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# taz.de -- Frau ohne Menstruationshintergrund: Eine Nummer zu arabisch
> Lieber wollen die Leute ihre Kinder aus der Schule nehmen, als sie mit
> arabischen Ziffern Mathe lernen lassen, erfährt Kolumnistin Michaela
> Dudley.
Bild: „Gute Nacht, Deutschland!“: Arabische Ziffern sind seit dem 15. Jahrh…
„Wären Sie mit der Einführung der arabischen Zahlschrift in den deutschen
Schreibgebrauch einverstanden?“, wollte ich neulich wissen. Ähnliche Fragen
hatte ich im Vorfeld eines kommenden Buches schon mal gestellt. Zwischen
Hamburg und Heidelberg wurden damit interessante, teilweise erbaulich
inspirierende Gespräche über Inklusion entfacht. Vor anderthalb Wochen
entschied ich mich, die Forschungen hier in der Hauptstadt der Bunten
Republik fortzusetzen.
Berliner schimpfen sich als tolerant, Berliner schimpfen über die Toleranz,
Berliner schimpfen halt. Und zwar ohne Halt. So war ich auf die Reaktionen
gespannt. Dabei trat ich weder in Kreuzberg noch in Köpenick auf, sondern
mittendrin.
Ich stand an der [1][Weltzeituhr] am Alexanderplatz. Die metallene
Rotunde, die mit den Namen von fast 150 Städten aus aller Herren Länder
versehen ist, schien ein idealer Ort für die kleine Erhebung zu sein. Das
Datum wirkte ebenfalls geeignet. Es war ein Sonntag. Zudem war es der
[2][Tag der offenen Moscheen]. Nicht zuletzt war es der dritte Oktober. Und
dementsprechend wurde meine Frage, gewissermaßen einheitlich, ziemlich
herbstlich in Empfang genommen.
„Häh, arabische Zahlschrift? Na, wat meenen Se woll?“ Der Kerl, so Ende
dreißig, sah mich stirnrunzelnd an. „Sollten hierzulande arabische Ziffern
Verwendung finden?“, hakte ich nach. „Wären Sie dafür, dass arabische
Ziffern im Grundschulunterricht –?“ Mit dem Mittelfinger zeigt er mir eine
„1“ und verriet damit womöglich seinen IQ.
„Um Gottes willen!“, echauffiert sich eine junge Mutter einige Minuten
später. „Nein, sie sollen das Rechnen auf Deutsch lernen, wie unsere Kinder
es tun. Pisa könnten wir uns ansonsten abschminken. Das wird aber eh nicht
gehen. Nicht ohne Volksbegehren, und kein Mensch stimmt dafür. Man soll
sich an der Schweiz ein Beispiel nehmen. Sorry, aber ich erziehe keine
Islamwissenschaftler. Meine Jungs hole ich aus der Schule, wenn man mit dem
Unfug anfängt.“
„Wir sind doch in Deutschland! Noch!“, ermahnte ein Mann in Schiffermütze.
„Im eigenen Land wird man so schäbig behandelt. Erst diese Scheißmasken.
Dann kommt man an mit den Sternchen, mit der ganzen Gender-Gaga. Nee, aber
echt. Anfangs sollen’s nur Nummern sein, wa, aber irgendwann mal kommen die
Kinder mit dem Koran nach Hause. Wir werden verarscht. Ich meine, diese
Saudis, die ganzen Scheichs, die schwimmen in Öl. Die kaufen uns die Waffen
ab und schicken uns ihre Armen zur Rundumversorgung. Ihr wollt uns
verdrängen, wa?“
„Ähm, eigentlich bin ich weder arabisch noch muslimisch“, sagte ich.
„Sondern katholisch getauft. Römische Ziffern beherrsche ich also ganz gut.
Aber sie sind etwas sperrig, nicht wahr? Nicht Sie, meine ich, sondern die
römischen Ziffern. Wobei …“
Es war noch früher Nachmittag, doch der Mann brauste mit einem „Gute Nacht,
Deutschland!“ ab. Eine Viertelstunde danach befand ich mich im Gespräch mit
einer Witwe Mitte siebzig.„Das geht aber zu weit“, erklärte sie mit einem
Seufzer. „Mein Mann hat immer davor gewarnt, wissen Sie? Es ist diese
Willkommenskultur. Wir sind seit Langem das [3][Sozialamt Europas]. Ich bin
weiß Gott nicht rassistisch, aber …“
Insgesamt 9 von 14 Befragten am Alex lehnten die arabische Zahlschrift
partout ab. Dabei findet sie hierzulande seit dem 15. Jahrhundert
Verwendung. Ursprünglich stammt sie aus dem altindischen Maurya-Reich vor
rund 2.300 Jahren. Anno 825 führte der in Bagdad lebende persische
Universalgelehrte [4][Al-Chwarizmi] die Ziffernschreibweise in den
arabischen Kulturkreis ein. Aus seinem Namen leitet sich übrigens der
Begriff „Algorithmus“ ab, Grundlage der modernen Informatik.
Die Null heißt auf Arabisch sifr, somit haben wir die etymologische
Herkunft des deutschen Wortes „Ziffer“. Schon dieser Abschnitt aus der
langen Geschichte der Mathematik zeigt uns, dass die kulturelle Integration
eine Zweibahnstraße ist. Aber dieses Einmaleins der Erkenntnisse ist
einigen offenbar eine Nummer zu groß.
12 Oct 2021
## LINKS
[1] /Weltzeituhr-auf-dem-Alex/!5213004
[2] https://www.berlin.de/events/3205288-2229501-tag-der-offenen-moschee.html
[3] /Berlin-will-Fluechtlinge/!5701956
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Al-Chwarizmi
## AUTOREN
Michaela Dudley
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Mathematik
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