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# taz.de -- Russenfeindlichkeit in Georgien: Angefeindet und diskriminiert
> Immer mehr Russ*innen verlassen ihr Land und lassen sich in Georgien
> nieder. Doch häufig werden sie dort skeptisch und ablehnend empfangen.
Bild: Solidarität mit Kiew: Demonstration zur Unterstützung der Ukraine am 4.…
Tiflis taz | „So etwas gab es noch nie“, sagt Walerija. Sie betreibt ein
Familiencafé, dass sich im Zentrum der georgischen Hauptstadt Tiflis
befindet. An Wochentagen war es hier immer leer. Doch seit dem Beginn des
Angriffskrieges Moskaus gegen die Ukraine drängen sich hier Ankömmlinge aus
Russland.
Auch heute gibt es keinen Platz. An einem Tisch sitzen ein Mann, eine Frau
und ein Kind. Sie sprechen Russisch, mit einem Moskauer Akzent. Neben ihnen
stehen zwei Koffer auf dem Boden.
Seit einige Tagen hat sich das Leben in Tiflis verändert. Vor Banken und
Niederlassungen von Mobilfunkanbietern stehen viele Menschen an. Die
Nachfrage nach Wohnraum explodiert. Eigentümer von Immobilien berichten,
hunderte Menschen, die aus Russland gekommen sind, wollten eine Wohnung
mieten – für ein halbes Jahr oder länger.
Doch die Behörden bestreiten, dass es mehr Ankommende gebe. Laut Angaben
des georgischen Wirtschaftsministers Lewan Divitaschwili seien seit
Jahresbeginn 25.000 Personen gekommen – so viele wie im gleichen Zeitraum
2020 und damit noch vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie.
## Keine kritischen Fragen
Walerija ist Moskauerin und lebt bereits seit sieben Jahren in Tiflis. Sie
ist in einer Familie überzeugter Kommunisten aufgewachsen. Sie erinnert
sich noch gut daran, dass ihr von Kindheit an beigebracht worden war, keine
kritischen Fragen zu stellen. Als sie 18 Jahre alt wurde, begann sie mit
ihrem Mann Europa zu bereisen.
„Mir fiel immer stärker auf, dass meine Nachbarn und Bekannten nur die
Sätze wiederholten, die im Fernsehen zu hören waren. Und da wurde mir klar:
Entweder werde ich genauso oder ich muss weg“, erzählt Walerija. Ein
Elternteil ihres Mannes stammt aus Georgien, und da bot sich die
Südkaukasusrepublik für eine Flucht geradezu an.
Erst in Tiflis erfuhr sie Genaueres über das Jahr 2008 – als russische
Truppen in Georgien einmarschierten und Moskau die Unabhängigkeit der
beiden abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien anerkannte. Dennoch
fühlte sie sich alsbald zu Hause.
„Was mich hier immer fasziniert hat, ist der Umstand, dass Menschen und
Politik nicht in einen Topf geworfen werden. Mir gegenüber haben sich immer
alle normal verhalten, menschlich und ohne mir einen Stempel aufzudrücken.
Das ist wahnsinnig wertvoll“, sagt sie.
## Ein anderes Leben
Doch seit Russland die Ukraine mit Krieg überzieht, hat sich Walerijas
Leben verändert. Zum ersten Mal seit sieben Jahren hat sie Angst und fühlt
sich unwohl, weil sie Russin ist. Sie persönlich habe noch keine Probleme
gehabt, erzählt Walerija. Doch Bekannte von ihr seien in einer Apotheke
nicht bedient worden, als die Mitarbeiter mitbekommen hätten, dass sie
Russ*innen seien. Auch viele Wohnungsbesitzer lehnten es ab, an
Russ*innen zu vermieten.
Tata Berija, Menschenrechtlerin aus Batumi, glaubt, dass die Behörden durch
ihre Passivität die Welle von Protesten und Aggressionen gegen Menschen aus
Russland provoziert hätten.
Georgien hat keine Wirtschaftssanktionen gegen Russland verhängt.
Regierungschef Irakli Garibaschwili hatte am 28. Februar erklärt, dass
diese Maßnahme sinnlos sei, da sie den Krieg nicht stoppen könne. Georgien
liefert der Ukraine auch keine Waffen.
Seit dem 24. Februar [1][versammeln sich tausende Menschen vor dem
Parlamentsgebäude im Zentrum von Tiflis]. Als Antwort darauf beantragte
Georgien, wie zuvor die Ukraine, die Mitgliedschaft in der Europäischen
Union. „Dies ist das Einzige, was die Staatsmacht getan hat, um auf der
richtigen Seite der Geschichte zu bleiben“, sagt Tata Berija.
## Drei Forderungen
Jetzt erheben die Demonstrant*innen drei Forderungen: Die Einführung
einer Visapflicht für Russ*innen, ein Verbot russischer Medien und die
Schließung des Luftraums für russische Flugzeuge. Vertreter*innen der
Privatwirtschaft erlassen mittlerweile eigenmächtig Vorschriften in Bezug
auf russische Bürger*innen. Eine der größten Privatbanken verweigert
Russ*innen die Eröffnung eines Kontos. Eine andere Bank macht dafür die
Unterzeichnung eines Dokuments zur Bedingung, das die russische Besatzung
verurteilt.
Die Organisation von Tata Berija hilft schon seit Jahren dabei,
Menschenrechtsaktivist*innen und Journalist*innen aus
postsowjetischen Staaten herauszuholen.
Am vergangenen Sonntag wurde Michail Fischman, Journalist bei dem
russischen oppositionellen Fernsehsender Doschd, die Einreise nach Georgien
verweigert. Tata beklagt, dass das niemanden kümmere. Mittlerweile gebe es
sogar unter georgischen Menschenrechtler*innen keine Solidarität mehr
mit ihren russischen Kolleg*innen.
Das mache ihr Angst. Sie befürchtet, dass der Krieg und der Zustrom von
Flüchtlingen aus Russland nationalistische und fremdenfeindliche Stimmungen
in Georgien verstärken. „Hass und Diskriminierung sind schlecht. Und es
spielt keine Rolle, gegen wen sich das richtet“, sagt sie.
## Türen offen halten
Menschen, die von zu Hause flüchteten, weil sie bei IKEA keine Möbel mehr
kaufen könnten, sollten nicht kommen. Doch Georgien müsse die Türen für
diejenigen offen halten, die gegen Putins Regime seien. Natürlich
[2][könnte Putin Panzer nach Georgien rollen lassen], um seine
Staatsbürger*innen zu verteidigen. „Doch das ist nur ein Vorwand unter
vielen. Wenn Putin das wirklich will, findet er immer einen Grund“, glaubt
sie.
Walerija fürchtet ebenfalls, dass „sie kommen, um sie zu schützen“. Fühlt
sie sich irgendwie mitverantwortlich für den Krieg 2008, die Annexion der
Krim, die Bombardierungen von Charkiw und Kiew? „Ich habe das Gefühl,
einfach weggelaufen zu sein und mich dem Regime nicht widersetzt zu haben“,
antwortet sie. Doch diese Chance sei vertan und es sei zu spät, um darüber
nachzudenken.“ Ich hoffe nur“, sagt sie, „dass Russland eines Tages einfa…
zusammenbricht und so, wie es jetzt ist, aufhört zu existieren.“
Aus dem Russischen Barbara Oertel
Der Autor war Teilnehmer eines Osteuropa-Workshops der taz Panter-Stiftung
9 Mar 2022
## LINKS
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[2] /Konflikte-in-Ex-Sowjetrepubliken/!5836947
## AUTOREN
Sandro Gvindadze
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