# taz.de -- Georgien wartet auf NATO-Beitritt: Angst und Wut | |
> Die junge Generation fühlt sich vom Westen betrogen, den Älteren ist | |
> alles egal. Doch die Solidarität mit der Ukraine ist in Tiflis groß. | |
Bild: Solidarität mit der Ukraine vor dem georgischen Parlament in Tiflis am 3… | |
In Georgien sagt man nicht „der Krieg in der Ukraine“. Bei uns sagt man | |
einfach „der Krieg“. Im August 2008 marschierte Russland in Georgien ein | |
und stationierte hier Truppen. Seit dieser Zeit, seit 14 Jahren, lebt die | |
georgische Bevölkerung mit der Angst davor, dass sich der Krieg wiederholen | |
könne. Am 24. Februar 2022 kam zur Angst und dem Gefühl der eigenen | |
Machtlosigkeit noch die Wut hinzu. | |
Seit fast zwei Monaten beginnen alle Fernsehnachrichtensendungen mit den | |
Ereignissen in der Ukraine. Seit fast zwei Monaten gibt es im Stadtzentrum | |
von Tiflis vor dem Parlamentsgebäude regelmäßig Solidaritätskundgebungen. | |
Seit Beginn des Krieges hat Georgien fast 400 Tonnen humanitäre Hilfe | |
geschickt. An Häusern hängen ukrainische Flaggen. | |
Verschiedenen Quellen nach sind mittlerweile mehr als 15.000 Flüchtlinge | |
aus der Ukraine nach Georgien gekommen. Aber nicht nur sie. [1][Sondern | |
auch zehntausende Russen]. | |
Nicht nur im Stadtzentrum von Tiflis, auch in der näheren Umgebung hört man | |
jetzt öfter Russisch als früher. Vielen Menschen in Georgien gefällt das | |
nicht. Sie haben Angst, dass Putin sich entschließt, auch hier „die | |
russischsprachige Bevölkerung zu verteidigen“, und sie fordern deshalb, | |
eine Visumspflicht für russische Staatsbürger einzuführen. | |
## Ein Land zwischen Gleichgültigkeit und Wut | |
Für mich und meine Generation, aber auch für jüngere Menschen hat sich | |
durch den Krieg das Gefühl verstärkt, dass unsere Politiker sich sehr weit | |
vom Volk entfernt haben. Der georgische Premierminister Irakli | |
Gharibaschwili lehnte wirtschaftliche Sanktionen gegen Russland und | |
Waffenlieferungen an die Ukraine ab. Und klar: von Visa für russische | |
Staatsbürger ist natürlich auch keine Rede. | |
Doch neben der Kritik an den georgischen Politikern wird auch die Kritik an | |
ihren europäischen Kollegen immer lauter. Die georgische Jugend kann | |
Deutschland und Frankreich das Jahr 2008 nicht verzeihen. Gerade ihretwegen | |
sind Georgien und die Ukraine bislang keine NATO-Mitglieder, sondern wurden | |
mit leeren Versprechungen abgespeist, dass wir sicher irgendwann | |
aufgenommen würden. [2][Das hören wir jetzt seit 14 Jahren …] | |
Natürlich gibt es hier auch Menschen, die russisches Fernsehen schauen. | |
Ihnen ist das alles egal. Meine 85-jährige Großmutter ist eine von ihnen. | |
Während ich diesen Text schreibe, verkündet der TV-Sprecher gerade die | |
neueste Nachricht: Wolodimir Selenski hat [3][den Empfang des deutschen | |
Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier abgelehnt]. | |
Oma findet das unverschämt. Für mich ist das vor allem ein Zeichen von | |
Ehrlichkeit. | |
Ich würde mich auch nicht mit ihm treffen. Die ständige Gefahr einer | |
russischen Invasion, Dutzende von Entführungen an der sogenannten Grenze, | |
die Stärkung rechtsextremer Kräfte – das ist der Preis für das trügerische | |
Sicherheitsgefühl, mit dem sich europäische Politiker seit Jahren | |
amüsieren. Und die Ukraine zahlt einen noch viel schrecklicheren Preis. | |
Eine kleine Hoffnung habe ich aber trotzdem. Georgien, die Ukraine und | |
Moldau haben Fragebögen für einen EU-Beitritt bekommen. Von den Antworten | |
darauf wird abhängen, ob wir als EU-Beitrittskandidaten anerkannt werden. | |
Aus dem Russischen [4][Gaby Coldewey] | |
Finanziert wird das Projekt von der [5][taz Panter Stiftung]. | |
24 Apr 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Russenfeindlichkeit-in-Georgien/!5839786 | |
[2] /Georgiens-gescheiterter-Nato-Beitritt/!5840294 | |
[3] /Steinmeier-Ausladung/!5846108 | |
[4] /Gaby-Coldewey/!a23976/ | |
[5] /!p4550/ | |
## AUTOREN | |
Sandro Gvindadze | |
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Bidzina Iwanischwili | |
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