| # taz.de -- Regenbogen versus Reichkriegsflagge: Farben bekennen | |
| > Die Zustimmung für die queere Community wächst, und gleichzeitig sinkt | |
| > die Hemmschwelle zur Hetze. Der Regenbogen darf nicht überschattet | |
| > werden. | |
| Bild: Bunt soll es sein | |
| Was ist das denn für eine Flagge?“, wollte die Greisin im Sonntagsstaat | |
| wissen, ziemlich skeptisch dreinschauend. „Ja, was tragense denn da aufm | |
| Rücken? Thailand? Nee, ne? Oder?“ | |
| „Es ist genau genommen die Transgenderflagge“, antwortete ich, ein Lächeln | |
| zustande bringend, das irgendwo auf der Skala zwischen munter und müde | |
| rangierte. „Transgender, meine Dame. Schauen Sie, die hellblauen Streifen | |
| ganz oben spielen auf die traditionelle Farbe für Jungs an. Und diese | |
| beiden Streifen im hellen Rosa stehen für das Mädchenhafte. Ja, Pink. Und | |
| dann in der Mitte gibt es den weißen Balken für jene Menschen, die | |
| nichtbinär sind. Das heißt, sie wollen sich keinem Geschlecht zuordnen.“ | |
| „Und wo soll das hinführen?“, fragte die alte Frau achselzuckend. Und ohne | |
| auf eine Antwort zu warten: „Früher gab’s Männlein und Weiblein. Fertig. | |
| Heutzutage gibt’s Farben für jede Abart. Seiense mir nicht böse, aber so | |
| machense sich zur Zielscheibe. Es ist mir egal, wer mit wem in die Kiste | |
| geht, wissense? Aber diese Zurschaustellung ist mir, ehrlich gesagt, zu | |
| bunt.“ | |
| Währenddessen befanden wir uns ausgerechnet vor dem LGBTQ-Denkmal am | |
| Magnus-Hirschfeld-Ufer. Ich hatte gerade ein Fotoshooting hinter mich | |
| gebracht. Die Crew, die am Abbauen war, reagierte auf die Frau mit | |
| Augenzwinkern und Kopfschütteln. Wir kennen solche Begegnungen, Stichwort | |
| Mikroaggressionen, allzu gut. Auch und gerade im Herzen Berlins. Ich lud | |
| die olle Störenfrieda ein, ein bisschen näher heranzutreten, damit sie die | |
| zwei Gedenktafeln, die von Aufbruch und Ausgrenzung erzählen, lesen könnte. | |
| Wortlos lehnte sie das ab. Sie zog fort, und sie zog dabei die bösen Blicke | |
| einiger Passant*innen auf sich. | |
| In der Gesellschaft insgesamt, von den Eigentoren der Uefa mal abgesehen, | |
| wächst eigentlich die Zustimmung für die queere Community. Doch bei | |
| denjenigen, die uns partout nicht wohlgesinnt sind, sinkt die Hemmschwelle | |
| zur Hetze. Ihre Töne werden rabiater. Die salopp artikulierten Antipathien | |
| der Greisin sind milde im Vergleich dazu. Neben dem Gegeifer sind wir auch | |
| der Gewalt regelmäßig ausgesetzt. Aber wir dürfen uns nicht mit den uns | |
| zugeteilten Zufluchtsstätten begnügen. Nein, es obliegt uns, unsere Safe | |
| Spaces zu definieren, zu verteidigen und nach allen Seiten hin auszudehnen. | |
| In diesem Sinne brachte ich jüngst mein neues Lied „Be Loud, Be Proud“ üb… | |
| die Bühne, und im Zuge dessen hatte ich das Vergnügen, Pridevideos für ein | |
| internationales Modehaus und für ein Projekt der grünen Politikerin | |
| Aminata Touré, Vizepräsidentin des schleswig-holsteinischen Landtags, zu | |
| drehen. | |
| Kurz darauf kam ein Anruf aus dem Bundestag. Dank Ulle Schauws, MdB und | |
| Fraktionssprecherin für Queerpolitik bei Bündnis 90/Die Grünen, wurde | |
| meiner Wenigkeit die Ehre zuteil, beim [1][Parlamentarischen | |
| Regenbogenabend] als Talkgästin aufzutreten: zwischen Anton Hofreiter, | |
| Claudia Roth, Rachel Levine (trans* Frau und Staatssekretärin im | |
| US-Gesundheitsministerium) und anderen. Alles während der Hitzewelle und | |
| wenige Wochen vor der heißen Phase eines längst brodelnden Wahlkampfes. | |
| Wegen Corona fand die hochkarätige, hybride Veranstaltung jedoch nicht | |
| unter der Glaskuppel statt, sondern unter freiem Himmel, und zwar unter dem | |
| Titel „Queerbeet im Schrebergarten“. Beim Livestream standen wir wahrhaftig | |
| auf dem Beet in der Kolonie Fröhliche Eintracht e. V. in | |
| Tempelhof-Schöneberg. | |
| Allerdings waren wir nicht allein auf weiter Flur. Als wir die | |
| Regenbogenfahne hissten, wehte keine 50 Meter weiter bereits eine ganz | |
| andere Flagge – die Reichskriegsflagge. Man musste gleichsam kein Adlerauge | |
| haben, um das längliche, schwarz-weiß-rote Rechteck mit dem Eisernen Kreuz | |
| zu erkennen. Widerstandssymbolik der besorgten Bürger*innen. Klar, | |
| Schrebergärten standen nolens volens immer in dem Ruf, Sümpfe des | |
| Spießertums zu sein. Aber auf solchen Parzellen findet der | |
| Rechtsextremismus in letzter Zeit stetig zunehmend fruchtbaren Boden. | |
| Gerade deshalb waren wir nicht fehl am Platz, sondern genau an der | |
| richtigen Stelle. Der Regenbogen darf nicht überschattet werden. | |
| Es ist wichtig, dass wir alle vielmehr zu Standartenträger*innen der | |
| Vielfalt werden. Wir müssen, schlicht und ergreifend, den brach liegenden | |
| Kartoffelacker in einen kunterbunten Garten verwandeln. In keinen | |
| Irrgarten, sondern einen Wir-Garten. Wir zusammen, demokratisch gesinnte | |
| Menschen jeglicher Couleur. Und das Fundament muss die tiefe Verwurzelung | |
| freiheitlicher Gedanken zulassen. | |
| 11 Jul 2021 | |
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| [1] https://www.youtube.com/watch?v=0J7G2Wn2LzU | |
| ## AUTOREN | |
| Michaela Dudley | |
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