nach der bekannten Devise: Mal sehen und abwarten. Schließlich nimmt sie
acht Personen fest – wegen Ordnungswidrigkeiten und in einem Fall wegen
versuchten Mordes. Immerhin.
Diese Eskalation war absehbar. Denn wann immer Vertreter*innen der
LGBTQ-Community öffentlich für ihre Rechte eintreten, kommt es in Tiflis zu
Gewaltausbrüchen. Auch bei manchen moderateren Geistern scheinen die
Synapsen im Gehirn, so überhaupt vorhanden, außer Kontrolle zu geraten.
## Kirche in der ersten Reihe
Bereits am 17. Mai 2018, am Internationalen Tag gegen Homophobie, hatte die
LGBTQ-Community aus Angst vor rechten Übergriffen einen Marsch abgesagt und
sich stattdessen mit kleinen Kundgebungen vor Regierungsgebäuden
zufriedengegeben. Im darauffolgenden Jahr fielen nach einschlägigen
Drohungen von rechts größere Veranstaltungen sowohl am 17. Mai als auch die
Pride am 8. Juli erneut aus.
Wie desaströs die Lage von Angehörigen sexueller Minderheiten auch im
Alltag ist, zeigte der Fall von Madona Kiparoidze. Am 30. April 2020
zündete sich die trans Frau vor dem Tifliser Rathaus an, um auf ihre
verzweifelte Lage, die sich durch die Coronakrise noch verschärft hatte,
aufmerksam zu machen. Doch auch dieses ultimative Fanal verhallte bei den
Verantwortlichen ungehört.
Beim Kampf gegen dekadente Umtriebe aus dem Westen und zum Schutz der
„heiligen Familie“ marschiert immer wieder die orthodoxe Kirche in der
ersten Reihe mit. Manchmal legen Priester auch selbst Hand an, wenn es denn
der Wahrheitsfindung dient.
## Hoffnung auf EU-Mitgliedschaft
Das ist auch am vergangenen Montag wieder so. Ein Priester ist an einem
Angriff auf einen Journalisten beteiligt. Ein Dekan predigt der Menge vor
dem Parlament, man habe Gewalt anwenden müssen – für das Vaterland. Den
ganzen Tag über ruft das Patriarchat die Protestierenden dazu auf, Ruhe zu
bewahren – was einer gewissen Chuzpe nicht entbehrt, da die Kirche die
Gewalt selbst mit befeuert hat. Und Bischof Shio Mujiri, immerhin
Übergangspatriarch im Falle des Ablebens des Amtsinhabers, fordert, die
Verunglimpfung der Religion und nationaler Gefühle unter Strafe zu stellen.
Von der orthodoxen Kirche, Bollwerk des Konservatismus schlechthin, ist
nichts anderes zu erwarten. Wohl aber von der Regierung. Doch die setzt
noch einen drauf. Regierungschef Irakli Gharibaschwili lässt wissen, dass
die Abhaltung einer Pride nicht angemessen sei und zu mehr Konfrontation
führen werde. Und überhaupt: Hinter der Aktion stecke die „radikale
Opposition“ von Ex-Präsident Michail Saakaschwili, die einen Aufstand
anzetteln wolle.
Statt Minderheitenrechte zu verteidigen und zu schützen, wird der
gnadenlose politische Kampf auch noch auf dem Rücken der LGBTQ-Community
ausgetragen. Nebenbei bemerkt: Georgien macht sich nach wie vor Hoffnungen
auf eine Mitgliedschaft in der EU, doch eine ernst zu nehmende Bewerbung
dafür müsste wohl anders aussehen.
## Missachtung von Menschenrechten
Doch es kommt das, was immer kommt. 18 westliche Botschaften kritisieren
die Kirche und die Regierung dafür, die Gewalt nicht verurteilt zu haben.
Auch die EU-Delegation in Georgien und die EU Monitoring Mission schließen
sich dieser öffentlichen Erklärung an. Das war’s, aber schön, dass wieder
einmal darüber gesprochen wurde.
Dabei müsste die EU doch längst gelernt haben, was es heißt, wenn
Regierungen in nächster Nachbarschaft Grund- und Menschenrechte mit Füßen
treten – siehe Polen und Ungarn. Noch mehr davon kann wahrlich niemand
ernsthaft wollen.
6 Jul 2021
## AUTOREN
Barbara Oertel
## TAGS
Pride Parade
Georgien
Schwerpunkt LGBTQIA
IG
Michail Saakaschwili
Orthodoxie
Ungarn
Schwerpunkt LGBTQIA
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Kolumne Unisex
Georgien
Russland
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