| # taz.de -- Georgien und der Ukrainekrieg: Auf einem Tiefpunkt | |
| > Moskaus Krieg entzweit Kiew und Tiflis. Jetzt stehen Vorwürfe im Raum, | |
| > über Georgien würden Waffen nach Russland geschmuggelt. | |
| Bild: Solidaritätskundgebung für die Ukraine am Februar in Tiflis | |
| Tiflis taz | Gelangen Waffen über georgisches Territorium nach Russland? | |
| Über diese Frage wird in der Südkausurepublik seit über einer Woche heftig | |
| diskutiert. Tiflis verhindere nicht, dass Militärgüter nach Russland | |
| geschmuggelt würden, behauptet das ukrainische Verteidigungsministerium. | |
| „Um die Sanktionen zu umgehen, haben russische Agenten Schmuggelkanäle | |
| aufgebaut, die vor allem durch Georgien führen. Gleichzeitig wurden | |
| Vertreter der georgischen Geheimdienste von der politischen Führung | |
| angewiesen, sich nicht in die Aktivitäten von Schmugglern einzumischen“, | |
| heißt in einer Erklärung. | |
| Die georgische Regierung weist den Vorwurf zurück und hat wiederum die | |
| Ukraine aufgefordert, Beweise vorzulegen. „Das ist eine Lüge! Diese Art der | |
| Desinformation seitens eines Partnerlandes, insbesondere unter diesen | |
| Bedingungen, ist völlig inakzeptabel“, sagte der Vorsitzende des | |
| georgischen Parlaments, Schalva Papuaschwili. | |
| Doch die Ukraine sieht Georgien in der Beweispflicht. „Wir warten auf | |
| offizielle Beweise und überzeugende Argumente aus Georgien, dass sie dies | |
| nicht tun. Dann werden wir entscheiden, welche Maßnahmen zu ergreifen sind, | |
| wenn diese Beweise und Argumente nicht überzeugend genug sind“, sagte der | |
| ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba. | |
| ## Heftige Kritik | |
| Doch nicht nur in Kiew, sondern auch in Georgien selbst stößt das Verhalten | |
| der georgischen Regierung [1][auf heftige Kriti]k. Nach Ausbruch des | |
| Krieges weigerte sich Georgien, Wirtschaftssanktionen gegen Russland zu | |
| verhängen und konnte sich auch nicht zu Waffenlieferungen an die Ukraine | |
| durchringen. | |
| Zur Begründung hieß es, dass die Sanktionen Russland nicht schadeten, die | |
| Folgen für die georgische Wirtschaft hingegen katastrophal sein würden. Die | |
| Forderungen der ukrainischen Regierung und ihrer politischen Gegner nach | |
| einem härteren Vorgehen sieht die Regierung „Georgischer Traum“ als einen | |
| „Versuch, Georgien in die Feindseligkeiten hinein zu ziehen“. | |
| Dem widersprechen jedoch sowohl weite Teile der Zivilgesellschaft und die | |
| Opposition als auch die [2][Präsidentin Salomé Zurabischwili]. Mehrmals | |
| hatte Zurabischwili die Regierung zu „härten Maßnahmen aufgefordert. „Die | |
| Interessen Moskaus zu berücksichtigen, sind bereits seit Jahren das | |
| außenpolitische Credo des Georgischen Traums“, sagt Bidzina Lebanidze, | |
| Politikwissenschaftler und Doktorand an der Friedrich-Schiller-Universität | |
| Jena. | |
| Doch da bewege sich die Regierung auf dünnem Eis. Denn der pro-europäische | |
| Kurs des Landes stehe nicht zur Disposition, da er von der großen Mehrheit | |
| der Bevölkerung getragen werde. Daher könne es gefährlich sein, radikale | |
| Änderungen vorzunehmen. | |
| ## Aggressive Rhetorik | |
| Bidzina Lebanidze ist nicht über die zurückhaltende Haltung der georgischen | |
| Machthaber empört, sondern auch über die Worte, mit denen sie diese zum | |
| Ausdruck bringe. Das trage erheblich dazu bei, die Beziehungen zur Ukraine | |
| zu verschlechtern. „Sie können ja eine zurückhaltende Politik machen, | |
| müssten sie dann aber besser verkaufen. Eine derart aggressive Rhetorik ist | |
| kontraproduktiv und schadet dem Image unseres Landes“, sagt er. | |
| In den vergangenen acht Jahren haben sich die Ukraine und Georgien | |
| gemeinsam in Richtung Europa bewegt. Auf die Rosenrevolution 2003 in | |
| Georgien folgte die Orangene Revolution 2004 in der Ukraine. Der damalige | |
| georgische Präsident Micheil Saakaschwili reiste nach Kiew, um die Proteste | |
| zu unterstützen. Während des georgisch-russischen Krieges um die Region | |
| Südossetien 2008 kam der ukrainische Präsident Viktor Juschtschenko nach | |
| Tiflis. | |
| Doch mit der Machtübernahme des „Georgischen Traums“ in Georgien 2012 und | |
| der Wahl Petro Poroschenkos zum Präsidenten der Ukraine 2014 begannen sich | |
| die Beziehungen abzukühlen. Viele Mitglieder des Saakaschwili-Teams | |
| übernahmen Posten in ukrainischen Regierungsinstitutionen. Im Mai 2015 | |
| wurde Michail Saakaschwili Gouverneur der Region Odessa und bekam die | |
| ukrainische Staatsbürgerschaft. Zu diesem Zeitpunkt liefen gegen ihn in | |
| Georgien bereits mehrere Strafverfahren, Kiew verweigerte jedoch seine | |
| Auslieferung. | |
| In Oktober 2021 reiste Saakschwili heimlich nach Georgien ein und wurde | |
| sofort festgenommen. Ein Treffen mit dem ukrainischem Ombudsmann für | |
| Menschenrechte wurde verweigert. Am 31. März berief der ukrainische | |
| Präsident Wolodimir Selenski den ukrainischen Botschafter aus Georgien ab. | |
| Als Grund nannte er „eine unmoralische Haltung gegenüber Sanktionen“ sowie | |
| „Hindernisse für Freiwillige“, die an der Seite der ukrainischen Armee | |
| kämpfen wollten. | |
| ## Auf einem Tiefpunkt | |
| Mittlerweile seien die Beziehungen zwischen den beiden Ländern auf einem | |
| Tiefpunkt angekommen, meint der Politiologe Lebanidze. Dennoch müssten sie | |
| früher oder später einen Kompromiss finden. Denn der politische | |
| Schlingerkurs habe sich für Georgien nicht ausgezahlt. 20 Prozent des | |
| Territoriums Georgiens seien immer noch besetzt, Tiflis habe keine | |
| Sicherheitsgarantien erhalten. Innenpolitische Reformen, wie die | |
| Entpolitisierung der Justiz, die eine notwendige Voraussetzung für die | |
| Annäherung Georgiens an den Westen seien, stünden noch aus. | |
| „Doch unabhängig davon haben beiden Länder gemeinsame Ziele und Interessen. | |
| Georgien und die Ukraine sitzen im selben Boot, daher müssten sich die | |
| Beziehungen nach dem Krieg verbessern“, sagt Lebanidze. | |
| Erste Anzeichen dafür gibt es bereits. Vor wenigen Tagen sagte der der | |
| Geschäftsträger der Ukraine in Georgien, Andri Kasjanow, dass der | |
| Vorsitzende des ukrainischen Parlaments seinen georgischen Amtskollegen in | |
| die Stadt Butscha eingeladen habe, wo Dutzende von Zivilisten gefoltert und | |
| getötet worden seien. Vier Tage später erklärte der Chef des „Georgischen | |
| Traums“ Irakli Kobachidse, dass die georgische Delegation bereit sei, nach | |
| Butscha zu reisen. Der Besuch soll in den kommenden Tagen stattfinden. | |
| „Ich bin sehr froh, dass ein kleines Missverständnis zwischen Georgien und | |
| der Ukraine ausgeräumt wurde … Ich bin aufrichtig davon überzeugt, dass wir | |
| unsere gemeinsame Zukunft weiter aufbauen werden. Wir haben viel mehr | |
| gemeinsam als das, was uns trennt“, schrieb der Vorsitzende des | |
| ukrainischen Parlaments, Ruslan Stefanschuk, auf seiner Facebook-Seite. | |
| Lebanidze zweifelt nicht daran, dass von einer Annäherung zwischen Tiflis | |
| und Kiew auch die Entscheidung für einen pro-westlichen Kurs beider Länder | |
| abhängt. Die Ukraine hat am 28. Februar den Antrag auf einen Beitritt zur | |
| EU gestellt. Georgien und die Republik Moldau folgten drei Tage später. | |
| Aus dem Russischen Barbara Oertel | |
| Der Autor war Teilnehmer eines Osteuropa-Workshops der taz Panter-Stiftung | |
| 14 Apr 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Sandro Gvindadze | |
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