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# taz.de -- Geheimes Bundeswehr-Gespräch: Der Feind konferiert mit
> Russland leakt ein Offiziersgespräch und die Aufregung ist groß. Moskau
> möchte damit nur destabilisieren, sagt Verteidigungsminister Boris
> Pistorius.
Bild: Explosives Gesprächsthema: Die Offiziere tauschten sich in dem von Russl…
BERLIN taz | Eigentlich war es ein schöner Abend. Brigadegeneral Frank
Gräfe schaltet sich am 19. Februar aus Singapur in die Besprechung, er hat
dort dienstlich zu tun. Um kurz vor Mitternacht Ortszeit ist das, und weil
sein Chef noch kurz auf sich warten lässt, bleibt in der Schalte Zeit für
eine Plauderei mit den Kameraden. Der „View, den man da aus meinem
Hotelzimmer hat“, berichtet Gräfe aus Südostasien, „der ist schon mega!“
Kurz darauf wählt sich auch Ingo Gerhartz ein, der oberste General der
Luftwaffe, und das Meeting kann beginnen.
Zu dem Zeitpunkt ahnen die Offiziere nicht, welche Brisanz ihre Besprechung
anderthalb Wochen später erlangen sollte: Am Freitag veröffentlichte
Margarita Simonjan, Chefin [1][des russischen Propagandasenders RT], einen
Mitschnitt der Webkonferenz. Dessen grundsätzliche Authentizität hat das
Verteidigungsministerium mittlerweile bestätigt.
Wie die Russen an die Aufnahme gelangten, ist noch nicht geklärt. Für
gehörigen Wirbel hat das Leak am Wochenende aber dennoch gesorgt. Für
Bundeswehr und Bundesregierung ist die Veröffentlichung blamabel.
Verteidigungsminister Boris Pistorius trat am Sonntagnachmittag vor die
Presse. Neue Erkenntnisse hatte er nicht mitzuteilen: Der
Militärgeheimdienst ermittle noch zu den Hintergründen und mögliche
Verstöße gegen Sicherheitsbestimmungen. Inhaltlich habe der Mitschnitt
wenig Neues enthalten, so der SPD-Politiker. Dem Kreml gehe es mit der
Veröffentlichung nur darum, „zu destabilisieren und zu verunsichern“. Auch
von „hybrider Kriegsführung“ sprach Pistorius.
## Offizier im Gespräch: Pistorius ein „total cooler Typ“
Zuvor nannte schon Bundeskanzler Olaf Scholz das Datenleck eine „sehr
ernste Angelegenheit“. Während eines Italien-Besuchs sagte er: „Deshalb
wird das jetzt sehr sorgfältig, sehr intensiv und sehr zügig aufgeklärt.
Das ist auch notwendig.“
Insgesamt vier Offiziere tauschten sich in der Web-Konferenz am 19. Februar
aus. In dem mitgeschnittenen Gespräch bereiten sie sich auf einen Termin
mit dem Verteidigungsminister vor, den sie über den [2][Marschflugkörper
Taurus] informieren sollen. Dessen mögliche Lieferung an die Ukraine sorgt
in der Regierung bekanntlich seit Monaten für Streit, Boris Pistorius will
sich mit den Details der Waffe vertraut machen.
Luftwaffenchef Gerhartz wiederum liegt einiges daran, dass seine Leute gut
vorbereitet in den Termin gehen. Nicht, dass er Bammel vor dem Minister
hätte. Der SPD-Mann sei „ein total cooler Typ im Umgang“, sagt der General
in der Web-Konferenz. Anders als „die Modelle davor“. Aber der
Luftwaffenmann ist offenbar daran interessiert, dass sich die
Bundesregierung doch noch dazu durchringt, die Marschflugkörper zu liefern.
Seine Offiziere weist er zwar an, dem Minister die Herausforderungen, die
damit verbunden wären, nicht zu verschweigen. Sie sollten aber bitte „nicht
nur ein Problem in den Raum stellen, sondern auch immer die Lösung dazu
nennen“.
Relativ einfach ginge das dem Gespräch zufolge noch bei der Umrüstung der
Marschflugkörper, dem Überpinseln der deutschen Hoheitszeichen zum
Beispiel. Das sei kein großes Ding. Möglicherweise zeitaufwendiger, aber
ebenfalls machbar, wären die Umbauarbeiten an den ukrainischen
Kampfflugzeugen – damit diese den Taurus auch einsetzen könnten. Der
Knackpunkt aber: Wie befähigt man die ukrainische Luftwaffe dazu,
erfolgversprechende Einsätze mit dem schwer zu bedienenden Marschflugkörper
durchzuführen?
## Möglichkeiten für schnelle Taurus-Einsätze diskutiert
Konkret gehen die Offiziere die Frage anhand eines möglichen Angriffs
[3][auf die Kertsch-Brücke] durch. Sie verbindet Russland mit der besetzten
Halbinsel Krim und wird von der russischen Armee für Transporte genutzt.
Das ukrainische Militär will sie seit Langem zerstören, bisher fehlen ihr
aber die richtigen Instrumente dafür. Mit den Taurus, so glauben es die
deutschen Offiziere, wäre es eher machbar als mit den britischen und
französischen Marschflugkörpern, die die Ukraine bisher nutzt.
Kompliziert bleibe es aber, weil die Brücke gut geschützt ist und mehrere
ihrer schmalen Pfeiler beschossen werden müssten. „Ich weiß nicht, ob wir
den Ukrainern das in adäquater Zeit beibringen“, sagt einer der Offiziere.
Ein theoretischer Ausweg wäre, dass die Bundeswehr die Flugroute und das
Ziel in die Marschflugkörper einprogrammiert. Eine direkte Beteiligung
deutscher Soldat*innen an konkreten Angriffen ist von der
Bundesregierung aber politisch nicht gewollt. Was tun also? Die Runde denkt
erst laut darüber nach, wie sich eine solche Beteiligung verschleiern ließe
– etwa indem die Angriffe in Deutschland geplant und die dazugehörigen
Daten dann in Polen übergeben würden. Den Plan verwerfen die Offiziere aber
selbst direkt wieder. „Stell dir mal vor, das kommt an die Presse“, sagt
der General in Singapur. „Keine akzeptable Lösung.“
Der opportunere Vorschlag an die Bundesregierung, auf den sich die Runde
schließlich verständigt: Die Bundeswehr könnte den Ukrainer*innen erst
mal im Schnelldurchgang die Grundlagen beibringen. Für verhältnismäßig
einfache Angriffe, etwa auf russische Munitionsdepots, reiche das aus.
„Damit hat man einen schnellen Effekt erzielt“, sagt der Brigadegeneral.
Bis die Ukraine fit genug ist, um eigenständig einen Angriff auf die
Krim-Brücke durchzuführen, dauere es danach eben länger.
## Scholz' Argumentation gegen Taurus hält stand
Für die politische Debatte interessant an der Aufzeichnung: Die direkte
Beteiligung deutscher Soldat*innen an Taurus-Einsätzen ist nach Ansicht
der Militärs nicht zwingend nötig; sie würde lediglich die
Erfolgsaussichten verbessern.
Ist durch diese Feststellung die Glaubwürdigkeit des Bundeskanzlers
beschädigt, wie die Union ihm nun vorwirft? Scholz habe „seine Ablehnung
von Taurus-Lieferungen möglicherweise mit einer Falschdarstellung
begründet“, sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt dem Spiegel.
Tatsächlich hatte der Kanzler beispielsweise vor eine Woche bei einer
Veranstaltung der dpa argumentiert, deutsche Soldat*innen dürften „an
keiner Stelle und an keinem Ort mit den Zielen, die dieses System erreicht,
verknüpft sein“.
Am Freitag allerdings, bei einer Diskussion mit Bürger*innen in Dresden,
hatte Scholz kurz nach Bekanntwerden des Leaks seine Begründung erweitert.
Sinngemäß sagte er dort: Mit dem Taurus geriete sogar Moskau in Reichweite
der Ukraine. Ein Angriff auf den Kreml wäre aber eine unverantwortbare
Eskalationsstufe. Um diesen Schritt zu hundert Prozent auszuschließen,
möchte er die Programmierung der Zieldaten nicht alleine der Ukraine
überlassen. Weiterhin soll aber auch die Bundeswehr außen vor bleiben.
Unterm Strich bleibt die Lieferung der Taurus also unmöglich.
Scholz’ Misstrauen gegenüber den Ukrainer*innen muss man nicht teilen.
Allerdings hält diese Argumentationslinie auch der nun publik gewordenen
Besprechung der Bundeswehroffiziere stand.
Politisch heikel bleibt die Angelegenheit dennoch. Erstens, weil Teile der
Opposition nun ganz im Sinne Moskaus argumentieren. So behauptete am
Samstag Dietmar Barsch (Linkspartei) zu den Inhalten der Aufnahme: „Derlei
Planspiele verbieten sich sicherheitspolitisch, sind eindeutig strafbewehrt
und müssen Konsequenzen haben.“ Zweitens könnte unter den internationalen
Partnern der Bundesregierung die Sorge zunehmen, dass sie sensible
Informationen mit den Deutschen nicht ruhigen Gewissens teilen können.
Und drittens müssen die Bundeswehr und das Verteidigungsministerium jetzt
auch der eigenen Koalition gegenüber Fragen beantworten. So forderte
Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz Aufklärung im Bundestag.
„Schnellstmöglich muss geklärt werden, ob es sich bei diesem Abhörskandal
um einen einmaligen Vorgang oder ein strukturelles Problem handelt“, sagte
er. „Wir werden für die kommende Sitzungswoche entsprechende Berichte in
den zuständigen Ausschüssen und anderen Gremien beantragen.“
3 Mar 2024
## LINKS
[1] /Schwerpunkt-Russia-Today/!t5026021
[2] /Streit-um-Marschflugkoerper/!5995189
[3] /Ukraine-attackiert-Krim-Bruecke/!5944884
## AUTOREN
Tobias Schulze
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